Im Herzen untüchtig, aber Volksesoterik satt. Kleine Reisegeschichte 3, und Schluss.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 572

Armin Thurnher
am 12.11.2021

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Vergangenes Wochenende unternahm ich eine Blitzreise nach Darmstadt, Baden und zurück. Hinflug, Lobrede auf Franz Schuh, Frühflug zurück, Auftritt mit Dirk Stermann in Baden. Was man in zwei Tagen alles erleben kann! Hier der dritte Teil eines kleinen Reiseberichts, der damit endet.

Darmstadt und die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung im Nacken, das Hotel at the Park in Baden vor mir, dazwischen zwei Flughäfen und ein Parkhaus. Ich hätte ja alles bequem mit Taxis erledigen könne, wäre da nicht der Kater gewesen, den ich mangels Frau in der Küche eingesperrt und mit hoffentlich ausreichend Futter versehen zurückgelassen hatte.

Als ich da so in Frankfurt saß, wie immer zu früh am Gate, fiel mir doch auf, dass ich schon wieder ungeprüft in einen Flieger gekommen war. Weder hier noch in Österreich wollte irgendwer ein Impfzeugnis sehen. Schuhe ausziehen, das schon, Laptop aus dem Handgepäck nehmen, allemal, Haarfestiger konfiszieren, gerne, aber Impfzeugnis abfragen? Es reichte der Online Check, beglaubigt durch Bordkarte auf dem Smartphone.

In Österreich standen sie dann da, die Kerls vom Bundesheer und wollten den Impfpass sehen. Immerhin. Beim Hinflug hatte sich in Frankfurt niemand dafür interessiert.

Ich fand dann das Auto, es sprang an, ich aktivierte Google Maps, ich habe zwar ein Navi im meinem gebrauchten Kübel, aber bis ich dort den Bestimmungsort eingetippt habe, bin ich schon am Ziel. Google Maps ist schneller, wenngleich es mitunter vorzieht, einfach abzubrechen und ein Päuschen einzulegen, es verschwindet einfach, was mitten im Verkehr dann ein bisserl blöd ist, wenn man gleich einen Auftritt hat. Aber es lotste mich nach Baden, bis auf den Conrad-von-Hötzendorf-Platz, ab da zeigt es eine Tendenz, mich im Kreis herumzuschicken; ich stellte es ab und fragte einen alten Badener, der mir in feinstem Türk-Badisch beschied, ich solle einfach zur Kirche fahren, dort sei das Hotel gleich daneben. Und hier schiebst du zurück gegen Einbahn, fährt eh keiner, ist Sonntag. Allah kerim, ich war Zuhause.

Mit Dirk Stermann läuft das so. Wir sehen uns das ganze Jahr nicht, wir sprechen uns nicht ab, weil klar ist, dass wir das Jahr Revue passieren lassen. Vorbesprochen wird nichts. Wir trinken einen Kaffee in der Garderobe, einem ungemein uninspirierenden Seminarraum (wie kann eine Wirtschaft funktionieren, deren Entscheidungsträger in absolut geistfeindlichen Räumen einander motivieren und ihre Ideen vortragen?).

Dirk stellt die Fragen, meistens, denn das ist sein Beruf, ich lasse mich mehr treiben und assoziiere so vor mich hin. Er ist ein ungeheuer angenehmer Zeitgenosse, stiehlt keine Pointe (hat er nicht nötig), dreht nicht auf (könnte er), freut sich, wenn mir ein Witz gelingt (müsste er nicht). Das Publikum scheint es angenehm zu finden, uns zu sehen. Es hat schon eine Stunde lang gefrühstückt, der Raum ist ziemlich voll, obwohl die Veranstalter sagten, sie hätten seuchenmäßig die Besucherzahl reduziert. Mir kommt vor, es sind mehr junge Leute da als üblich; gut, wächst also etwas nach, wir zwei schauen ja schon ziemlich grau aus der Wolle.

Zu vermeiden ist, das Gleiche zu sagen, was eh schon alle gesagt haben. So brachte ich endlich meine Erklärung an, was zum Erfolg des Sebastian Kurz beitrug. Es war nicht nur die Propaganda. Die lief wie geschmiert, schon richtig. Aber Kurz repräsentierte jene Tüchtigkeit, nach der sich dieses im Herzen untüchtige Land oder vielmehr seine Bevölkerung sehnt. Sie ist eh nicht untüchtig, aber im Herzen hat sie den Verdacht, sie sei nicht nur untüchtig, sondern absolut unfähig. Kurz, der Schmierenkomödiant, der im Herzen natürlich genau den gleichen Verdacht hegt, ihn aber besser überspielt als die meisten, schmierte es an, und schon glaubte es, dass mit ihm der Aufbruch in eine neue Tüchtigkeit gelingen könnte. Etwas, das die SPÖ in hundert Jahren nicht zu simulieren schafft.

Dann konnte ich noch ein Konzept der Volksesoterik entwickeln. Der Aberglaube der Untüchtig-Tüchtigen ist ihre wahre Religion, und er fußt auf einem Haufen erlebter Übersinnlichkeiten. Das Land ist voll von Heilern, Schamanen, Gurus, Hexen, weißen Frauen undsoweiter, von klassischen Pfaffen aller Religionen und Sekten ganz abgesehen. Da hat die technisierte Rationalität des Impfens, eine kalte Vergewaltigung der warmen, weichen volksesoterischen Seele, schlechte Karten. Glück in Unglück: der unsinnlichste und unheiligste aller abergläubischen Abergläubigen ist Herbert Kickl. So kommen die nicht vom Fleck, und kaum erringen sie politische Mandate, haben sie schon Corona. Macht nix, wir bringen sie durch die mit unseren Steuergeldern finanzierten Intensivstationen, damit sie, wieder genesen, den Volksaberglauben weiter verbreiten können.

Natürlich hat die Regierung versagt. Die Impfpropaganda wegen einer Regionalwahl eingestellt oder nie wirklich angegangen zu haben, ist und bleibt ein Skandal, der wie alles andere um Herrn Kurz vergessen werden soll. Da muss so viel ausradiert werden, dass es schon eines Parlaments voller Radierer bedarf, unsere Medien sind eh unbeschriebene Blätter, Wunderblöcke, über die man nur einmal zart drüberstreichen muss, und es steht nichts mehr drauf. Ein Mensch wie der oberösterreichische Landeshauptmann, der entweder keine Ahnung von der medizinischen Lage im Land hat oder die Öffentlichkeit hemmungslos anschwindelt, sollte in einer zivilisierten Umgebung einfach verschwinden, zurücktreten, weggeblasen werden. Auch, weil er sich die Wahl mit Impfschweigen erschlich, mit eigenem und dem seiner Parteifreunde, und dadurch Gesundheit und Leben zahlreicher Menschen riskierte. Ich finde das nicht lustig, aber mit ein, zwei Aperçus kritischer Moderatorinnen geht auch das vorüber.

Also, es tat gut, derlei mit Dirk Stermann zu besprechen, und auch das Publikum tat so, als habe es ihm gefallen. Dann gingen wir wieder in den Seminarraum und tranken noch ein Tässchen. Wer Dirk für einen lockeren Scheiß-mi-nix-Präsentator hält, dem darf ich berichten, dass er den auf die Bühne mitgenommenen Kaffee nicht einmal angerührt hatte, so konzentriert war er. Ein Profi eben, im Gegensatz zu mir, der ich gleich ausgetrunken hatte. Wir hätten noch lange geplaudert, aber ich musste fort. Jetzt geh deinen Kater retten, sagte Dirk und schickte mich auf den Weg.

Als ich zuhause ankam, erhob sich Hannibal diskret aus seinem Bettchen, gönnte mir ein kurzes Miau und stellte sich zur Futterschüssel.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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