Franz Schuh dürstet, und ich vergesse den Kater. Kleine Reisegeschichte, 2

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 571

Armin Thurnher
am 11.11.2021

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Machen wir ein Päuschen von politmedialem Komplex, Korruption und von Corona. Vergangenes Wochenende unternahm ich eine Blitzreise nach Darmstadt, Baden und zurück. Was man in zwei Tagen alles erleben kann! Hier der zweite Teil eines Berichts in zirka drei Teilen.

Wenige Tage vor der Reise nach Darmstadt wurde mir siedend heiß bewusst (wenn einem schon siedend heiß etwas bewusst wird! wirft dann das Bewusstsein Brandblasen?), jedenfalls fiel mir ein, dass ich, der ich eine gemütliche Rückreise am Sonntag eingeplant hatte, mit Lufthansa gegen Mittag von Frankfurt, so gemütlich so etwas halt sein kann, als ich das bedachte, kam mir zu Bewusstsein, dass es da doch einen anderen Termin gab, am Sonntag in der Früh. Ich hatte mein jährliches Frühstück mit Dirk Stermann in Baden zugesagt. Im Hotel at the Park, darauf freute ich mich schon länger, denn mit Dirk ist es immer gut. Absagen kam nicht in Frage. Und auch die Lobrede auf Franz Schuh in Darmstadt konnte ich unter keinen Umständen absagen.

Ich musste irgendwie beides schaffen, also bat ich die freundlichen Damen von der Akademie für Deutsche Sprache und Dichtung, meinen Rückflug umzubuchen. Was das bedeutete, war mir klar. Nicht nur eine Belästigung dieser freundlichen Menschen, sondern auch meiner selbst. Aufstehen um 4:15, um den Flieger zu schaffen. Anreise nach Schwechat mit dem Auto, weil die Distanz Schwechat-Baden mit öffentlichen Verkehrsmitteln am Sonntagvormittag nicht in der nötigen Zeit zu bewältigen war. Der Flieger landete um 8:10, wenn er pünktlich war, um 9:30 wurde ich in Baden erwartet. Da brauchte ich gar keine Verbindungen nachzuschauen.

Parkhaus Flughafen, das kommt der Höchststrafe recht nahe, vor allem, wenn man schon seit Jahrzehnten mit Zug oder Taxi zum Flughafen fährt. Aber der Kater zuhause erheischte möglichst schnellen Reiseverlauf. Irgendwie schaffte ich es sogar, mir die Ebene und den Standplatz zu merken, 1 B.

Trinken wir noch ein Warsteiner, sagte der nach seiner glänzenden Rede gut gelaunte Franz Schuh beim Galadiner in der Darmstädter Orangerie zu mir. Ich merkte, dass er nicht bloß ein Bier wollte, sondern ein Warsteiner, dabei hatte er doch das geniale Kurzgedicht »Jever Pils / Gott will’s« geschrieben. Ich hatte übrigens auch ein Kurzgedicht gemacht, es aber nicht vorgetragen, was der Theologe Hubert Wolf sehr bedauerte. Es geht so: »Der Schelling und der Hegel / Die sind bei euch die Regel. / Wir ham dazu / Den Schuh.“

Jetzt aber wollte der Schuh bedeutungsschwer ein Warsteiner, kein anderes, und ich musste ihm erklären, warum ich kein Warsteiner mit ihm trinken konnte, obwohl ich das gern gewollt hätte. Ich muss morgen früh aufstehen, denn ich mache mit Dirk Stermann öffentlich Späße, sagte ich zu Schuh in der Orangerie. Ah, sagte Schuh, das sind Gentlemen, er und der Grissemann, die behandeln einen im Studio und hinter der Bühne mit wirklicher Höflichkeit, sagte er, wobei es vermied, das Wort Höflichkeit auszusprechen und stattdessen mehrfach die Gentlemanhaftigkeit des Stermann betonte. Ich weiß, sagte ich, zu mir war er auch immer sehr freundlich.

Franz Schuh hatte sich wieder erholt, er war ja lange Zeit im Spital gewesen und hatte ordentlich etwas durchgemacht, sodass in Wikipedia der Satz stand, er lebe nun „als Pflegefall“. Was ich in meiner Rede berichtete, worauf der Franz, nicht faul, als er „schweren Schritts“ (FAZ) die Bühne betrat, es waren ein paar gewagte Stufen zu überwinden, gleich den Satz sagte: „So sieht es aus, wenn ein Pflegefall die Bühne betritt“.

Immerhin aber ging er, am Stock zwar meistens, aber er ging, was schön war. Und eben, als sich in der Orangerie Maja Haderlap zu uns beugte, die Franz hinter ihrer Maske zuerst nicht erkannte, ich aber schon, denn ich hatte zuvor im Staatstheater mit ihr geredet und konnte sie schon aus der Weite an ihren Wuckerln (für Deutsche: Schneckerln) identifizieren, als sich die von uns beiden verehrte Schriftstellerin Maja Haderlap also zu uns beugte und sprach: „Ich bin so stolz auf euch!“, da erfüllte den Franz und mich ein Stolz, Verursacher solchen Stolzes zu sein, und wir lächelten gütig.

Danach sagte der Franz zu mir, er werde jetzt seine Vorlesungen an der Angewandten wieder aufnehmen. Und: „Weiß du, was das Schönste war? Ein paar Wochen nichts anderes tun zu müssen als zu schreiben“. Er hat ein neues Buch schon fast fertig, da spitzte der natürlich beim Galadiner ebenfalls anwesende Verleger Ohrlinger die Ohren. Die Anwesenheit bei Galadiners gehört sozusagen zu den Grundanforderungen des Verlegerberufs. Dem Verleger Ohrlinger widmete ich zum Sechziger vor kurzem eine meiner gefürchteten Hexameter-Oden. Als ich den Franz fragte, ob er seine Laudatio lieber in gebundener Rede gehabt hätte, antwortete er ausweichend, gestand dann aber, das wäre ihm nicht so recht gewesen. Da geht es ihm wie dem Knaben bei Karl Valentin: dem hat der ererbte Anzug gepasst, dabei hat er den Vorbesitzer gar nicht gekannt. Schuh kennt meine Oden überhaupt nicht, die hätten ihm gepasst wie anprobiert!

Büchner-Preisträger (Büchnerpreis-Träger?) Clemes J. Setz war naturgemäß beim Galadiner anwesend und trug die ganze Zeit eine FFP-Maske, was wir in der Zeit, in der wir nicht redeten, auch taten, aber bei einem Galadiner fällt das etwas schwerer. Es gab Kürbiscremesuppe, einen Kalbsbraten mit Erdäpfeln, Fisolen und Blumenkohl-Karottengemüse sowie das unerlässliche Tiramisu. Das hätte uns in Österreich nicht passieren können. Da gab es lieber gar nichts.

Mit Franz war ich einmal während der Frankfurter Buchmesse bei einem Österreich-Empfang im Hessischen Hof. Die Ministerin Hilde Hawlicek ließ auf sich warten. Es hungerte und es dürstete die Gäste, sie wurden unruhig, murrten und beschlossen, zu verzehren, was da war, also war nichts mehr da, als die Ministerin kam. Selbst schuld, war die einhellige Meinung, hätte sie ein üppigeres Buffet bestellt!

Kissen und Foto: © Irena Rosc

Meine Mutter wiederum ist bekannt für Ihren Spruch „Weniger wäre auch genug gewesen“, der auf Buffets selten, auf Literatur dann nur zutrifft, wenn man Lektoren, nie jedoch, wenn man Schriftsteller fragt.

Der Bürgermeister des schönen Darmstadt richtete beim Galadiner das Wort an uns, die wir doch meinten, bereits genug der Worte aneinander gerichtet zu haben, aber es ist wie mit der Nachspeise, da geht auch noch immer etwas. Der Sigmund-Freud-Preisträger Hubert Wolf saß vis-àvis und unterhielt uns mit Schmankerln aus den Geheimarchiven des Vatikan, und so konnte ich sagen, als ich müde, ungeordneten Haares und nur leicht betrunken im Hotel ankam, es war doch ein schöner Abend geworden. Wir hatten ein Sammeltaxi genommen, damit wir zu viert einsteigen konnten, und als der Franz im Hotel entsetzt bemerkte, dass die Bar schon dunkel war, sodass es ziemlich triste um seine Aussicht bestellt war, ein Warsteiner zu trinken – es gibt zwar Bier auf Hawaii, aber kein Warsteiner in den Minibars! – fiel mir ein, während ich mich verabschiedete, ich hatte die ganze Zeit des Galadiners über nicht an meinen armen kleinen Kater gedacht, der zu Hause in der Küche, so hoffte ich, das Gleiche tat wie nun ich: er schlief.

Fortsetzung folgt.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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