Über Linke, Corona-Leugner und andere Dissidenten

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 581

Armin Thurnher
am 23.11.2021

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Als ich gestern meinen Falter-Kommentar über die Corona-Demo geschrieben hatte, geriet ich mit Florian Klenk in ein Gespräch. Er fand, ich hätte mich unklar ausgedrückt, zu impressionistisch. Er will immer gleich die Anleitung, ich begnüge mich mit Beschreibung und Analyse. Aber in einem waren wir uns einig. Die zentrale Frage ist, wie redet man mit diesen unzufriedenen Leuten, geht man von der Prämisse aus, das sie nicht alle FPÖ-Fußvolk oder gar Krypto-Nazis sind. Das sind die meisten keineswegs.

Corona-Demo am 20.11. 2021 am Ring Foto © Irena Rosc

So kommen Sie in den Genuss, meinen Kommentar zum Falter-Kommentar zu lesen, ehe dieser überhaupt erscheint. Die Seuchenkolumne macht’s möglich.

Was ich offenbar zu wenig klar zum Ausdruck brachte, war mein Ärger über jene linken Schlaumeier, die einander darin überbieten, das Sektierertum der Demonstrierenden auszustellen. Und das ungeachtet der beträchtlichen Schnittmengen. Auch bei einer Fridays-for-Future-Demo komme ich auf vieles, was mir beim demonstrierenden Jungvolk nicht passt, etwa den zu kurz kommenden Naturschutz und die Hoffnung auf rein technische Lösungen. Von der Überbetonung der Generationenfrage ganz zu schweigen. Aber das kann mich doch nicht daran hindern, ihre Ziele als richtig zu erkennen.

Bei den Corona-Demonstrationen ist es umgekehrt. Dort akzeptiere ich das Ziel nicht, sehe aber dennoch Gemeinsamkeiten. Als da zum Beispiel wären: Technikskepsis, Kritik der industrialisierten Landwirtschaft, Tierwohl. Das sind einige der Anliegen von Menschen, die naturnahe biologische, geschweige denn biodynamische Landwirtschaft auch aus einer anderen Heiligkeit ihres eigenen Körpers ableiten, was wir „Rationalisten“ unserer Natur gemäß als verrückt empfinden.

Ziehen wir einmal die Rechtsextremen und die Faschos ab, die nur versuchen, die massenhafte Unzufriedenheit zu instrumentalisieren, zu kapern, für sich zu nutzen, bleibt eine Mehrzahl von Menschen, die man früher vielleicht pauschal als „Alternativos“ bezeichnet hätte. „Die Linke“ oder mir bekannte Linke oder einige Leute, die ich in den Medien und den Social Media als kritisch oder links empfinde, schlagen hier offenbar die Türe zu einem Milieu zu, das vor wenigen Jahrzehnten gemeinsames Gebiet schien. Für sie sind das Verrückte, deren Verrücktheiten begeistert aufgenommen und als Kuriositäten ausgestellt werden, weil dabei der eigene kühle Verstand glänzend kontrastiert.

Ob man mit solchen Leuten ins Gespräch kommen kann, weiß ich nicht. Regierungsskepsis ist im übrigen ein weiterer gemeinsamer Nenner zwischen Linken und ihnen. Als begeisterter Etatist, als Verteidiger des Staates gegen neoliberale Attacken kann ich nicht übersehen, dass unsere Regierung bei Corona ganz schön versagt hat. Ich würde nicht von Staatsversagen sprechen, eher von der Chuzpe, die Jugendgang des Sebastian Kurz den Staat übernehmen zu lassen, mit Duldung der Alt-ÖVP-ler, die ihre Parteiinteressen über alles stellten und zuließen, dass eine homogene Truppe von Dilettantinnen und Dilettanten ans Ruder kam. Wären sie wenigstens gut in dem, was sie tun, die Köstingers, Edtstadlers, Raabs, Schramböcks, Mahrers, Blümels. Aber sie sind es nicht. Und auch auf grüner Seite jagte ein Fehler den nächsten. Ulrike Lunacek, verheizt. Andrea Mayer, ihre Nachfolgerin, wenigstens eine Sozialdemokratin. Rudi Anschober, verheizt, nicht imstande, das Dilettantenministerium zu bändigen, Wolfgang Mückstein, verheizt, wenn nicht „Einlassungsfahrlässigkeit“ vorliegt, wie Irmgard Griss boshafterweise sagt, ein Gefühl, das offenbar alle diese Menschen nicht befällt: dass man einem Amt nicht gewachsen sein könnte.

Also, diesen Staat und dieses Staatspersonal, das kann, das muss man vehement kritisieren. Nur, weil auch Zeitungen jetzt entdecken, dass man Kurz kritisieren darf (hört, hört!), wird das noch nicht falsch.

Warum finden viele Linke (das würde die SPÖ inkludieren) mit den nicht nazoiden Corona-Unzufriedenen keine Gesprächsbasis? Und warum machen sie nichts aus dem Vakuum, Impfungen zu erklären? In Afrika hätte man mindestens ein Wandertheater gegründet, vielleicht könnte man auch im Innviertel oder in gewissen Kärntner Tälern so etwas brauchen.

Wenn schon die türkise Staatskommunikation mit all ihrem Personal und ihrer Kohle dabei versagt, das Thema Impfen, Public Health und Seuche zu popularisieren, warum tut’s nicht die Linke und schafft sich dabei Foren? Warum rückt sie das Freiheitspathos der Kickls nicht zurecht? Freedom now, schon vergessen?

Bei einem meiner selten gesehenen TV-Auftritte fiel mir kürzlich ein, dass Bürgerforen eine interessante Möglichkeit wären, um die Kommunikation betreffend Impfen und Impfskepsis zu erhöhen: mit Bedacht repräsentativ ausgewählte 100 Bürgerinnen und Bürger diskutieren quer über Österreich mit ausgewählten Menschen der Wissenschaft über Gesundheitsthemen.

Aufklärung muss geleistet werden, im übrigen dringend auch über die Funktionsweise der Social Media. Dass den regierenden Digitalisierungsflaschen dazu nichts einfällt als „Laptops für alle“, passt ins Bild. Die Leute wissen nicht, wie ihnen geschieht, und das trifft vermutlich sogar auf ein gerüttelt Maß von Linken zu.

Der Impfzwang müsste von Linken als Offenbarungseid angesehen werden, bestenfalls als Placebo, nicht als ultima ratio. Gerade sie müssten erkennen, dass eine Vielzahl anderer Maßnahmen, etwa Abstandsregeln und konsequentes Maskentragen sinnvoller wären. Und wenn schon Behördenverbote, dann müssten sie auch eingehalten werde. Insofern – ich zitiere meinen Säulenheiligen Zangerle – war die Corona-Demo unter Missachtung sämtlicher Abstands- und Maskenregeln eine offene Provokation, und die diesbezügliche Untätigkeit der Polizei natürlich wiederum eine Art von Staatsversagen.

Kreativere Strafen für Nichtgeimpfte wären auch denkbar: Kürzlich hörte ich von der Idee einer Coronasteuer: wer sich impfen lässt, befreit sich davon. Auch, dass Nichtgeimpfte, die geimpft werden könnten, vertraglich darauf verzichten, Behandlung im Krankenhaus in Anspruch zu nehmen oder dafür zu bezahlen und erklären, bei Triagen selbstverständlich nachgereiht zu werden, wäre eine Möglichkeit.

Also: ich meine, Linke sollten nicht bloß reden, kritisieren und spotten (all das sollten sie unbedingt). Sie sollten auch Möglichkeiten suchen, das gesellschaftliche Gespräch über solche Fragen nicht den Rechten zu überlassen und damit eine verunsicherte, schwebende, desinformierte Schicht von Menschen diesen vielleicht weiter in die Hände zu treiben.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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