Advent, Advent. Kerzn für Kurz

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 588

Armin Thurnher
am 01.12.2021

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Wir haben Sorgen! Was kümmert uns, dass der CEO von Twitter abtritt, dieser Jack Dorsey von der wandelbaren Bartgestalt. Worauf die Twitter-Aktie um zehn Prozent zulegt. Was schert uns, dass im südlichen Afrika eine HIV-Epidemie herrscht. Was schert uns, dass der Wirtschaftkammerpräsident (Name vergessen) jede epidemiologoische Vernunft mit Füßen tritt und – Daten hin oder her – auf seinem Datum für das Ende des Lockdowns beharrt, dem goldenen Einkaufssonntag. Sein Motto lautet wie jenes des Herbert Kickl: wir sind so frei, uns und andere zu infizieren, wenn nur der Umsatz beziehungsweise die Quote der Verführbaren stimmt. Auf dem Basar der Irrationalitäten kaufen wir Demagogie oder Spielzeug, am liebsten beides.

Von der Weltordnung fange ich gar nicht an. Die kümmert uns schon gar nicht, denn wir wissen, wir sind die kleine Welt, in der die große ihre Probe hält. Die machen es dann eh alle wie wir, also kann uns nix gschehn, und wenn die Welt bei uns als erste nicht untergeht, können sie alle nur bei uns lernen.

August Wöginger, bekerzt Bild via @Florianklenk @arminwolf und viele andere vien

Wir befassen uns nämlich mit dem wirklich Wichtigen, mit der Kerze. Mit der Adventskerze. Mit der Adventskranzkerze. ZZZ. Das Spitzenpersonal der ÖVP fiel einem reizenden Einfall zum Opfer. Klubobmann Wöginger, Ministerin Schramböck, Ministerin Köstinger und Minister Kocher, allesamt innerstes Fleisch vom Fleische des Kurzismus, versammelten sich nacheinander um einen Adventskranz, zündeten ein Kerzlein an und sagten ein paar nette Worte zur Jahreszeit und überhaupt.

Das Merkwürdige daran war der Adventskranz. Die Ministerinnen und Minister und der Klubobmann waren Wachs in den Händen des Messagemeisters Gerald Fleischmann, dieses Oberkerzenziehers, Kerzenoberziehers oder Kerzenzieheroberst. Sie setzten sich, wie sogleich allgemein bemerkt wurde, an den nämlichen Adventskranz. Türkise Kerzen sind selten. Das populäre Möbelhaus, das dem XX-Kanzler ein X voraushat, der XXX-Lutz, zeigt keine türkisen Kerzen. Selbst bei der Auswahl der nichtgezeigten Farben gibt es nur ein Grün. Klerikal gesinnte Feinspitze würden in dieser Zeit des Kirchenjahrs ohnehin zu Violett greifen, der proletaroide Durchschnittstepp meiner Machart griffe zu Knallrot. Aber Türkis?

Türkis. Damit man merkt, die Sache lebt. Fleischmann, der alles berechnet, hatte naturgemäß auch berechnet, wie die Adventskranzversammlung der ministeriell Dilettierenden und des als Klubobmann kostümierten Dialektdichters auf den Twitterpöbel wirken würden, und ich stelle mir vor, wie Gerald Fleischmann sich die Hände reibt, dass es genauso kam. Adventskranz statt WKStA und Korruption!

Ich stelle mir auch vor, wie er den Kranz besorgen ließ, ihn auf einem Tisch drapierte, ein paar Worte auf Spickzettlen notierte, und sie dann antanzen ließ im improvisierten A-Kranz-Studio, die adventösen Hallawachln, eine nach dem anderen, sie hinter dem Kranze postierte und ihre Sprüchlein aufsagen ließ, während ein Hiwi aus dem Team Reitan (oder gar Fleischmann selbst?) das Handyvideo aufnahm. Was haben wir gelacht.

Reflexartig griff ich zum Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, das mir in NVP-Fragen oft Trost und Rat spendet, fand dort aber kein Stichwort „Adventskranz“. Unter „Advent“ wurde ich aber belehrt, dass diese Zeit zum Abtöten der Begierden und zum Fasten zwecks Vorbereitung auf die Geburt des Gottessohnes diene (streichen Sie diesen Hintergedanken, Sie böser Mensch). Man rechnete mit den Auftreten von dämonischen Wesen, die das Böse vertreiben würde, schwarzen Männern, Irrlichtern, Gespenstern in mancherlei Gestalt – „Bär, Storch, Jude, Zigeuner, Hexe u. dgl.“ nennt das Lexikon –(streichen Sie den Gedanken, dass die Damen und Herrn mit „ö“ oder „o“ im Namen im magischen Denken Fleischmanns solche Rollen zugewiesen bekommen hätten).

Dennoch ist er geisterbeschwörungsmäßig eine heikle Zeit, der Advent. „Wenn’s auf den ersten Advent auf dem Boden rumpelt, stirbt bald der Hausvater“, fand ich außerdem im Handwörterbuch.

Die türkisen Kerzen ließen mir keine Ruhe. Sollten sie eine Spezialanfertigung sein? Nein. Man findet sie in auf Lifestyle-Produkte spezialisierten Online-Shops, etwa Lions Home. Dort wird sogar eine türkise „Wiedemann Spitzkopf Kerze Karo“ angeboten, allerdings mit dem ernüchternden Zusatz „Osterhase“. Der Markt ist voll von türkisem Wachszeug, der Kranz könnte gut und gern mit der „Stumpen Outdoor Kerze ICE Türkis Mint ø 12 cm“ bestückt sein. Der Nusser soll fragen, ich bin zu faul und zu alt für so etwas.

Warum Sie das Ganze lesen müssen? Warum ich es schreiben musste? Damit der Adventskranztrick auch eine Seuchenkolumne voll macht. Das haben Sie geschafft, gratuliere, Herr Fleischmann, Weiterverwendung in der Staatsoperette nicht ausgeschlossen, jetzt können wir aber auf den bis Weihnachten geplanten Rest der Show verzichten und das räudige Kranzerl kübeln, ok? Und dem Teufel, wie Luther sagte, auch zwei Kerzen aufstecken.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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