Kennen Sie das „intellektuelle Darknet“? Ein Beitrag zum Thema Öffentlichkeit.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 617

Armin Thurnher
am 04.01.2022

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Ich bin ein Fan von von ORF.at. Ich weiß, es gab gegen diese Website von Anfang an das Ressentiment der Verleger, die wieder einmal neidig auf einen schauten, der mit öffentlicher Unterstützung ein Fass aufmachte, um Zeug aus ihren eigenen Fässchen abzusaugen. Eigene Fässchen, das heißt Marktnischen, und Zeug heißt Geld.

Und ich? Bin ich kein Verleger? Ich hatte nicht wirklich etwas dagegen, denn es war mir klar, dass ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk alles tun muss, um auf allen Kanälen präsent zu sein. Auf allen Kanälen, aber auf alle Arten und Weisen?

Eben nicht, die hatten bei ORF.at von Anfang an ein cleveres Konzept, machten ein Qualitätsmedium, wo alle anderen Digitalausgaben nur auf Gratissause mit marktbeherrschenden Hintergedanken setzten. Das mochte ich, auch wenn ORF.at Schöpfer Franz Manola sein Konzept mit gotischen Kathedralenfenstern ideologisierte, womit er die Bildtexte in den Bildern meinte, was technisch einigen Aufwand erforderte. Aber es funktionierte.

Und sie passten das Zeug dem Markt an, das heißt, Bilder und mit ihnen Stories, die angeklickt wurden, rückten nach oben,  wurden größer, was nicht ging, verschwand. Das war naturgemäß – obwohl die journalistische Qualität stimmte – schon das Gegenteil von öffentlich-rechtlich. Aber das kapieren sie hierzulande nicht. Da rechtfertigen sie immer alles mit der Quote. Armin Wolf gebe ich erstens gern einen Einser für ein tolles, wohlvorbereitetes Interview mit einem interessanten Menschen. Aber es ist mir zweitens völlig egal, wieviele Menschen es sahen. Wolf jedoch freut sich immer über zweitens (klar, verstehe schon, über erstens kann er sich nicht gut öffentlich selber freuen), und das gilt auch für die anderen, Martin Thür, und Margit Laufer, welche ich übrigens freudig begrüße.

Ich schweife nicht ab: öffentlich-rechtlich heißt immer auch, sich die Lizenz nehmen zu müssen, gegen das Publikum zu sein. Ich möchte jetzt nicht hören, dass sich der Falter mit seiner gestiegenen Reichweite wichtig macht; er ist weder Marktführer noch öffentlich-rechtlich.

[Bedenkliche ORF.at-Tendenz der neueren Zeit: die kleinen Werbefensterchen für Videobeiträge des Fernsehens, gut fellneristisch „Top-Videonews“ genannt. Die gehen mir erstens auf die Nerven, weil ich ein Leser bin und ORF.at für ein Lesemedium halte. Auch, weil ich dahinter die Denke (ein Wort das ich verabscheue, aber in diesen Zusammenhang passt es, fürchte ich) von sogenannten Medienstrategen wittere, die schon in der Vergangenheit ihre Medienexpertise durch Verbreiten von Slogans wie „It’s about the content, not the pipes“ dartaten und hier auf die sogenannte Konvergenztube drücken. Seltsam, dass Ahnungslosigkeit herausquillt.

Autonomie, Baby! Beim Lesen kann ich das Tempo bestimmen, bin schneller durch, wenn’s fad ist, und nehme mir extra Zeit, wenn’s spannend ist. Video oder auch Audio schreiben mir das Tempo vor, das nur nebenbei.]

Ich schweife überhaupt nicht ab von ORF.at. Ich bin nicht zuletzt ein Fan dieser Seite, weil es ihr immer wieder gelingt, gutes, ja großartiges Feuilleton zu machen. Woran ich das erkenne? Dass ich denke, das hätte ich gern im Falter gelesen. Neuestes Beispiel: der Versuch, das Thema Öffentlichkeit zu diskutieren. Verschwindet sie, ändert sie sich durch die Pandemie, ist sie überhaupt am Ende, oder wie?

Schlagartig enthüllt sich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, nunmehr, da es schon spät ist, der Sinn dieser Kolumne: sie will einen Beitrag zu dieser Debatte leisten.

Und da es schon spät in der Kolumne ist und ich zu diesem Thema auch schon das eine oder andere gesagt zu haben meine, es aber doch aus vollem Herzen begrüße, dass es jemand anderer auf die Tagesordnung setzt, möchte ich wenigstens einen mikroskopisch kleinen Beitrag zur aufgeworfenen Frage leisten.

Mir scheint das Hauptproblem der Frage der Öffentlichkeit ihr Verschwinden im hellsten Lichte der Öffentlichkeit zu sein. Das mag einem paradox vorkommen, ist es auch, und auch wieder nicht. Kürzlich las ich bei Recherchen zu Peter Thiel, dem neuen Arbeitgeber des Bundeskanzlers (der alte waren Sie und ich, also wird man da wohl noch ein wenig mitreden dürfen), dass der neue Vorgesetzte von Sebastian Kurz, nämlich Eric Weinstein, Managing Director von Thiel Capital, das schöne Wort „Intellectual Darknet“ geprägt hat.

Damit dürfte gemeint sein, dass die intellektuelle Untermauerung politisch-öffentlicher Vorgänge nicht öffentlich exponiert werden soll. Vorbild für diese Vorgangsweise war ja die Mont Pèlerin-Society. Ihr Mitbegründer Hayek gab die Devise aus, die intellektuellen Grundlagen des Neoliberalismus müssten ausreifen, mit dem ausdrücklichen Zusatz, ehe ein gewisses Stadium erreicht sei, habe man dabei die Öffentlichkeit zu scheuen.

Meine Vermutung: die Probleme der Öffentlichkeit gehen einher mit einer Renaissance der Heimlichtuerei. Die Kabinette des Absolutismus waren die bête noire der Demokraten, die bekämpften sie mit ihrer Forderung nach Öffentlichkeit, nun erstehen sie in neuer Form. Die dystopische Entwicklung, dass sich die Unvernunft, das Dämonische, Atavistisch-Faschistische öffentlich auf den Straßen zeigen, hat weniger mit der Pandemie zu tun – die verschärft nur die psychische Anspannung, unter der alle stehen – , sie ist vielmehr wohlvorbereitet, als Offensive zur Diskreditierung aufgeklärter Vernunft. Und damit naturgemäß zur Schwächung demokratischer Institutionen. Und das ganze womöglich, um „den Westen“ in der globalen Auseinandersetzung mit China handlungsfähig zu erhalten, damit er die Interessen libertärer Unternehmer wie Thiel autoritär sichern kann. Wenn die Chinesen und die Russen ihre Öffentlichkeit kontrollieren, müssen wir das auch können, um im finalen Clash of Civilizations gerüstet zu sein, lautet diese Logik.

Screenshot: Twitter

Vielleicht bin ich ja bloß verrückt, der „brillante Kopf“ (Welt-Geschäftsführer Ulf Poschardt) Sebastian Kurz demokratisiert demnächst die Westküste, und alles wird gut. Aber wahrlich, ehe das geschieht, diskutiert der ORF in seinen Hauptprogrammen, was das „öffentlich-rechtlich“ bedeutet, das er vor der „Anstalt“ im Namen trägt.

(Könnte fortgesetzt werden.)


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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