Im Lager. Versuch eines Weihnachtsfeuilletons.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 608

Armin Thurnher
am 24.12.2021

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Was wollte ich sagen? Ich war mitten in einer Kurzserie über paradoxen Patriotismus. Aber ich muss unterbrechen, Sie wissen schon warum. Erstens ist heute der 24. Dezember, und in den Blättern des Landes herrscht Verlogenheitsgebot. Aber einen landestypischen Herausgeber-Chefredakteur-Weihnachtskommentar zu schreiben bringe ich nicht übers Herz, und würde ich hundert Jahre alt.

Andererseits bin ich hinreichend verösterreichert, um zu wissen, dass der Giftschrank heute geschlossen zu bleiben hat. Schwierige Aufgabe. Schon allein um des häuslichen Friedens willen schwieg ich zu all dem Schönen, was mir letzthin widerfahren ist. Wie hart es mich ankommt, können sie an der Zahl und am Ehrgeiz derer ermessen, die bei ihrer Kritik am Falter und an mir schon alles gegen sich selbst unternehmen, was sie können, aber doch darum betteln, dabei von mir noch auf Hochglanz poliert zu werden. So sehr ich dazu geneigt wäre, heute versage ich es mir.

Bin selber schuld an alledem selbstverständlich, was bin ich auch Herausgeber einer „Lagerzeitung“. Immerhin hat diese mittlerweile so viel an Bedeutung erlangt, dass auch ihre, sagen wir einmal, weniger zentralen politischen Äußerungen politische Leidenschaften entfesseln können.

Wovon man aber nicht sprechen darf, davon schweige man. Die patriotische Kurzserie muss halt noch ein wenig länger pausieren. Wenn ich überlege, wieviele Kurzserien ich schon angefangen und in den Serienkühlschrank gelegt habe, fröstelt mich ein wenig, aber gut.

Ersatzweise möchte ich Ihnen erzählen, wie mir der Begriff „paradoxer Patriotismus“ einfiel, der ja in der österreichischen Öffentlichkeit seine verdiente breite Würdigung und Diskussion erfuhr, wie so vieles andere von mir und den Meinen im Lager Gesagte.

Das Konzept ergab sich mir, als ich ein Buch schrieb. Es war wie beim „Feschismus“, es war eine Art Weihnachtswunder, eine kleine Offenbarung im Frühsommer, denn im Frühsommer schrieb ich immer diese Österreichbücher zu Ende, die dann im Herbst erschienen und in den hiesigen Medien aufgrund ihrer Thesen so einen unglaublichen Lärm machten und so kontroversiell diskutiert wurden, dass ich jedesmal gar nicht mehr wusste, wer ich sei und wie ich heiße. Das wird mir in diesen Tagen lebhaft in Erinnerung gerufen, danke auch dafür.

Ok, ganz so war es nicht, nicht einmal fast, aber diese Momente, da einem etwas einfällt, zufällt, in die Finger fährt, die da im Flow tippen oder notieren, die bleiben glückhaft in Erinnerung. Der „Feschismus“ kam, als ich vor 23 Jahren über den Zielraum von Kitzbühel schrieb, dem nun das Virus vermutlich wieder den Garaus machen wird. Ich weiß noch, ich schrieb und schrieb, ich schrieb mir die dicht an dicht gedrängten Körper herbei, die Gröhler, die Promis auf der Ehrentribüne, die rotweißrot geschminkten Wangen, den aufpeitschenden Stadionsprecher, die Musik, die Fahnen, den blauen Himmel, den Jörg im Daunenjanker, das schneestaubende Abschwingen des Siegers samt flinkem Productplacement der Skimarke, die aufschäumend hündische Unterwürfigkeit der Reporter und wie fesch und abgrundtief abgründig das alles war und ewig bleibt, und auf einmal stand er da auf dem Blatt, der Feschismus.

Wer schreibt, kennt es, das Erscheinen eines gelingenden Wortes mit einem zarten lautlosen „Pling“. Ein Engel ist hereingekommen, sagt man auf Griechisch, wenn unversehens Schweigen im Raum eintritt. Ich sage es mir manchmal auf Altgriechisch vor, weil es wunderbar klingt, und weil es kein Engel ist, sondern der Götterbote Hermes, der vielgesichtige und vielbegabte Schlingel, der da mit einem Einfall hereinkommt und freudiges Schweigen gebietet.


Beim „paradoxen Patriotismus“ war es nicht viel anders. Ich dachte schreibend nach, darüber, warum man ein Land nicht lieben kann, warum es einem aber so stark auf die Nerven gehen kann, und ob man es nicht doch lieben können dürfen müsste. Ich bin ein Schreibdenker. Es gibt Gehdenker und Fahrradfahrdenker und gewiss Denkerinnen von Arten, die mir völlig verschlossen bleiben; bei Erdarbeiten zum Beispiel kann ich überhaupt nicht denken, da werde ich monoton im Kopf und eine läppische Phrase wiederholt sich in mir bis zur Erschöpfung. Ich kann nur, also hauptsächlich nur schreibend denken.

Es mag sein, denke ich, nun nicht mehr an mich, sondern an mich und die anderen denkend, dass deswegen mehr Gift in unsere öffentlichen Auseinandersetzungen rinnt, weil wir sie immer weniger direkt miteinander führen können. Das Virus stellt uns aber nur klar vor einen Tatbestand, der zuvor schon erfüllt war. Homeoffice, Arbeit in Isolation ist nur die Vollendung der digitalen Vereinzelung.

Statt dass uns davor prometheische Scham ergriffe, wie das schöne Weihnachtswort eines zu Unrecht in den Hintergrund getretenen, in Wien verstorbenen Philosophen lautet, lassen wir uns vom algorithmischen Gift noch aufputschen. Der Philosoph ist Günther Anders, der eigentlich Günther Stern hieß, auch das ein Grund, seiner zu Weihnachten zu gedenken, dem strohsternigen Fest, und der mit der Philosophin Hannah Arendt verheiratet war, ein Grund, ihn zu beneiden oder auch nicht, denn die Ehe ging schon in der erzwungenen Emigration in Paris in die Brüche. Anders und Arendt waren Juden, naturgemäß, sie flohen vor den Nazis, und von Arendt habe ich vor, Ihnen morgen schon – falls nicht der nimmermüde Epidemiologe Zangerle oder anderes interveniert – eine spezielle Glücksgeschichte zu erzählen, zum Bedauern höchstens jenes Teils des Publikums, das ungeduldig auf den paradoxen Patriotismus wartet.


Die freundlichstmögliche Version des Bildes einer „Lagerzeitung”, die der Autor auftreiben konnte. Foto @ makameme.org

Wer im Eingedenken von Glücksmomenten feiert, sollte seine Unglücksmomente nicht vergessen. Als ein kommentierender Kollege, vom Falter heuer das eine oder andere Mal herb kritisiert, in seiner Zeitung den Falter nun eine „Lagerzeitung“ nannte, dachte ich kurz darüber nach, ob er Schwechater meinte oder Amazon oder gar, ob er sagen wollte, in unserem Lager sei keine Familie oder Partei, sondern Österreich. Über das Lager und die Lagerzeitung werde ich noch weiter nachdenken, es kommen härtere Zeiten, und ich danke derweil ganz friedlich für all die kritischen Anregungen, welche mir wie Geschenke vorkommen.

Dann verging mir das Lachen und ich dachte an jene, die wie damals Arendt und Anders in der Emigration sind und dazu noch in Lagern, in denen sie nicht sein wollen, ohne Rechte, die sie abstrakt haben, die ihnen konkret aber nichts nützen. Denen wäre ich dann doch gern ein Lagermedium, könnte ich es sein. Ich kann aber weder ihre Lage verbessern noch ihr Lager. Kann nur feststellen, dass es Skandale gibt, an denen unsere jederzeit mobilisierbare Empörungsbereitschaft abgestumpft ist, Skandale, die wir hinnehmen, weil wir ihnen emotional und rational ganz offenbar nicht gewachsen sind.

Ein rettendes Wort für diesen Tatbestand fällt mir nicht zu. Warme Gedanken hege ich für jene, die sie nicht vergessen und für sie kämpfen, sich für sie einsetzen, ihnen zu helfen und ihr Los zu verbessern versuchen.

Mit diesen ganz und gar ungeordneten Gedanken wünsche ich Ihnen frohe Feste.


P.S. Lassen Sie sich nicht von jenen, die zu diesem Zweck Aufregungen schüren, von den neuesten Enthüllungen im Chat-Skandal ablenken. So viel Weihnachts-Unfrieden muss sein.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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