Der Falter siegt endgültig gegen ÖVP. Der Oberste Gerichtshof beendet das Verfahren mit einer Pointe.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 600

Armin Thurnher
am 15.12.2021

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Diese Kolumne begann im März 2020 als Lebensrettungsunternehmen für mich selbst und artete zum Kampf gegen Seuchen aller Art aus. Sähe man von der Endlichkeit des Autors ab, würde das aus einem zeitlich begrenzten Unternehmen ein ewig dauerndes machen. Sozusagen mein eigenes privates Singularitätsprojekt. Wenn Sie darüber noch lachen können.

Die Pandemie schärft alles, befeuert alles und spitzt alles zu, wie das Krisen halt so tun. Sie ist hypermodern und viral. Zugleich bringt sie vergangene Zeiten wieder, Mittelalter, Aberglauben und Wissenschaftsangst. Zu ihren Ungleichzeitigkeiten gehört, dass eine Seuche des fortgeschrittenen Kapitalismus nicht nur, aber besonders gut unter den Bedingungen der ökologischen Krise entstehen konnte.

Ungern stellt man sich vor, zu welchen sozialen Verschärfungen eine globalen Klimakrise führen wird. Die vortotalitären 1930er Jahre scheinen wiederzukehren. Und am Horizont zieht eine ökonomische Krise auf, die den Funken in dieses hochexplosive Gemisch von Ängsten, aufgewühlten Leidenschaften und gezielten Verwirrungen und Lügen schleudern wird.


Als meine Gedanken sich derart zu verdüstern begannen, klingelte ein Mail der Kanzlei Noll-Keider silbern in meiner Mailbox. Diese trockenen Mails tragen oft den angenehm unaufgeregten Titel „Sonstige Erledigung“. Diesmal sogar „Sonstige Erledigung, Beschluss“. Ich ahnte, was es sein konnte, und zitterte nur ganz leicht, als ich das File öffnete.

Ja, es war der Beschluss des Obersten Gerichtshofs.

Kurz gesagt: Die ÖVP hat ihre Auseinandersetzung mit dem Falter endgültig verloren, der Falter darf behaupten, dass die ÖVP absichtlich die Wahlkampfkostengrenze substanziell überschritt. Manche interpretierten die bisherigen Urteile zu unseren Gunsten in dieser Sache als Grenzfall, ja als einen Fall überdehnter Meinungsfreiheit. Gerade nur der Falter dürfe hauchknapp behaupten, die ÖVP habe manipuliert, ging die Mär.

Der Oberste Gerichtshof machte Schluss damit und bestätigte in seiner Begründung der abgewiesenen Revision noch einmal die Tatsache selbst.

Das ist das schönste Geschenk, das sich der Kolumnist zum 600. Erscheinen wünschen konnte: Recht zu bekommen, und auch noch auf diese Weise. Das Revisionsgericht des Obersten schreibt nämlich in seiner Begründung:

»4.1. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen waren maßgebliche Positionen, obwohl sie dem Wahlkampf zuzuordnen waren, nicht als Wahlkampfkosten gebucht. In der inkriminierten Veröffentlichung sind auch auszugsweise Tabellen abgedruckt, die die unterschiedlichen Buchungsmethoden veranschaulichen. Dabei werden die Ausgaben für das Budget der Nationalratswahl 2019 in drei Spalten, nämlich „Betrag Soll – WK“, „Betrag Soll – nicht WK“ und „Gesamt“ aufgegliedert. Die erste Tabelle („Betrag Soll – WK“) weist eine Summe von 6.345.970 EUR auf, die zweite Spalte („Betrag Soll – nicht WK“) eine Summe von 2.631.712 EUR und die dritte Spalte („Gesamt“) eine Summe von 8.876.781 EUR.

4.2. Wenn die Vorinstanzen bei dieser Sachlage die Äußerungen im inkriminierten Artikel insoweit als von einer ausreichenden Faktenbasis gedeckt einstuften, ist darin keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Vor dem Hintergrund des festgestellten Sachverhalts ist auch die Schlussfolgerung der Vorinstanzen nicht zu beanstanden, dass die Manipulationen bewusst erfolgten.« (Farbliche Hervorhebung AT, Anm.)

Das heißt: der Falter hat korrekt berichtet. Die ÖVP hat Wahlkampfkosten falsch gebucht. Und sie hat diese Manipulationen bewusst vorgenommen.

Das sitzt.


Die Vorgeschichte: Das Handelsgericht Wien hatte im März des heurigen Jahres eine Klage der ÖVP gegen die Berichterstattung des Falter in den wesentlichen Punkten abgewiesen.

Vor der Nationalratswahl 2019 bekam der Falter umfangreiche Unterlagen über die Buchhaltung der ÖVP zugespielt. Wir durchforsteten alles und trauten unseren Augen kaum: Die Partei plante erneut, die gesetzliche Wahlkampfkostenobergrenze von sieben Millionen Euro zu überschreiten. Wie sie es schon 2013 und 2017 getan hatte. Neun statt sieben Millionen sollten es diesmal sein. Kosten, die man für den Wahlkampf ansetzte, wurden einfach unter anderen Konten verbucht, schon war der Etikettenschwindel perfekt. Die ÖVP klagte uns.

Das alles können Sie in den inkriminierten Texten auf der Falter-Homepage nachlesen. Das Urteil des Erstgerichts wie auch jenes der Zweitgerichts und alle wichtigen Recherchen zum Thema finden Sie hier, und meinem Kommentar dazu hier.

Die ÖVP behauptete, wir hätten die Tatsachen verdreht. Wir seien Fälschern aufgesessen, die Dokumente, die wir brachten, seien nicht echt. Als hätte die ÖVP ihre eigene Buchhaltung nicht gekannt. Dann musste sie vor Gericht zugeben, dass das von uns publizierte Material keineswegs manipuliert oder gefälscht war. Sie hatte gelogen.

Die ÖVP hatte geplant, die Kosten zu überschreiten, obwohl sie naturgemäß lautstark das Gegenteil beteuerte. Sie werde nicht mehr als sechs Millionen ausgeben, hieß es, statt der erlaubten sieben. Da waren es in der internen Planung längst schon neun.

Das Gericht gab dem Falter in allen Punkten recht, außer in einem. Die Absicht der ÖVP, nicht nur die politische Konkurrenz und die Öffentlichkeit, sondern auch den Rechnungshof hinters Licht zu führen, konnten wir nicht ausreichend nachweisen. Das mussten wir widerrufen, was wir auch taten.

Die ÖVP jedoch zog vor das Berufungsgericht. Aber auch dort behielt der Falter Recht. Nicht nur das: das Gericht führte aus, dass Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist, in der Verfassung gewährleistet von der europäischen Menschenrechtskonvention, und dass sich die Klage der ÖVP ganz offenbar gegen diese Freiheit politischer Kritik richtete und sie zum Schweigen zu bringen versuchte.

Die ÖVP wollte diese Entscheidung noch immer nicht hinnehmen und legte beim Obersten Gerichtshof Revision ein. Sie verlor, der Falter gewann.

Damit ist das Verfahren endgültig zu unseren Gunsten entschieden. Es sei denn, die ÖVP versucht auch noch den Gang zum Europäischen Gerichtshof.


Man kann versuchen, die Wahrheit zu manipulieren. Erfreulicherweise gelingt das nicht immer. Der ÖVP misslang es. Der Oberste Gerichtshof sprach nun ein klares Schlusswort: die Partei hat bei der Überschreitung der Wahlkampfkosten „bewusst manipuliert“.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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