Das Österreich, das ich mag.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 604

Armin Thurnher
am 20.12.2021

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Irgendwann gingen mir die Österreichfahnen auf Coronademos, die türkisen Österreichchauvinisten, die Sportgrunzer und die Kulturheuchler so stark auf die Nerven, dass ich begann, eine kleine Litanei aufzuschreiben.

Mir fiel ein Moment ein, als Lukas Resetarits im Bildungsministerium oder wie immer es gerade hieß, also am Minoritenplatz einen großen Preis erhielt und in seiner Dankesrede, es war 2012, unversehens sagte, er sei etwas, das ich einmal einen „paradoxen Patrioten“ genannt hätte. Da riss es mich, aber vor Freude, es war unverhofft und ich fühlte mich verstanden. In meinem Buch „Heimniederlage. Nachrichten aus dem neuen Österreich“ , hatte ich das geschrieben, es ist noch viel länger her, dass dieses erschien, 2000 war das, vor mehr als zwanzig Jahren. Werde ich vielleicht hier wieder einmal abdrucken.

Mittlerweile hat es zahlreiche Versuche gegeben, sich den Heimatbegriff nicht von den Arschlöchern entwenden zu lassen. Den Sepp Forcher, den lieben alten Giuseppe, habe ich immer zu diesem paradoxen Österreich gerechnet, das man lieben musste, obwohl man das offizielle, das verlogene Österreich nicht mögen kann, ja an ihm leidet wie ein Hund. Als paradoxer Patriot liebt man das mögliche Österreich, nicht jenes, das existiert.

Sepp Forcher Foto: ORF

Jetzt starb der Forcher, der Führer in ein fremdes, aber liebenswertes Land, mit dem ein anderer Südtiroler, der Matthias Dusini, im übrigen vor nicht allzu langer Zeit ein feines Interview machte, das im Falter erschien, und ich suchte meine Litanei heraus und sah nach, ob der Forcher wohl drin vorkam.

Das tut er nicht, aber der Idee nach vielleicht schon, jetzt steht er in diesem Text, und ich ziehe zum Abschied meinen Hut vor ihm, ehe die Schleimdusche der Verlogenen über ihn herniedergeht und womöglich auch der unforcherischste alle Österreicher, der rotplutzerige Herr Sobotka seiner gedenkt, seiner, denn „gedenken“ zieht, anders als uns die Schaumgummihirne vorplappern, den Genitiv nach sich, ehe also jener des Giuseppe Forchers gedenkt, der stets den Hut so manierlich vor uns zog, manierlich, aber nicht penetrant, gedenke lieber ich seiner, des Forchers.

Und jetzt zu meiner unfertigen Litanei, die alle für sich fortschreiben mögen (für alle Litaneiunkundigen: nach jeder Fürbitte kommt ein im Chor gesprochenes „bitt für uns!“), man kann sie auch als Abschied an den Giuseppe verstehen.

Das Österreich, das ich mag, ist also:

Das Österreich der Falterleserinnen und -leser

Das Österreich der freiwilligen Feuerwehren

Das Österreich der Kerzerlträger

Das Österreich von Radio Ö1

Das Österreich der Amateurorchester

Das Österreich der letzten Anarchisten

Das Österreich des Klangforum

Das Österreich der Viennale und des Filmmuseums

Das Österreich der geschickten Pfuscher

Das Österreich der Bergführer und Skilehrer

Das Österreich der Wurzelseppen und Heiler

Das Österreich der Caritas

Das Österreich der Gärntnereien und Baumschulen

Das Österreich der menschenfreundlichen Industriellen

Das Österreich der Bodenseeschifffahrt

Das Österreich der Wegemacher und Wetterkundigen

Das Österreich der Köchinnen und Köche

Das Österreich der Barmherzigen

Das Österreich der Reparaturwerkstätten

Das Österreich der aussterbenden Handwerke

Das Österreich der Kathedralen

Das Österreich der Buchverlage

Das Österreich der Feldwege

Das Österreich der nicht gerontophoben Feministinnen

Das Österreich der Heurigen

Das Österreich der Hilfsbereiten

Das Österreich der Grazer Kommunistinnen

Das Österreich der Lateiner und Gräzistinnen

Das Österreich der Flüchtlingsbetreuenden

Das Österreich der Obdachlosenhilfe

Das Österreich der Komponistinnen und Komponisten

Das Österreich der Fahrradwerkstätten

Das Österreich der Bundesbahnen

Das Österreich der Naturschützer

Das Österreich der Pflegerinnen und Pfleger

Das Österreich der stillen Trinker

Das Österreich der kritischen Mediziner

Das Österreich der Wirtshäuser

Das Österreich der Lagerhäuser

Das Österreich der Holzhäuser

Das Österreich des Bregenzerwalds

Das Österreich der journalismusskeptischen Journalisten

Das Österreich des Waldviertels

Das Österreich der Himmelsteiche

Das Österreich der großen Orchester

Das Österreich von Wien

Das Österreich von Wien Modern

Das Österreich im Schnee

Das Österreich der alten Häuser

Das Österreich der ungeahnten Möglichkeiten

Das Österreich der uneingemeindeten Juristinnen und Juristen

Das Österreich der kleinen Kabarettisten und Gangster mit Herz

Das Österreich der aufgeklärten Frommen

Das Österreich der frommen Aufklärer

Das Österreich der gutwilligen Jäger

Das Österreich der ungläubigen Herrgottsschnitzer

Das Österreich der aussterbenden Kolporteure

Das Österreich des aufgeklärten Adels

Das Österreich der Schneiderinnen und Schneider

Das Österreich der überlebenden Innenstädte

Das Österreich der Waschstraßen

Das Österreich der ernsthaften Biobauern

Das Österreich der paradoxen Patrioten

Das Österreich der gemäßigt Korrupten

Das Österreich der letzten Schwarzen

Das Österreich der letzten Sozialisten

Das Österreich der ersten Kommunisten

Das Österreich der Hilfsbereiten

Das Österreich der Klettersteige

Das Österreich der genderbeflissenen Männer

Das Österreich der männerverstehenden Frauen

Das Österreich der Milchpilze

Das Österreich der kalten Bergseen

Das Österreich der Preisträger und Weinköniginnen

Das Österreich der Ungekrönten

Das Österreich der gebildeten Gewerkschafter

Das Österreich der Titellosen…

(undsoweiter ad infinitum)

… bitt für uns!


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Seuchenkolumne finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!