Herausgeben. Herausräumen.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 584

Armin Thurnher
am 26.11.2021

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Ich bin müde. Nach neun Stunden körperlicher Arbeit, einem völlig unanstrengenden Zahnarztbesuch und ein paar frustrierenden Europa-League Spielchen bin ich Gemüse genug, um eine Seuchenkolumne zu schreiben.

Es gibt allerdings ein Highlight, das ich Ihnen gegen Ende der Kolumne verrate, das mich wieder so weit aufmunterte, dass ich doch noch den Computer anwarf.

Warum bin ich müde? Weil ich mein Büro ausräumte. Ich beziehe im Falter ein kleineres Zimmer, mein großes, fettes Chefbüro bekommt Kollege Klenk, der Platz braucht für sich, Akten, Hinweisgebende und besuchende TV-Teams aus aller Welt. Ich habe gern Platz gemacht und ein kleineres Büro im Verlag bezogen, weil ich eh nicht mehr ins Tagesgeschäft eingreife und ich mir vorgenommen habe, allen dortigen Beharrungskräften zum Trotz mich nicht aus der Redaktion hinaustragen zu lassen.

Es reicht ja wohl, dass ich Herausgeber bin. Da brauche ich keine Herausträger. Hinausträger hätte ich gestern brauchen können, aber ich muss Ihnen gestehen, Herausräumer, so wie ich es verstehe, ist ein einsames Geschäft. Ich war also allen freundlichen Annäherungsversuchen von Kolleginnen und Kollegen gegenüber abweisend, denn ich wusste, was mich in meinem Zimmer erwartete, das bald nicht mehr mein Zimmer sein sollte. Auf mich wartete die Moräne von 36 Jahren. 1985 waren wir in die Marc-Aurel-Straße eingezogen, und da ich bekanntlich ein eigensinniger Messi bin, das Gegenteil eines eleganten Wegwerfers, ein Feind jener Papier-, Computer- und menschenlosen Büros, wie sie unsere fähigsten Regierungsvertreter gern vorzeigen, lagerte sich allerhand ab.

Früher, ca. 2017 Foto: Corn

Dabei sind die Zeitungsberge von einst längst entsorgt. Ich liebe den leicht giftigen Geruch bedruckten Papiers, der im Stadium des Vergilbens ein besonderes Aroma entfaltet, Heim der Milbe und aller staubbewohnenden Tierchen. Ich mag es besonders, in von mir gesammelten und thematisch abgelegten Zeitungsausschnitten Dinge zu entdecken. Man findet Zeug, das man im Internet, wo man nur sucht, aber nichts findet, niemals entdeckt.

Es gibt eine Geschichte von Walter Benjamin, „Ich packe meine Bibliothek aus“ heißt sie, ein Klassiker voller köstlicher Zitate („So ist das Dasein des Sammlers dialektisch gespannt zwischen den Polen der Unordnung und der Ordnung“) und delikater, versponnen gebildeter Erinnerungen. Nichts davon kann ich bieten, wenn ich mein Büro ausräume.

Die Mappen mit den Ausschnitten musste ich wegwerfen. Das Limit von zwölf Kisten aus Karton konnte und wollte ich nicht überschreiten, vor allem, weil nicht mehr Kartons da waren (kein Mensch braucht so viele Kisten für ein einziges Büro). Im versperrbaren Schrank mit den historischen Akten war aus unerfindlichen Gründen eine Red-Bull-Dose explodiert und hatte sich in Form einer ekelig klebrigen braunen Masse über ein paar Gott sei Dank unwichtige Stücke ergossen.

Das Ermüdende an der Begegnung mit alten Gegenständen des eigenen Lebens ist das Gefühl, dass man sie zur Unzeit aus ihrer Ruhe stört. Was kann zum Beispiel ein altes Falter-Merkheft dafür, dass ausgemalt werden soll (der Vorwand für den Umzug). Ah, da ist der alte Keramik-Finger (es gab einmal einen Falter-Finger auf dem Programm, das hieß Zeit-Plan, die frühe Falter-Geschichte war verschwenderisch an Kreativität!); da das kleine Album mit Porträts, das Heribert Corn mir einmal schenkte, habe ich vergessen, die meisten sind besser als das von mir ausgewählte, das mir auch schon lange nicht mehr sehr ähnlich sieht.

Unbeantwortete Briefe, Anträge, Einsendungen. Gott sei meiner Seele gnädig, all die unterlassenen Erklärungen, dass man überarbeitet war, zu wenig Zeit hatte, nur das Wichtigste und Nötigste tat. Man ahnt ja nur, was man Menschen antat, die ihre Hoffnung auf einen setzen. Man hat ihnen nicht erklären können, dass man zu wenig Zeit hatte, beim Kampf ums Überleben nur das Wichtigste und Nötigste tat. Keine Ausreden. Schlecht organisiert, muss man sagen.

Ein Päckchen Schmähungen durch Jeanneé, die hebt man sich doch gerne auf. Fette Beilagen des Fellnerismus, der die österreichische Wirtschaft feiert, die 500 tollsten Unternehmen, das muss gekosten haben! Und all die Grasserpropaganda, selbst unter den Resten sticht sie noch hervor. Dieses Land ist von seinen Medien nach Kräften verhöhnt worden. Zugleich abkassieren und ständig das Niveau senken, das muss man einmal schaffen.

Und da, die Unterlagen für meine erste und einzige ORF-Pressestunde, mit dem damaligen Fifa-Chef Sepp Blatter, hochgradig korrupt, dem ich naturgemäß auch nur Fragen stellen konnte, die er mit öliger Bonhomie parierte, aber das tat ich, immerhin.

Ein kleines Billet von Rudi Burger in dünner Füllfederschrift. Burgers chinesische Höflichkeit aufgewogen durch den Grad seiner publizistischen Brutalität. Alte Plakate, Sticker, das erste Verlagsverzeichnis. Es gab sogar, was kein Mensch, der heute beim Falter arbeitet, noch weiß, eine Falter Mitarbeiterzeitung, deren drei einzige erschienene Ausgabe ich in einem Ordner fand.

Zwölf Kisten Vergangenheit, aus denen vielleicht nie eine Falter Geschichte entsteht. Nicht aus meiner Hand jedenfalls. –

Nun aber zum Highlight des Tages: der Kater hat eine Maus gefangen. Mit achtzehn Jahren ein unverhofftes Zeichen von Vitalität. Sonst war er nur mehr herumgelegen, hatte zwar guten Appetit und gute Laune gezeigt, aber alles andere als Jagdlust. Jetzt aber, vor dem Schnee … Ein Mäusebussard hatte sich am Morgen auf das Dach des Hochbeets gesetzt, vielleicht motivierte ihn der. Was weiß man von der Tierwelt. Gleich komme ich mit meinen zwölf Kisten, das interessiert den Kater so viel wie Schnee. Er liegt hinter dem Ofen, als wäre nichts gewesen. Immerhin: auch er betrachtet mich als Herausgeber. Seinen Futter-Herausgeber.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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