Lesenswert, weil faktenbasiert

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 587

Armin Thurnher
am 30.11.2021

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„Lesenswert, weil faktenbasiert“. Gestern las ich auf Twitter dieses berechtigte und durchaus freundlich gemeinte Lob für die Omikron-Aufklärungs-Seuchenkolumne des diesen Ort regelmäßig schmückenden Epidemiologen Robert Zangerle. Er schmückt sie natürlich nicht im Sinn des Ornaments, nein, er ziert sie durch „Faktenbasiertheit“. Ein wunderbares Wort, das naturgemäß ein vernichtendes Urteil über den Rest der Kolumne sprach: Polemik, Verdruss, Satire, Unernst, ja Literatur wird hier gewagt. Alles nicht faktenbasiert.

Übrigens gibt es kaum etwas, das nicht faktenbasiert wäre, denn die Welt ist alles, was der Fakt ist oder so, wie wir von Wittgenstein wissen, einem in Österreich populären und ungern gelesenen Philosophen. Auch Meinung stützt sich auf Fakten, sie kann Fakten verdrehen, mit Fakten spielen, Fakten stark machen oder abschwächen. Schon die Auswahl dessen, was wir aus der Welt der Fakten präsentieren, ist Meinung, insofern ist das Wort „faktenbasiert“ ein reiner Blödsinn.

Ich weiß schon, was damit gemeint ist: es soll alles ordentlich und sachlich hergehen, die Herren und Damen Journalisten sollen sich brav zurückhalten und dadurch ihren Texten so etwas wie Autorität verleihen, indem sie diese nicht mit Subjektivität (das würde angesichts des spezifischen Gewichts der meisten Publizierenden die Epidemie der Würschtlhaftigkeit zu deutlich sichtbar machen), sondern mit einer stählern glänzenden, aufgebürsteten Fassade der Sachlichkeit umgeben (hinter der man kein Würschtl vermuten würde).

Nicht mich missverstehen, Journalismus hat die vornehme Aufgabe, Informationen zu bieten. Das jedoch heißt weniger, Fakten zu bringen, als vielmehr, diese kritisch zu beleuchten. Selten sind sie so simpel und klar, wie es das Wort „faktenbasiert“ suggerieren möchte. Den Unterschied zwischen Zangerle und einem epidemiologisch versiert tuenden journalistisch Publizierenden muss man klavierspielen können. Zangerle nämlich präsentiert seine Informationen immer unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit, der angebracht ist, solange sich nicht die qualifizierte Mehrheit der auf diesem Gebiet wohlinformierten wissenschaftlich Tätigen hinter einen Sachverhalt gestellt und ihn damit zur aktuell geltenden Lehrmeinung gemacht hat.

Journalistisch hingegen muss man alles vermeiden, was die augenblickliche eigene epidemiologische Äußerung als zweifelhaft, ungesichert und unsicher erschienen ließe – man bedenkt ja doch die Wirkung mit, will nicht verunsichern, aber auch seine eigene Rolle nicht in Frage stellen. Also rüstet man sich mit Zahlen und Daten und verleiht der eigenen Vorläufigkeit im Moment der Präsentation auftrumpfend das Ansehen absoluter Gültigkeit. Morgen geht’s mich nichts mehr an.

Das wissenschaftliche Verfahren erlangt vorläufige Autorität durch mehrheitliche Übereinkunft wissenschaftlicher Autoritäten.

Das journalistische Verfahren behauptet augenblicklich gültige Autorität durch Verdrängung des Vorläufigen seines Verfahrens.

Unvergessen ist der legendäre Journalismus-Schmierendarsteller Helmut Markwort, der im TV-Werbespot für das von ihm geleitete Magazin Focus den Slogan zum besten gab: „Fakten, Fakten, Fakten, und immer an die Leser denken!“ Ein läppischer Widerspruch in sich. Wer gibt nach, wenn die Leser die Fakten nicht mögen?

„Lesenswert, weil faktenbasiert“ – dieses Urteil enthält immerhin die Begründung „faktenbasiert“, die zwar in all ihrer Scheinsachlichkeit auf sandiger Basis ruht, aber immerhin eine Basis zu haben vorgibt.

Das Prädikat „lesenswert“ ist mir auf Twitter und sonstwo immer schon auf die Nerven gegangen. Meistens kommt es nämlich unbegleitet von jeder Begründung daher. Scheinbar der Kürze der 280 Zeichen geschuldet, stellt es doch bloß eine autoritäre Äußerung dar, die sich auf nichts beruft als auf die Meinung des Empfehlenden. „Lies das!“ wäre anschaulicher und käme dem Sachverhalt näher. Selbst Kommandos und Anschnauzungen aber müssen heutzutage im Ton warmer Verträglichkeit und zahmer Wertschätzung daherkommen. Ich bin es wert, dass du dich meiner Einschätzung anschließt, dieses Buch oder dieser Text sei es wert, gelesen zu werden. Dieser mein Wert muss dir als Empfehlung genügen.

Man kann sich damit beruhigen, dass solcherart empfohlene Texte eh nur höchstens angeklickt werden. Danke übrigens, dass Sie bis hierher gelesen haben, obwohl dieser Text vor Fakten nur so strotzt.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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