Ski und Schule: Warum die Schweiz nicht wie Corona-Österreich werden will

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 589

Armin Thurnher
am 02.12.2021

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Heute blickt Epidemiologe Robert Zangerle in die Schweiz und analysiert die Ergebnisse der Corona-Volksabstimmung. Wer hat das Gesetz wo aus welchen Gründen abgelehnt? Was macht die Schweiz besser als wir? Und warum lernen wir nichts vom Kanton Graubünden, der musterhaft mit der Pandemie umging und dessen Wintertourismus florierte? A. T.

»Nur ein einziges Land konnte bisher direkt-demokratisch über die eigenen Covid-Bekämpfungsmaßnahmen entscheiden: die Schweiz. Und das letzten Sonntag bereits zum zweiten Mal. Zweifellos ein Privileg. Ist die Pandemiepolitik der Schweiz damit nun demokratisch besser legitimiert als in jedem anderen Land? Wenn man sich den Abstimmungskampf angeschaut hat, kann man das nicht bejahen. Er stellte einen Höhepunkt der allgemeinen Gereiztheit dar: Ein kleiner Teil versteifte sich sogar darauf, eigentlich in einer Diktatur zu leben. Dementsprechende eskalierten Behauptungen, Vorwürfe, Demonstrationen und Drohungen vor allem in Kantonen der Zentralschweiz. Es war weniger eine Debatte als Dynamit. Das Ergebnis war dann paradoxerweise Stabilität.

In Österreich gibt es das Instrument der Volksabstimmung, welche aber nur auf Verlangen des Parlamentes zustande kommen kann. Bisher gab es erst zwei Volksabstimmungen (Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf und EU -Beitritt Österreichs). In der Schweiz gibt es das fakultative Referendum im engeren Sinn. Es soll den Bürgern ermöglichen, in einer Volksabstimmung oder einem Volksentscheid über eine zuvor bereits in der gewählten politischen Vertretung beschlossene Vorlage abzustimmen. Für die Abhaltung eines fakultativen Referendums ist die Sammlung einer bestimmten Zahl von Unterschriften Wahlberechtigter in einer festgelegten Frist nach Beschlussfassung nötig. Diese Stimmenanzahl kam in der Schweiz relativ schnell zustande, nicht zuletzt durch die Unterstützung der größten Partei in der Schweiz, der SVP, die immer wieder Opposition und Regierung gleichzeitig spielt, was man in Österreich ebenfalls kennt.

Durch Parlamente initiierte Volksabstimmungen gibt es in Österreich aber nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in sämtlichen Bundesländern. Durch die Bevölkerung initiierbare fakultative Volksabstimmungen sind auf Landesebene in den Bundesländern Burgenland, Niederösterreich, Steiermark, Tirol und Vorarlberg, sowie auf Gemeindeebene in den Bundesländern Burgenland, Vorarlberg und Steiermark vorgesehen. Ob die zweiten wirklich gelten, ist nach einem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes aber offen. Er erkannte Bestimmungen des Vorarlberger Gemeindegesetzes und des Landes-Volksabstimmungsgesetzes als verfassungswidrig. Gegenstand war damals die Umwidmung von Flächen, damit zwei große Safthersteller ausreichend Platz haben, ihre Säfte zu mischen und ihnen Flügel zu verleihen.

Was also kann die Schweiz, was wir nicht können? Interessante hieb- und stichfeste Erkenntnisse liefern, die auch auf Österreich anwendbare Gültigkeit haben. Es war anzunehmen, dass Gegner von Maßnahmen gegen die Verbreitung von Covid und die Impfgegner („Impfskeptiker“) zum größten Teil identische Bevölkerungsgruppen darstellen. Die kantonalen Ergebnisse zur Abstimmung über das Covid-Gesetz stimmen fast haargenau mit den kantonalen Impfquoten überein. Die beiden Kantone (rote Punkte auf der folgenden Grafik), die das Gesetz abgelehnt haben – Schwyz (SZ) und Appenzell Innerrhoden (AI) – haben auch deutlich unterdurchschnittliche Impfquoten. Im Gegenzug liegt Basel-Stadt (BS) sowohl beim Impfen wie bei der Abstimmung ganz vorn. Das Zusammenhangmaß R2 liegt bei 0,91 (maximaler Wert kann 1 erreichen). Diese nahezu perfekte Korrelation zwischen Zustimmung zum Covid-Gesetz und Impfquote ist auch innerhalb der Kantone zu beobachten, wo die verschiedenen Gemeinden sich in diesen Maßstäben sehr unterscheiden können.

Appenzell Innerrhoden ist das katholische Appenzell im Kontrast zum evangelisch-reformiert geprägter Kanton Appenzell Ausserrhoden. Schwyz ist wie alle Kantone der Zentralschweiz traditionell katholisch geprägt. Spielt da immer noch die Idee eine Rolle, eine Impfung sei ein von Gott nicht gewollter Eingriff in den menschlichen Körper? Eine Idee, die auch beim Verbot der Pockenimpfung durch Andreas Hofer und seine „Mannen“ zum Tragen kam? Abgesehen von einer kleinen Minderheit, die in manchen Dörfern auch größer sein konnte, ist das eher unwahrscheinlich.

Dennoch hat Corona in der katholischen Religionsgemeinschaft einen wenig diskutierten Graben hinterlassen. So erzählte mir ein Pfarrer über konservative Kreise in seiner Gemeinde, die ein Offenhalten der Kirche im März/April 2020 aggressiv einforderten. Ein Teil der Gemeinde fiel sogar der Verschwörungserzählung anheim, die von der Kirche selbst gewählten Verzichte („Maßnahmen“) seien „Teufelswerk“. Er sah sich gezwungen, die Kirche richtig abzusperren. Doch das blieb immer Angelegenheit der örtlichen Pfarre. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass von katholischer Seite seither nur mehr die Wortmeldung „Die Kirchen bleiben offen. Alles andere wäre ein zu massiver Eingriff in die Religionsfreiheit“ kommt. Auch hier gibt es Beispiele zuhauf, wie sich Kritik an Corona-Maßnahmen und Gegnerschaft zu Impfungen eins sind, ganz im Widerstreit zur offiziellen Kirche.

Dass all dies ein bisschen zu schlicht gedacht wäre, kann man gut am Kanton Graubünden veranschaulichen, dem einzigen Kanton mit drei Amtssprachen: Deutsch, Rätoromanisch und Italienisch. Graubünden ist ein seit der Reformationszeit paritätischer Kanton mit traditionell evangelisch-reformierten, römisch-katholischen und – wenigen – gemischt-konfessionellen Gemeinden. Eine Besonderheit ist, dass seit dem 16. Jahrhundert jede Gemeinde autonom bestimmen konnte, welche Konfession sie annahm. Überwiegend reformiert sind das Prättigau und das Engadin (ohne Tarasp und Samnaun). Überwiegend katholisch sind das Vorderrheintal und das Puschlav, wo das COVID Gesetz nicht abgelehnt wurde. Das reformierte Prättigau lehnte das Covid Gesetz ab, während das reformierte Engadin dem Covid-Gesetz zustimmte. Die Schweiz bietet aber noch mehr: Prättigau ist deutschsprachig und das Engadin rätoromanisch. Sind es nicht die deutschsprachigen Länder bzw. Regionen, die die Spitze der Impffeindlichkeit innerhalb Westeuropas bilden ? Südtirol fehlt meistens in dieser Aufzählung, kann aber stolz mithalten, hier und hier.

Gibt es also doch eine Erklärung, um dem Klischee der Religionen als Impfverhinderer zu entrinnen? Wenn da nicht das verflixte deutschsprachige katholische Samnaun wäre!

Deutschsprachig ist vielleicht ein wenig übertrieben, es handelt sich um einen nur dort gesprochenen Tiroler Dialekt. Was aber hat es mit dem verflixten Samnaun auf sich? Was weiß ich, warum die vielleicht 500 Samnauner das Covid-Gesetz mit 57,9% abgelehnt haben. Samnaun war mehrere Jahrhunderte lang eine paritätische Gemeinde, bis die reformierte Minderheit im 19. Jahrhundert durch den Einfluss Tirols und der Kapuziner abgewandert oder katholisch geworden ist. Es gibt aber vielleicht noch etwas Heiliges obendrauf: Hauptaktionär der Samnauner Bergbahnen ist die Ischgler Silvrettaseilbahn AG. Es klingt dann schon wenig aufhellend, wenn es in Schweizer Tageszeitungen heißt, „die Betreiber des grenzüberschreitenden Silvretta Arena Samnaun/Ischgl Skigebiets hatten sich schon vor der Verschärfung der Zertifikatspflicht in Österreich darauf geeinigt, dass im gesamten Skigebiet die jeweils strengere Zertifikatsregel gelten soll“. Seit 8. November ist dies die 2G-Regel der österreichischen Seite. Samnaun will aber eine eigene Tageskarte für negativ Getestete lancieren. „Mit ihr können sie sich aber nur auf der Schweizer Seite des Skigebiets bewegen. Um zu verhindern, dass die negativ getesteten irrtümlich 2G-Territorium betreten, dürfen sie allerdings nicht auf die drei Lifte, die zur Landesgrenze führen“.

Wenn also übermorgen bei idealen Schneeverhältnissen die Bergbahnen in Betrieb gehen, können die Ischgler dem Skifahren nicht nur herüben und drüben frönen, sondern sich auch in ihrer eigenen Berggastronomie (auf Schweizer Boden) stärken. Alles in der Zeit der geschlossenen Gastronomie in Österreich. Manch Ischgler hat das auch im letzten Winter so gehandhabt, allerdings musste man zu Fuß zur Grenze aufsteigen. Das sind schon Delikatessen! Wieso ich das alles erzähle? Vermutlich blanker Neid, schließlich gibt es zwischen „meinem“ Montafon und dem Prättigau außer Fußwegen keine Verbindung , obwohl einander die Madrisabahnen in Klosters  und Gargellen mit 4km Luftlinienabstand, aber eben der Madrisa dazwischen, schon ziemlich nahe kommen.

Das Ski Opening am 18. November in Gurgl, Tirol, hat Spuren hinterlassen, wie Spurenleser berichten. Das wird nicht heiter werden.

Zurück zu Graubünden: Dieser große Kanton hat in der Corona Politik einiges richtig gemacht. Man ging dort sehr wissenschafts- und Public-Health-orientiert vor und unternahm in der Wintersaison 2020/2021 alles, um den Tourismus nicht zu gefährden. Graubünden schloss Restaurants bereits vor der restlichen Schweiz, initiierte clevere flächendeckende Corona-Tests regional und in den Schulen, die selbst Epidemiologen wie Christian Althaus Respekt abverlangten. So schaffte Graubünden es, seine Beherbergungsbetriebe und Bergbahnen die ganze Saison offenzuhalten. Die Beherbergungsbetriebe durften aber nur ihre eigenen Gäste bewirten, lediglich Take-Away war wie der übrigen Gastronomie gestattet. In den Skigebieten selbst herrschte Alkoholverbot. Ganz dieser Logik folgend machte Graubünden Druck wegen der Booster-Impfung und gab als erster Kanton bekannt, die Anmeldung für Booster-Impfungen für alle zu öffnen. In diesem Sog zogen andere nach. Die Schweiz hat insgesamt aber hier einen Rückstand.

Obwohl das Herausgreifen einzelner Maßnahmen zu einem gewissen Grad unzulässig ist, weil „unterkomplex“, lohnt sich trotzdem ein Vergleich der Wintersaison 2020/2021 zwischen Süd-, Nordtirol und Graubünden. Südtirol hat nach professionellerer Massentestung als Österreich im Dezember 2020 (zwei Runden im Wochenabstand), aber weniger intelligent und wesentlich kostspieliger als in Graubünden, unverständlicherweise nach Dreikönig 2021 bei geschlossenen Bergbahnen die Gastronomie und Beherbergungsbetriebe geöffnet. Die Berggastronomie florierte trotz der geschlossener Bahnen, Superspreading-Events waren keine Rarität, so wurde Südtirol mit einer gewaltigen Welle (7 Tagesinzidenz am 10. Februar von 1531!) „belohnt“, und harte Maßnahmen mussten ergriffen werden. In ganz Nordtirol blieben Beherbergungsbetriebe und Gastronomie, bei offenen Bergbahnen, zu und die Welle blieb aus, so wie in Graubünden, dort aber mit intelligenten Lösungen und florierendem Tourismus. Ob man daraus lernen sollte?

Ab Jänner 2021 ist die Schweiz insgesamt besser als Österreich durch die Pandemie gekommen. Bevor aber bedeutende Unterschied diskutiert werden, zuerst ein aktueller Vergleich. Nicht nur Chicago, auch die Schweiz will nicht wie Österreich werden! Die bestätigten Fälle und Hospitalisationen nahmen in den vergangenen Wochen in den beiden Ländern exponentiell mit einer ähnlichen Wachstumsrate zu. Dieser Umstand lässt sich veranschaulichen, wenn man die Zunahme dieser Werte über die Zeit auf einer logarithmischen Skala darstellt: Fallzahlen (links), der Anzahl hospitalisierter COVID-19-Patientinnen (Mitte) und  der Anzahl COVID-19-Patientinnen in Intensivpflege (rechts). Am 23.November entspricht die Situation in der Schweiz (rote Linie) bezüglich der Fallzahlen der Lage in Österreich (grüne Linie) drei Wochen zuvor, und bezüglich der Hospitalisationen fünf Wochen zuvor.

Die Science Task Force weist darauf hin, dass ohne weitere Maßnahmen der Schweiz ein Österreich-Schicksal blüht. Die Schweizer Regierung scheint wieder das Heft in die Hand zu nehmen, nachdem in den letzten Wochen Kantone und der Bund wechselseitig die gleichen Forderungen stellten, aber die Verantwortung dem jeweils anderen zuschoben. Immerhin. In Österreich schoben Bund und Länder einander auch gegenseitig die Verantwortung zu, forderten aber inhaltlich jeweils Gegenteiliges. Ab jetzt soll in der Schweiz die Gültigkeitsdauer der Testzertifikate verkürzt werden: Ein PCR-Test gilt nur noch 48 statt 72 Stunden; ohne österreichische Ausnahmen. Und natürlich gilt Home Office Pflicht:

  • Ungeimpfte oder nicht genesene Mitarbeitende müssen im Homeoffice arbeiten. Ist das nicht möglich, gilt eine Maskenpflicht in Innenräumen.

  • Die Homeoffice-Pflicht gilt generell. Falls nicht möglich, gilt eine Maskenpflicht in Innenräumen. Die Betriebe werden zudem verpflichtet, den Mitarbeitenden repetitive Tests anzubieten.

Der Begriff Pflicht in Zusammenhang mit Home Office scheint österreichischen Sozialpartnern nicht gegenwärtig zu sein. Wieso gibt es hier keine Bereitschaft, von anderen Ländern zu lernen? Neben der Schweiz böte sich dafür auch Norwegen an. Schon im November 2020 hatte ich ganz ähnlich wie im folgenden Insert zitiert. Es zeigt die rezente Mitteilung eines größeren Betriebes am Beginn des Lockdown an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnnen (rote Korrekturen von mir). Als würden die Verantwortlichen samt und sonders einfach Copy Paste machen. Da hat mein Seuchenheiliger Armin Thurnher mehr als Recht, wenn er behauptet, dass der Lockdown die „Corona-Maßnahme des dummen Kerls“ sei. Was an dieser der Mitteilung besonders befremdet, ist das extrem kurz gesetzte fixe Datum. Parallel zum Lockdown, eine Anleitung zum Jo-Jo Effekt. Gerade beim Home Office besonders absurd. Kann man weniger lernen?

Der unterschiedliche Umgang mit dem Home Office ist wahrscheinlich einer der wesentlichen Unterschiede, die den günstigeren Verlauf der Pandemie in der Schweiz seit Jänner 2021 erklären könnte. Am jetzigen Handeln des Bundesrates in der Schweiz wird aber auch einiges bemängelt, z.B. die fehlende Maskenpflicht für Kinder sowie Lehrerinnen und Lehrer. Dafür kennen aber die Schweizer Schulen das CO2 Management besser als die österreichischen Schulen. Bei uns ist das Raummanagement mehrheitlich nicht über das „Lüften“ hinaus gekommen. Wieso sind sichere Schulen so schwierig zu bewerkstelligen? Und eine Kritik aus der Schweiz darf nicht vorenthalten werden: Wieso nicht ein paar Wochen früher?

Morgen geht’s weiter.« R. Z.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Seuchenkolumne finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!