Kaiser, Wasserhund, Schüssel, Schlingensief – Österreich im Wendejahr 2000

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 606

Armin Thurnher
am 22.12.2021

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

So, jetzt habe ich das Ding mit dem paradoxen Patriotismus angefangen, aber vielleicht kann das noch produktiv werden. Das Echo zeigte mir, dass der Begriff etwas anrührt. Ich habe es angefangen, jetzt müssen Sie durchhalten, bis zur Erlangung des Weihnachtsfriedens.

Ich las mich in meinem alten Buch Heimniederlage (nur noch antiquarisch erhältlich) fest, und siehe, es wurde mir klar, das bei allen Differenzen die Anfänge unserer türkisen Misere in die Schüsseljahre zurückreichen. Deswegen gibt’s heute die Schilderung eines Doppelereignisses, Karl V. und Schlingensief, zwei Medienpersonen besonderer Art. Den Theatermann Christoph Schlingensief, das Genie der Provokation, den kennen Sie noch, aber Karl V.? Er war jener Habsburger, in dessen Reich die Sonne nicht unterging, zeitlebens mit dem Tross durch Europa unterwegs, das Reich und die römische Kirche verteidigend, gegen die Reformation und das freche Mönchlein Luther, das ihm medial unendlich überlegen war. Luther hatte die moderne Druckerpresse und seine demagogischen Flugblätter, während Karl die Herrlichkeit seiner Herrschaft auf behäbigen, wertvollen Gobelins präsentierte, die er stets mit sich führte und ausstellte.

Wir schweifen ab!

Bleiben Sie bei mir, wir gehen zurück ins Jahr 2000, als Wolfgang Schüssel (ÖVP) das Tabu brach und mit der FPÖ des rechten Jörg Haider koalierte. Diese Zeit habe ich beschrieben, morgen folgt dann noch ein zweiter Bericht, und rechtzeitig zum 24. 12 werde ich den verlorenen Text vom paradoxen Patriotismus restauriert haben. Den mögen Sie einander dann unter der paradoxen Tanne vor der paradoxen Krippe nach Absingen paradoxen Liedguts vorlesen.

Jetzt zu Schüssel, mit dem viel Unheil begann, aber – wie man sehen wird – doch auf anderem Niveau als es uns in de vergangenen Jahren zugemutet wurde. Ein Trost? Nicht wirklich. Wir zahlen sie noch immer, die Rechnung, die er damals aufmachte.


»15. Juni 2000, ein heißer Abend. Ich schlenderte nicht ganz absichtslos durch Wien, hatte vor, ein Feuilleton über den Stand der Dinge abzufassen. Jeden Donnerstag Abend treffen sich seit der Bildung der schwarz-blauen Koalition Demonstranten am Ballhausplatz, um irgendwohin zu marschieren, geleitet von einer noch immer erstaunlich toleranten Polizei. Auch wenn den Beamten die Demos schon auf die Nerven gehen, die Boulevardblätter ihre Hetze allmählich verschärfen, verläuft alles bis auf wenige Ausnahmen friedlich. Die Krone brachte sogar den Leserbrief einer betagten Dauerdemonstrantin, allerdings nur um den Hohn vieler weiterer Leserbriefe über sie zu ergießen. Anfangs hatten sogar einige Polizisten von ihren Gewissenskonflikten berichtet (manche sagten, sie hätten selbst gern demonstriert; wir sind im Roten Wien), und der Wiener Polizeipräsident selbst hatte seine Tochter von einer Demonstration abgeholt, die Teilnahme durchaus nicht missbilligend. Ehemalige Kanzler und Minister fanden sich anfangs unter den Demonstranten. Jetzt aber, an diesem Juniabend, schien schon etwas die Luft draußen.

Ich ging schnell hinüber ins Kunsthistorische Museum, wo am gleichen Abend, keine 300 Meter Luftlinie entfernt, die Ausstellung „Kaiser Karl V. –

Jakob Seisenegger: Kaiser Karl V. mit seinem englischen Wasserhund, 1532 Bild Kunsthistorisches Museum

Macht und Ohnmacht Europas“ eröffnet werden sollte. Festredner: der Bundeskanzler. Überall in der Stadt hingen Plakate mit dem Tizian-Porträt des Habsburgers, auf dem dessen Gemächtschutz provozierend aus dem Goldwams ragt. Mit dem rechten Zeigefinger deutet Karl darauf, von links schnuppert ein mächtiger, weißer englischer Wasserhund (andere sagen, eine Ulmer Dogge) daran. Ohne ein weiteres österreichisches Spezifikum daraus machen zu wollen: Alle haben es gesehen, niemand hat davon geredet.

Im summenden marmornen Kuppelsaal Hunderte Konservative, die Blüte des Wiener Konservativismus, so dicht, wie man sie nicht einmal bei Jubiläen der Presse findet. Dort drängt sich noch der eine oder andere Liberale oder Sozialdemokrat dazwischen. Nicht hier. Geschlossen schwitzten die repräsentativen Kulturalisten, eine Stunde fast mussten sie dunsten, ehe ihr Kanzler eintraf, begrüßt mit enthusiastischem Applaus. Wenn das die Demonstranten wüssten, dachte ich. Der holländische Festredner Wim Blockmans warnte davor, angesichts des Renaissance-Themas leichtfertige Parallelen zur Gegenwart zu ziehen. Schüssel hatte offenbar genau das vorgehabt, disponierte aber geschickt aus dem Stegreif um, vermied die Antwort auf den Vorredner, wo sie angebracht gewesen wäre („Politik verhält sich sträflich untätig gegenüber dem Diktat der kommerziellen Massenmedienkultur“), holte sich nur ein paarmal den sicheren Applaus („unser Traum ist ein partnerschaftliches, kein zentralstaatliches Europa“) ab.


Während Schüssel mit der Prominenz die Ausstellung besichtigte (ich ging nicht mit, das Thema „Karls Gemächt“ blieb sicher ausgespart), brachen beinah schweigend und routiniert, nur von etwas Getrommel akkompagniert, die Demonstranten vom Ballhausplatz auf. Knapp 1500 mögen es gewesen sein. Es konnte an diesem Abend für sie nur ein Ziel geben: Die von Christoph Schlingensief als Projekt der Wiener Festwochen errichtete Container-Stadt. Schlingensief spielte seit Beginn der Woche auf die Welt der Real-Soap-Operas nach dem Muster von „Big Brother“ an. Gefüllt mit Asylanten, geschmäht von der Kronen Zeitung, umstritten von den Bösen und gefeiert von den Guten stand seine Aktion eine Woche derart im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, dass man schon allein deswegen den Hut vor Schlingensief ziehen musste. Er holte das Beste aus allen Akteuren, er motivierte FPÖ und Kronen Zeitung von Tag zu Tag mehr, bis diese endlich seine Aktion mit einer Schlagzeile krönte: „Container-Show kostet Millionen.“ Festwochen-Chef Luc Bondy sei zufrieden, berichtete die Krone, „er brauchte den Provokateur Schlingensief, um seine Kunstschickeria zufrieden zu stellen“. Der Wiener Kulturstadtrat Peter Marboe musste sich von Krone-Herausgeber Hans Dichand eine „Steuergeld vernichtende Niete“ nennen lassen und fasste strafweise eine fette, fiese Kampagne aus, weil er zu Recht auf der Freiheit der Kunst beharrte und den geforderten Eingriff verweigerte. Die FPÖ weiß in solchen Fällen Rat: Freiheit der Kunst im Allgemeinen ja, aber das hier ist keine Kunst!

Provokateur Schlingensief hatte die Republik Dichand in den Schlingen seines Doublebind gefangen: Wer gegen die Entfernung des Transparents „Ausländer raus“ war, sprach sich scheinbar für dessen Inhalt aus; wer es entfernen wollte, gegen die Freiheit der Kunst. Die Ebene des Theatralischen (alles wird Theater, sobald es auf der Bühne passiert) tat ein Übriges. Denn der Doublebind, so zeigte Schlingensief, ist die Verfahrensweise der österreichischen Politik. Wie sonst soll man verfahren, fragte der Philosoph Burghart Schmidt, wenn „das offizielle Österreich die Satire methodisch zur Verblödung Europas und Österreichs selber einsetzt?“ Zum Beispiel Kanzler Schüssel: Löst erst die Sanktionen aus, schlägt alle Warnungen in den Wind und vergattert dann die Bevölkerung zum nationalen Schulterschluss. Das gleiche Spiel mit Europa: Er fordert das Ende der Sanktionen und erschwert es zugleich durch Drohungen. Schlägt selbst ein Monitoring vor und lehnt es, wird es angeboten, ab, weil sich die Lage stabilisiert habe.

Wie der Kanzler und sein Widerpart, der Landeshauptmann von Kärnten, aneinander gebunden sind, grenzt an eine doppelmasochistische Doppelmasche.

Den Höhepunkt seiner Inszenierung schenkten Schlingensief jedoch die Demonstranten. An jenem Donnerstag bewegten sie sich mit gelassener Sicherheit auf die Staatsoper zu, neben der Schlingensiefs Container-City in einem abgezäunten Areal stand, geschmückt mit dem provokanten Slogan „Ausländer raus“, mit Logos der Kronen Zeitung und der FPÖ und mit Fotos der „Asylanten“. Die Menge versammelte sich vor dem Platz, eine Frau und ein Mann durchbrachen die Abzäunung und erkletterten das Dach. Die Security griff nicht ein, als der Demonstrant versuchte, das hölzerne Schild mit dem Slogan zu zertrümmern und die Demonstrantin Widerstand-Slogans auf die Reste sprühte.

Schlingensief beobachtete die Szenerie gelassen. Ohne sichtbare Regung nahm er den Jubel zur Kenntnis, als das Schild fiel. Nun war es ihm gelungen, auch diese Akteure in sein Spiel „Bitte liebt Österreich!“ zu integrieren. Schlingensief hatte die Demonstranten in ihrer Doppelrolle vorgeführt: zugleich Gegner des rechten Chauvinismus und linke Patrioten. Schulterschluss auch hier!


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Seuchenkolumne finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!