Haarige Frage: sind Haarfragen zulässig?
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 601
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Ach, wie kommen oft die Fragen / lustvoll zwischen Pflichten, welche nagen.
Keine Angst, es wird nicht weitergereimt. Ich setzte gerade an, über Entschuldigungen nachzudenken. Welch ödes Thema! Das erste, das jedem dazu einfällt, ist, dass man sich nicht entschuldigen, sondern nur um Entschuldigung bitten kann. Entschuldigen müssen einen jene, die man zu Unrecht mit etwas beladen hat. Sie, die Beleidigten, müssen den Beladenen ihre Schuld abnehmen. Das wissen Sie alles.
Die Frage, ob die ÖVP den Falter um Entschuldigung zu bitten hätte, kann nicht der Falter entscheiden. Der kann es, das hat der Kollege Klenk getan, durchaus anmahnen, wie das auf neudeutsch heißt. Aber wissen, ob sie bittet, muss die ÖVP. Wenn sie dann wieder weiß, wer sie ist, wird sie es wissen. Man muss ja nicht denken, dass mit der Kanzlerwerdung des Karl Nehammer dieser ein anderer und die Neue Volksparte/Liste Sebastian Kurz auf einmal wieder die gute alte ÖVP geworden ist. Unter uns, so gut und alt war sie gar nicht.
Aber was das süße Kurz-Gift, diese Mischung aus Erfolgsgarantie und moralischer Korruption, aus der ÖVP gemacht hat, ist schon beachtlich, und die ersten Worte des Neukanzlers Nehammer ließen einen gewissen Optimismus aufkommen, dass sich doch etwas anderes bemerkbar mache: nennen wir es Seriosität, Ernsthaftigkeit, was immer.
Wenn ein Höchstgericht nun ein klares Wort spricht, wirft das auch ein Schlaglicht darauf, was die ÖVP im Bemühen, im Streit mit dem Falter zu siegen, aus sich gemacht hat. Sie wollte im Stil einer Orbán-Partei ein Medium mit einer Klage einschüchtern, von der sie genau wusste, dass sie haltlos war. Sie versuchte, eine korrekte Recherche als unkorrekt dazustellen und sie griff nicht nur hier zum Mittel des Prozesses. Dazu erklärten ihr zugetane Medien (ob in echter oder käuflicher Liebe, ist egal), der Falter verbreite Fake News, sei Fälschungen aufgesessen, habe schlampig recherchiert und dergleichen. Dass der Herausgeber des Falter ein linksradikaler Sexist ist, versteht sich.
Ich höre jetzt auf, denn ich habe gesagt, was ich sagen wollte. Und komme damit zum Bonusteil.
Der neue, von der ÖVP nominierte, parteilose Bildungsminister heißt Martin Polaschek und hat lange Haare. Verschiedene Medien fragten ihn danach. Besonders lustig war das dann auf Twitter, weil Moderator Armin Wolf, der den wohlfrisierten Herrn Polaschek in der Zeit im Bild Zwei ebenfalls haarklein befragt hatte, naturgemäß nicht faul ist, wenn man ihm am Zeug flickt.
Martin Polaschek, Bildungsminister Foto: Wikipedia
Eine Debatte wurde es deswegen noch lange nicht, obzwar der Standard-Redakteur Thomas Mayer, der einzige österreichische Journalist mit europäischer Perspektive, Wolf haarspalterisch tadelte: „Tut mir leid, aber so redet man nicht mit einem neuen Bildungsminister beim ersten TV-Interview. Martin Polaschek war viele Jahre Rektor einer wichtigen Universität, und ist kein dahergelaufener Dummi. Der Tonfall ist unangebracht.“ Wäre Mayer 300 Jahre früher geboren worden, hätte er in Johann Christoph Gottscheds berühmtem Blatt „Die vernünftigen Tadlerinnen“ gewiss gute Figur gemacht.
Es war natürlich nicht Wolfs Tonfall, der redete wie sonst immer. Es waren die Haare, wie Mayer gleich klarstellte, als Wolf sich wehrte. „Die Frage nach langen Haaren des Ex-Rektors war peinlich.“
Da war es nun heraußen. Haare? Haare!
Bekanntlich ist Feuilleton die Kunst, auf einer Glatze Locken zu drehen, und diese Kolumne versteht sich, wenn es ihr zupass kommt, durchaus als kleines Feuilleton. Darf man also einen Mann auf sein Äußeres, auf seine Haare ansprechen?
Lächerliche Frage. Selbstverständlich darf man, wenn er ein vom Durchschnitt abweichendes äußerliches Merkmal aufweist, das auf seiner freiwilligen Entscheidung beruht. Bei natürlichen Merkmalen ist selbstverständlich Sensibilität angesagt. Also: rasierte Glatze = Thema. Naturglatze ≠ Thema. Niederösterreichische Herrschaftsglatze = Streitfall.
Das gleiche gilt auch für Frauen und alle anderen Personen, was Protofeminist Wolf zwar gleich wieder abmildern wollte, aber es ist nicht einzusehen, warum das anders sein sollte, wenn sich eine Frau mit einer modischen Äußerlichkeit bemerkbar machen möchte. Das ist Paternalismus, aber progressiver Paternalismus.
Wolf warf auch wissenschaftlich-politologische Ausführungen in den Raum, wonach nicht mehr die politische Einstellung, sondern das äußere Erscheinungsbild über den Erfolg von Politik entscheiden. Ja, soviel ist bekannt. Man könnte Mayer auch daran erinnern, dass der Kanzler seines Herzens nicht zuletzt durch seine Frisur aufgefallen war. Sowohl der Friseur als die Kosten des sorgfältigen Groomings waren Dauerthema, die ästhetische Sorge um sich selbst geradezu ein Erkennungszeichen türkisen Wesens, und die Geste des zärtlichen Über-Sich-Selbst-Drüberstreichens ein Emblem des regierenden Narzissmus.
Sehr gern hätte ich gesehen, wäre das im TV öfter zum Thema geworden. Darüber wurde – in Anbetracht der Bedeutung dieses Haarbildes – viel zu wenig gesprochen.
Dem neuen Bildungsminister, der jedenfalls in Sachen Selbstanpreisung kein Waisenknabe ist, war’s nur recht. Er hat Freude an seiner Matte und an der Aufmerksamkeit, die sie erregt.
Letzten Endes muss man das Wort vom „Staatsschauspieler“ nicht an den Haaren herbeiziehen. Das politische Haar war früher meist weiß, schütter oder silbern; jedenfalls aber kurz. Davor wallten Haare und wucherten Bärte, bei Revolutionären, aber auch bei Bürgern. Von den Perücken fangen wir gar nicht erst an. An Bärte und lange Haare knüpften die 68er an, aber mittlerweile herrscht wieder Uneindeutigkeit. Bei einer altersmäßig reiferen Figur wie Donald Trump war die absurd-eitle Haarpracht ein Dauerthema; Boris Johnson tut es ihm mit seiner englisch-spleenigen Missachtung jeder Frisur gleich, die Missachtung ist dabei eine ziselierte Kunstform. Das Kurz’sche Hybrid war interessant, aber von geringer Dauer.
Die unaufdringliche Frisur Angela Merkels war ein Statement der gegenteiligen Art – fragt mich nicht nach meinem Haar, mir ist anderes wichtig, sagte dieses. Ihr eine Frage danach zu stellen, wäre wahrlich unangebracht gewesen. Herr Polaschek, unser Minister für langes Haar und noch unter Beweis zu stellende Fähigkeiten, bettelt hingegen darum. Armin Wolf hatte recht, ihn darauf anzusprechen. Ihn selbst wird man erst fragen können, wenn er sich eine Matte wachsen lässt. Thomas Mayer hingegen sollte mehr Gottsched lesen.
Distance, hands, masks, be considerate!
Ihr Armin Thurnher