Kurz geht privat. Wie lösen wir das Post-Kanzler-Problem? Ein Vorschlag für die Republik.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 610

Armin Thurnher
am 27.12.2021

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Wir haben immer wieder Schwierigkeiten mit Spitzen der Demokratie, die ihre Ämter verlassen. Wir, das sind die Bürgerinnen und Bürger des Staates, die nun mit gehobener Augenbraue oder geschürter Begeisterung, je nach politischer Haltung und Mediengewohnheit, die Lebensläufe unserer Spitzenprachtkerle und -kerlinnen verfolgen, wie sich diese nach Verlassen des für sie von uns auf Zeit bestimmten Amtes gestalten.

Die Probleme sind relativ neu, weil früher die Amtsträger üblicherweise ihre Ämter erst übernahmen, als sie sich bereits in höherem Alter befanden. Wenn sie also aus dem Amt schieden, gab es für sie keine Alternative als den Ruhestand; so sie nicht überhaupt im Amt verstarben.

Im alten Rom hatte man die Sache formalisiert; war einer Konsul gewesen, hatte er damit auch das Recht erworben, anschließend eine mehr oder weniger fette Provinz als Statthalter zum eigenen Vorteil auszunehmen wie eine Weihnachtsgans.

In den Demokratien nach 1945 setzte man auf den Verfall der Vitalität nach Verlassen des Amtes.


Nun aber, da die Amtsträger immer jünger werden – der vorvorige Bundeskanzler war erst 35 Jahre alt, als er abtrat; er war 31, als er das Amt übernahm – stellt sich ein neues Problem: was tun mit jenen Leuten, die ihre Würde daraus bezogen, dass sie uns, das Staatsvolk repräsentierten, von dem ja das Recht ausgeht und somit die Macht, was in der Praxis ihnen zwar nichts ausmacht, aber ihnen doch jene Würde verlieh, ohne die sie sich nun in der Welt umtun müssen und dabei diese allgemeine Würde der Republik, sagen wir es vorsichtig, nicht immer mehren?

Wir, das Staatsvolk, schütteln entweder büffelgleich und gelassen unser Haupt und tun, als hätten wir nichts bemerkt. Oder aber wir leiden darunter, dass zum Beispiel der Ex-Kanzler Deutschlands als Freund und Chefbrater Putins im Sold steht, dass ein österreichischer Ex-Kanzler als Berater von autoritären Potentaten Geld verdiente (vor allem naturgemäß als tüchtiger Unternehmer) oder andere sich im Immobilien- und im Startupgeschäft umtun.

Ich halte das alles nicht für ehrenrührig, es dient möglicherweise auch dem Fortkommen sagen wir, entwicklungsfähiger Demokratien, Beratungsdienste können Autokratien näher an die Demokratie heranführen, wie man so schön sagt, und möglicherweise hält Gerhard Schröder nur die diplomatische Nabelschnur zwischen der EU und Russland am Leben, wer weiß das alles schon genau. Würdig und recht ist es aber auch nicht. Nicht jedem ist es halt gegeben, nach 16 Jahren des Regierens, am Wasser Sitzens und die Leichen der Feinde Vorbeitreiben Sehens wie Angela Merkel sang und klanglos in die Rente zu gehen.

Ich glaube, dass bei manchen dieser Männer im besten Alter ein paar Dinge zusammenkommen: man war nicht ausreichend lang an der Macht, um tiefe Spuren zu hinterlassen; man ist vielleicht frustriert, dass man zu früh oder ungerechtfertigterweise per Partei- oder Medienintrige oder per Kombi aus dem Amt gemobbt oder gar abgewählt wurde. Aber wenn man es sportlich nimmt, ist man jedenfalls nicht erschöpft: man verfügt über Tatkraft, wie man sagt, und nun ist es vorbei mit den Möglichkeiten, Regierungstaten zu setzen. Also?


Also, nehmen wir einmal an, es findet kein Geldvermehrungswunder im Amt statt, wie es zum Beispiel bei Tony Blair zu konstatieren war oder bei gewissen indischen Ministern, in deren Haus man Geldzählmaschinen fand. Dann bleibt dem Mann oder der Frau in den besten Schaffensjahren nichts übrig, als nun zu schaffen und ihr Gerschtl zu mehren, wie es im Geist der Zeit liegt, egomäßig mit Rücksicht zuerst auf sich und nicht auf die Republik. Die Republik hat aber Anspruch auf würdige Repräsentanz; bei Amtsträgerinnen vom Bundeskanzler aufwärts meint das öffentliche Empfinden zu Recht, diese könnten nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, als wären sie es nie gewesen. Allerdings tut die Republik nichts für diesen Anspruch.

Jetzt geht zum Beispiel Sebastian Kurz, wer weiß wohin (wenn wir es wissen, werden wir es kommentieren). Wir wünschen ihm alles Gute, möge er reich und glücklich werden. Es gibt da nur zwei kleine Probleme. Erstens bekam er den neuen Vertrag nicht als Person, sondern aufgrund von Dingen, die ihm sein Amt bescherte: Kontakte, Zugänge, Beziehungen auf sogenannter Top-Ebene. Der Dienst an der Republik war nolens volens auch ein Dienst in eigener Sache.

Zweitens wird er wie seine Vorgänger weiterhin die Republik Österreich repräsentieren, wir werden ihn mit „Herr Bundeskanzler“ ansprechen, wie es sich gehört, und wie wir auch die anderen gewesenen Kanzler ansprechen. Einmal Kanzler, immer Kanzler.

Kann man von unseren Gewesenen verlangen, sie sollen sich von allem zurückziehen, in Sack und Asche werfen und nichts tun? Geht auch nicht. Sollen sie für die Assets, die ihnen die Republik per Amt zur Verfügung stellte, bezahlen? Wer möchte deren Wert genau bemessen? Jeder wird sagen, es sei doch eh nur der Zauber seiner Person und seine überragende Tüchtigkeit, die ihn nun zu Erfolg, fetten Verträgen und Geld führe.

Je weniger geregelt die spätere Phase, die Nachkanzlerschaft unserer führenden Männer und Frauen also verläuft, desto problematischer kann es für die Republik werden. Was also tun? Eine Cool-off-Phase von zwei Jahren vorschreiben?


Ich habe einen Vorschlag. Bundeskanzler und Bundespräsident sollen einen Vertrag unterschreiben, dass sie nach Beendigung ihrer Amtszeit keine Verträge in der Privatwirtschaft mehr annehmen. Dazu müsste erstens das Amt des Bundeskanzlers so attraktiv sein wie ein Topjob bei einem börsennotierten Unternehmen, damit endlich dieser Mittel-zum-Zweck-Beigeschmack des Amtes verschwindet.

Zweitens müsste eine Stiftung für akzeptable Bedingungen sorgen, die einen solchen Verzicht auf private Karriere und eine fortdauernde öffentliche Rolle erträglich machen. Der Ex-Kanzler müsste zum Beispiel ordentlich ausgestattete Räumlichkeiten samt kleiner Bibliothek (vielleicht gemeinschaftlich mit den anderen Kanzlern) beziehen, ein angemessenes, aber adäquates Büro sowie angemessene Dienstleistungen nutzen können (Fahrerpool).

Wieso müssen Ex-Kanzler zur AK-Niederösterreich, zum ÖVP-Club, zur Wiener Städtischen oder einfach ins Privatleben abtauchen? Das ist nicht einzusehen.

Im Gegenzug könnten die Ex-Kanzler(innen) zu gewissen Lehrtätigkeiten, medialen und diplomatischen Aktivitäten sowie repräsentativen Tätigkeiten verpflichtet werden (internationale Lehrtätigkeiten wären vom Vertragsverbot ausgeschlossen, sofern sie nicht remuneriert wären). Aufsichtsratsposten wären möglich, allerdings nur ehrenamtlich.

Eine solche Stiftung könnte die Republik ohne weiteres stemmen. Sie könnte ihr ein würdigeres Erscheinungsbild sichern und den Ex-Kanzlern den Druck nehmen, kraft ihres Amtes (was immer das bedeutet) den Sprung in die Wirtschaft zu orchestrieren. Würdegewinn für alle Beteiligten wäre garantiert, für die Republik Österreich zuerst.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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