Satiren? Verbieten!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 607

Armin Thurnher
am 23.12.2021

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Satiren, die der Zensor versteht, werden mit Recht verboten. Dieser frivole Satz von Karl Kraus, geschrieben unter den Verhältnissen der k. u. k. Pressezensur, bewahrheitet sich heute in schönster Weise. Der Zensor hat sich auf ein breites Publikum ausgeweitet und zeigt sich gern, wenn Best of Böse erscheint, kurz BoB, die jährliche Satirebeilage der letzten Falter-Ausgabe des Kalenderjahrs.

Dieser Kollektivzensor möchte verbieten, ohne verstanden zu haben.

Der Groll von Teilen des Publikums, algorithmisch in beliebter Weise angefacht von den Social Media, baute sich auf wie eine Omikron-Wand und stürzte über das ganz und gar nicht unschuldige Best-of-Böse-Team herein. Dieses weiß seit jeher, womit es zu rechnen hat. Der Vorwurf der Maturazeitung gehört zu den mildesten, vor allem wenn er von einem beliebten Moderator vorgebracht wird, dessen Äußerungen auf Twitter den Habilitations-Standard in Beleidigte-Leberwurst-Studien täglich höher schrauben.

Die gesamte Art der Falter-Publizistik wird bei Gelegenheit des Erscheinens von BoB endlich als das erkannt, was sie ist, niveaulos und widerwärtig, unter aller Sau, und viele, mit denen jemand von uns irgendwann eine Rechnung aufgemacht hat, vielleicht ohne es zu bemerken, sehen nun die Stunde gekommen, sie zu begleichen, und treiben die unterirdische Sau durchs moralische Dorf.

Andere sind vielleicht nur entsetzt darüber, dass sie auf so etwas wie den Falter so lange hereinfielen. Aber die meisten warten auf ihre Gelegenheit, etwa die ÖVP-Frauen, die mit dem Sexismus-Vorwurf sonst nicht so schnell bei der Hand sind, wenn es um die Instrumentalisierung der Familie geht.


Über Satiren kann man viel sagen, etwa, Satiren, die niemanden aufregen, seien keine guten Satiren. Andererseits sind Satiren, die man erklären muss, meist ebenfalls keine guten Satiren. Ich möchte den Versuch, diese Satire zu erklären, deshalb ausdrücklich nicht als das Eingeständnis verstanden wissen, es handle sich um eine schlechte Satire. Dafür ist zu viel Blindheit im Spiel. Exemplarisch nenne ich eine geschätzte TV-Journalistin, die anhand des corpus delicti twitterte: »3 Männer die einer Frau auf den nackten Busen starren und darüber steht „Geilzeit“? Auf einem Cover? Das darf doch alles nicht wahr sein.«

Es ist eh nicht wahr. Erstens handelt es sich um kein Cover, sondern um die Seite drei von BoB (das Cover zeigt auf goldenem Grund jene, welche die Spitzenplätze der bösen Liste belegen). Zweitens starren die drei Männer gerade nicht auf den Busen der Frau: Kickl starrt in Richtung Kurz, Kurz starrt ins Leere und Schallenberg schaut nach links oben. Drittens ist „Geilzeit“ eine Parodie auf die „Freizeit“-Beilage des Kurier, die von BoB heuer insgesamt als Medium parodiert wird. Viertens ist der nackte Busen, den niemand anstarrt außer den Empörten, Teil eines barocken Gemäldes der heiligen Familie, das hier per Fotomotage verfremdet wird, was übrigens am Rand der Montage gut sichtbar angemerkt ist und sie auch den zuerst vielleicht Überrumpelten kenntlich macht. Fünftens hat die Empörte das Kind vergessen.

Heuchelei pur: Durch den Zensurbalken wird das Bild erst wirklich obszön. Der Bildtitel „Die Liebe“ lautet im Original „Die liebe Familie“, naturgemäß. Schmierkunstwerk des ÖVP-nahen Mediums Exxpress.

So kann man sich täuschen. Wenn man sich gerne täuschen lässt. Am besten hat das Qualitätsmedium Exxpress die Lage erfasst und sie seinerseits mit einem Cover und einer Schlagzeile kommentiert, die man wirklich nicht mehr erfinden kann. Bei Darstellungen der „Oligarchennichte“ und der Wirtschaftsexpertin der WKStA waren sie weniger woke. Was hörte man damals von den ÖVP-Frauen?

Statt dass die Empörten nun kurz innehielten und sich fragen, ob ein nackter Nippel wirklich so schlimm ist, wenn er sich auf einem barocken Gemälde zeigt; ob es wirklich verwerflich ist, jemanden zu ironisieren, der das Bild der Familie gnadenlos instrumentalisiert hat (das taten Sebastian Kurz und Susanne Thier immer schön gemeinsam), und der die Existenz eines neugeborenen Kindes vorschob, um seinen durch Skandale erzwungenen Rückzug mit einem PR-gerechten Schmäh zu verbrämen; ob das fromme Sujet nicht einem angemessen ist, der es nicht verschmähte, sich wie ein Messias feiern zu lassen („Vater, wir danken dir so sehr für diesen Mann“); ob es sich tatsächlich um den Körper von Frau Thier handelt oder nicht um den derben Versuch zu zeigen, dass hier eben alles in die skrupellose, wahrheitsverdrehende Schlacht der „message control“ geworfen wurde; ob es nicht einen gewissen Witz hat, dabei gerade den Kurier, das peinliche Haus- und Hofblatt des gewesenen Kanzlers zu parodieren; und ob sich in „Geilzeit“ nicht vielleicht auch ein Hinweis darauf verberge, dass er, der Heilige Sebastian, nunmehr auch Heiliger Josef, einst stolz auf der Kühlerhaube des „Geilomobil“ genannten Hummer posierte, nicht ohne beistehende Mädchen. Wo waren sie damals, die ÖVP-Frauen?


In schlichten Worten: Es geht in diesem Bild nur darum, Leute zu verarschen, die ihrerseits das Bild der Familie und vieles andere missbraucht haben, um das Publikum zu verarschen. Es geht darum, Leute mit einer drastischen Inszenierung zu verarschen, die uns vier Jahre lang mit drastischen Inszenierungen verarscht haben!

Was ist obszön (ohne mich auf diesen Begriff einzulassen, sonst wird es noch länger): der gemalte barocke Nippel einer barocken Madonna mit Frau Thiers aufmontiertem Antlitz oder die Untat, um eines persönlichen politischen Vorteils willen alleinerziehenden Frauen mehr als eine Milliarde für die Nachmittagsbetreuung von Kindern zu entziehen (man könnte viele andere Untaten nennen)?

Statt sich das zu fragen, sudern die Zensorinnen im Namen des guten Geschmacks (welch fortschrittlicher Begriff!) einfach los, weisen auf gemutmaßte Autorschaften hin, fordern personelle Konsequenzen und bedauern, dass ihnen nur die milden Mittel der Anrufung des Presserats zur Verfügung stehen – der, wenn er bei Trost ist, den Teufel tun wird – und nicht die etwas drastischeren der Inquisition. Auf die Streckbank mit dem BoB-Team, dann kriegen wir schon aus euch heraus, wer ihr seid und was ihr wirklich wollt. Dann bekennt ihr, was ihr für welche seid, ehe wir euch die Haare scheren und euch nackt durchs Dorf treiben, ihr Schweine!

Dass nun FPÖ-Lemuren auftreten und fordern, man möge uns Inserate und Presseförderung streichen, zeigt ja, dass nicht alles verloren ist. Aber dass Menschen aus Generationen, in denen das öffentliche Herzeigen der weiblichen Brust zwecks Stillen des Nachwuchses als stolzes Zeichen von Emanzipation galt, da mit einstimmen? Gut, man kann sagen, dass der Oben-Ohne-Zwang, der von Frauen ebenso als Freiheitszeichen verstanden wurde, vielleicht eine klammheimlich neoliberale Seite der 68-Revolte offenbarte, kommerzialisierte Sexualisierung. Aber war nicht einst Nacktheit ein Anliegen von Befreiungsbewegungen? Und nun diese Prüderie! Diese aus den USA importierte Sexangst, die auf Fotos von Kleinkindern mit dem Marker Unterhosen malt, damit die Zensur nicht Kinderpornographie vermute! Diese auf Nipplegates geile nippelzensurierende, verlogene, bigotte Gesellschaft.

Dieses neue Biedermeier versteckt seine Pornos nicht als Stahlstich in der Schublade, sondern auf dem Rechner. Aber wenn eine gemalte barocke Brustwarze auftaucht, die sogar offen im Metropolitan Museum in New York aushängen darf, fällt es in Ohnmacht. Das ist alles irregeleitet, unreflektiert und, ja abseits der üblichen Zyniker und Falterfeinde, die aus den genannten Gründen ihr Stündchen gekommen wähnen, beklemmend spießig.

Vielleicht das Beklemmendste: das woke Spießertum fällt mit dem Entsetzen der gekränkten Kurzfans in eins.

Solche Leidenschaft gegen Meinungsfreiheit und für Zensur zeigt, dass da mehr drin ist.


Eine schrieb, wir sollten uns einäschern.

Lassen Sie sich nicht davon abbringen, die neuesten Schmid-Chats zu lesen.

Und nein, danke, keine weiteren Respektbezeigungen für mein Alter.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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