Übersetzungen aus Köstinger

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 576

Armin Thurnher
am 17.11.2021

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Also sprach Frau Elisabeth Köstinger, tatsächliche Ministerin der Republik Österreich, zuständig für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus samt ein paar zusätzlichen Agenden: „Ich halte überhaupt nichts von den Wortmeldungen des Gesundheitsministers – ganz im Gegenteil. Wir hatten gestern ja auch eine Konferenz mit den Landeshauptleuten und da haben sich alle unisono dafür ausgesprochen, dass es weiterhin größtmögliche Freiheit für Geimpfte und Genesene braucht.“

Es war ein Köstinger-Moment. An diesen ist die Zeitgeschichte bereits so überreich, dass man sich fragt, warum nicht diese Prachtfrau am Ballhausplatz herrscht, sondern der farblose Wohlartikulierer Alexander Schallenberg. Die Antwort ist leicht: Beide sind dem gefallenen – in Kurzistendiktion: für kurze Zeit beiseite getretenen – XX-Bundeskanzler Sebastian Kurz derart in Kadavergehorsam verpflichtet, dass zweitens eigene Ambitionen, erstens aber die Interessen der Republik zurückzustehen haben. Alles ordnet sich in dieser Clique, die einmal eine stolze Partei war, dem Plan unter, Kurz zurück an die Macht zu bringen.

Frau Köstingers Sätzchen sind näherer Betrachtung wert. „Ich halte überhaupt nichts von den Wortmeldungen des Gesundheitsministers – ganz im Gegenteil.“ Hat man in einer Regierung, selbst in dieser, je solchen Klartext gehört, der zugleich semantischen Stumpfsinn darstellt? Was sie wirklich sagt ist ja, dass sie von den Wortmeldungen des Gesundheitsministers alles halte. Nämlich: „Ich halte überhaupt nichts von den Wortmeldungen des Gesundheitsministers – ganz im Gegenteil, ich halte alles von ihnen“.

Aber wir wissen, was sie meint, Übersetzungen aus politischem Stumpfsinn sind unser täglich Brot geworden. Sie meint natürlich: „Ich halte überhaupt nichts von den Wortmeldungen des Gesundheitsministers – es ist immer das Gegenteil dessen wahr, was er sagt.“ Item: Wir stehen in einer Pandemie, deren Konsequenzen der Kurz-Volkspartei offenbar wurscht sind. Sie nimmt in Kauf, was so geschieht, denn sie hat andere Prioritäten.

Was geschieht? Überlastete Intensivstationen, verschobene dringende Therapien schwer kranker Menschen, Konfusion der Bevölkerung, Anheizen der Spaltung derselben. Was sind die Prioritäten? Seit Corona über uns kam, galt ein Prinzip: Oberster Sanitätsbeamter des Landes ist der Bundeskanzler, den das, mit den deftigen Worten des Verfassungsrechtlers Heinz Mayer, überhaupt nichts angeht. Er ist nicht zuständig, als primus inter pares in der Bundesregierung hat er dem Gesundheitsminister nicht anzuschaffen. Statt aber diesen zu unterstützen, im Interesse des Landes und der Bevölkerung, wie man so sagt, hatte Kurz von Anfang an nichts Besseres zu tun, als Rudi Anschober zu demontieren, dessen bedächtig-konservative Art bei der Bevölkerung verdächtig gut ankam, sodass die einzige Währung, die Kurz versteht, die Popularitätszahlen, seinen eigenen bedenklich nahekamen.

Hierin erkannte Kurz die wahre Gefahr, nicht in jenen, die an Covid erkrankten oder sich die hässlichen Folgen von Long Covid einfingen. Kurz schrak nicht davor zurück, eine Abwesenheit des sich bereits im Burnout befindlichen und eine letzte Auszeit nehmenden Anschober auszunützen, um in einer öffentlichen Pressekonferenz dessen Spitzenbeamten – einen Parteigenossen nicht Anschobers, sondern von Kurz selbst – abzuschießen. Eine Tat, deren Unmenschlichkeit, Brutalität und Herzenskälte unvergessen bleibt.

Aber das sind Charakterdetails einer Persönlichkeit, die schon deswegen ungeeignet ist, diese Land zu regieren, weil sie im narzisstischen Wahn befangen ist, nur sie sei geeignet, das Land zu regieren. Die ehemalige ÖVP, nunmehr Neue Volkspartei/Liste Sebastian Kurz, hat diese Person erst vor kurzem, knapp vor seinem Seitentritt, mit derart totalitärer Macht ausgestattet, dass sie sich schwer tut, von ihr abzurücken und ihre Spielchen stützt, wieder ins Amt zurückzukehren.

Spiel eins ist eben die Desavouierung des Gesundheitsminsters. Spiel zwei, Machtausübung mittels Medienkorruption läuft derzeit etwas unrund. Spiel drei, die Destabilisierung der Justiz, leidet an ernsten Pannen.

Elisabeth Köstinger und Alexander Schallenbergs Kadavertreue konzentriert sich auch in einer bedrohlichen Phase der Pandemie auf Punkt eins. Sie wollen „unsere Freiheiten“ retten, die Freiheit eh nicht. Bloß, wer krank oder tot ist, braucht nicht mehr viel davon. Sie kämpfen nicht für unsere Gesundheit, sondern für eine Wintersaison. Schneemänner sind wir.

Statt alle Anstrengungen zu bündeln und eine verantwortungsbewusste Pandemiepolitik zu machen, entblöden sich Köstinger und Schallenberg samt den Kurzisten Haslauer und Stelzer nicht, ihre fragwürdigen, von Kurz noch immer ausgegebene Freiheitenphrasen zu präsentieren: Freiheit für Geimpfte und Genesene. Freiheit statt Sozialismus, das klingt doch altvertraut. Freiheit für das Coronavirus kommt der Sache leider näher. Denn Impfungen jetzt, nachdem man den besten Zeitpunkt versäumt hat, wirken erst in vergleichsweise weiter Zukunft und dämmen das exponentiell wachsende Virus jetzt nicht ein.

Bedauerlicherweise konnte ihr aller Herr und Meister nicht dafür sorgen, dass es ausreichend Geimpfte im Land gibt, weil er zwar Propaganda für sich selbst machte, aber keine Zeit hatte, die Impfung zu propagieren. Für Geimpfte ist die Pandemie vorbei, deklarierte er noch diesen Sommer, und was Kurz deklariert, muss richtig sein.

Wer vorbereitet uns auf die Seuche? Wozu alle Anstrengungen, Frau Köstinger? „Um einen Lockdown für die Wintersaison zu vermeiden, treten mit 8. November die Maßnahmen der Stufe 2., 3. und 4 gemeinsam in Kraft“, erklärt die Website ihres Ministeriums.

Nicht um Leben zu retten, nicht um das Virus einzudämmen, nein, um die Wintersaison zu retten. Wer so denkt, darf sich nicht wundern, dass sich die oberste Gesundheitspolitik im Land darauf beschränkt, den Gesundheitsminister zu konterkarieren und zu demontieren.

Was heißt das in einer uns alle nervenden, bedrohenden, destabilisierenden Situation? Das heißt, wir haben eine Regierung, die sich nicht auf die Bekämpfung dieser Gefahr fokussiert, sondern sie noch immer vor allem für einen Zweck nützt: der Beförderung der Interessen des Sebastian Kurz und dessen Rückkehr ins Amt. Man bringe die nassen Fetzen.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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