Das Österreich, das ich mag.
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 604
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Irgendwann gingen mir die Österreichfahnen auf Coronademos, die türkisen Österreichchauvinisten, die Sportgrunzer und die Kulturheuchler so stark auf die Nerven, dass ich begann, eine kleine Litanei aufzuschreiben.
Mir fiel ein Moment ein, als Lukas Resetarits im Bildungsministerium oder wie immer es gerade hieß, also am Minoritenplatz einen großen Preis erhielt und in seiner Dankesrede, es war 2012, unversehens sagte, er sei etwas, das ich einmal einen „paradoxen Patrioten“ genannt hätte. Da riss es mich, aber vor Freude, es war unverhofft und ich fühlte mich verstanden. In meinem Buch „Heimniederlage. Nachrichten aus dem neuen Österreich“ , hatte ich das geschrieben, es ist noch viel länger her, dass dieses erschien, 2000 war das, vor mehr als zwanzig Jahren. Werde ich vielleicht hier wieder einmal abdrucken.
Mittlerweile hat es zahlreiche Versuche gegeben, sich den Heimatbegriff nicht von den Arschlöchern entwenden zu lassen. Den Sepp Forcher, den lieben alten Giuseppe, habe ich immer zu diesem paradoxen Österreich gerechnet, das man lieben musste, obwohl man das offizielle, das verlogene Österreich nicht mögen kann, ja an ihm leidet wie ein Hund. Als paradoxer Patriot liebt man das mögliche Österreich, nicht jenes, das existiert.
Sepp Forcher Foto: ORF
Jetzt starb der Forcher, der Führer in ein fremdes, aber liebenswertes Land, mit dem ein anderer Südtiroler, der Matthias Dusini, im übrigen vor nicht allzu langer Zeit ein feines Interview machte, das im Falter erschien, und ich suchte meine Litanei heraus und sah nach, ob der Forcher wohl drin vorkam.
Das tut er nicht, aber der Idee nach vielleicht schon, jetzt steht er in diesem Text, und ich ziehe zum Abschied meinen Hut vor ihm, ehe die Schleimdusche der Verlogenen über ihn herniedergeht und womöglich auch der unforcherischste alle Österreicher, der rotplutzerige Herr Sobotka seiner gedenkt, seiner, denn „gedenken“ zieht, anders als uns die Schaumgummihirne vorplappern, den Genitiv nach sich, ehe also jener des Giuseppe Forchers gedenkt, der stets den Hut so manierlich vor uns zog, manierlich, aber nicht penetrant, gedenke lieber ich seiner, des Forchers.
Und jetzt zu meiner unfertigen Litanei, die alle für sich fortschreiben mögen (für alle Litaneiunkundigen: nach jeder Fürbitte kommt ein im Chor gesprochenes „bitt für uns!“), man kann sie auch als Abschied an den Giuseppe verstehen.
Das Österreich, das ich mag, ist also:
Das Österreich der Falterleserinnen und -leser
Das Österreich der freiwilligen Feuerwehren
Das Österreich der Kerzerlträger
Das Österreich von Radio Ö1
Das Österreich der Amateurorchester
Das Österreich der letzten Anarchisten
Das Österreich des Klangforum
Das Österreich der Viennale und des Filmmuseums
Das Österreich der geschickten Pfuscher
Das Österreich der Bergführer und Skilehrer
Das Österreich der Wurzelseppen und Heiler
Das Österreich der Caritas
Das Österreich der Gärntnereien und Baumschulen
Das Österreich der menschenfreundlichen Industriellen
Das Österreich der Bodenseeschifffahrt
Das Österreich der Wegemacher und Wetterkundigen
Das Österreich der Köchinnen und Köche
Das Österreich der Barmherzigen
Das Österreich der Reparaturwerkstätten
Das Österreich der aussterbenden Handwerke
Das Österreich der Kathedralen
Das Österreich der Buchverlage
Das Österreich der Feldwege
Das Österreich der nicht gerontophoben Feministinnen
Das Österreich der Heurigen
Das Österreich der Hilfsbereiten
Das Österreich der Grazer Kommunistinnen
Das Österreich der Lateiner und Gräzistinnen
Das Österreich der Flüchtlingsbetreuenden
Das Österreich der Obdachlosenhilfe
Das Österreich der Komponistinnen und Komponisten
Das Österreich der Fahrradwerkstätten
Das Österreich der Bundesbahnen
Das Österreich der Naturschützer
Das Österreich der Pflegerinnen und Pfleger
Das Österreich der stillen Trinker
Das Österreich der kritischen Mediziner
Das Österreich der Wirtshäuser
Das Österreich der Lagerhäuser
Das Österreich der Holzhäuser
Das Österreich des Bregenzerwalds
Das Österreich der journalismusskeptischen Journalisten
Das Österreich des Waldviertels
Das Österreich der Himmelsteiche
Das Österreich der großen Orchester
Das Österreich von Wien
Das Österreich von Wien Modern
Das Österreich im Schnee
Das Österreich der alten Häuser
Das Österreich der ungeahnten Möglichkeiten
Das Österreich der uneingemeindeten Juristinnen und Juristen
Das Österreich der kleinen Kabarettisten und Gangster mit Herz
Das Österreich der aufgeklärten Frommen
Das Österreich der frommen Aufklärer
Das Österreich der gutwilligen Jäger
Das Österreich der ungläubigen Herrgottsschnitzer
Das Österreich der aussterbenden Kolporteure
Das Österreich des aufgeklärten Adels
Das Österreich der Schneiderinnen und Schneider
Das Österreich der überlebenden Innenstädte
Das Österreich der Waschstraßen
Das Österreich der ernsthaften Biobauern
Das Österreich der paradoxen Patrioten
Das Österreich der gemäßigt Korrupten
Das Österreich der letzten Schwarzen
Das Österreich der letzten Sozialisten
Das Österreich der ersten Kommunisten
Das Österreich der Hilfsbereiten
Das Österreich der Klettersteige
Das Österreich der genderbeflissenen Männer
Das Österreich der männerverstehenden Frauen
Das Österreich der Milchpilze
Das Österreich der kalten Bergseen
Das Österreich der Preisträger und Weinköniginnen
Das Österreich der Ungekrönten
Das Österreich der gebildeten Gewerkschafter
Das Österreich der Titellosen…
(undsoweiter ad infinitum)
… bitt für uns!
Distance, hands, masks, be considerate!
Ihr Armin Thurnher