Ich schaue auf Darmstadt, aber ich denke an den Kater. Kleine Reisegeschichte, 1

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 570

Armin Thurnher
am 10.11.2021

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Machen wir ein Päuschen von politmedialem Komplex, Korruption und von Corona. Vergangenes Wochenende unternahm ich eine Blitzreise nach Darmstadt, Baden und zurück. Was man in zwei Tagen alles erleben kann! Hier der erste Teil eines Berichts in zirka drei Teilen.

 

Bad Hair Day in Darmstadt

Darmstadt, vergangener Samstag. Verleihung des Büchner-Preises. Während Clemens Setz auf der Bühne von den beinstampfenden Reaktionen der Pferde auf ihren Lehrmeister Karl Krall berichtete, musste ich an den klugen Kater denken. Und an Bernhard Kraller, den braven, Herausgeber einiger Bände über Rudolf Burger. Kraller stellt nun einen Band über Franz Schuh zusammen, für den ich ihm einen längeren Text versprochen habe. Krall und Kraller, da scharrte ich mit den Hufen, weil ich nervös wurde, hatte ich doch noch kein Wort geschrieben.

An den Kater dachte ich die ganze Zeit während der Feier zur Verleihung des Büchner-Preises und der mit ihm gleichzeitig verliehenen beiden anderen Preise, die in Österreich naturgemäß unter ferner liefen liefen, obwohl, wie Leserinnen und Leser der Seuchenkolumne wissen, Franz Schuh den Johann-Heinrich-Merck-Preis für Essayistik bekam und der Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa wenigstens nach einem Österreicher benannt ist. Wir trieben also die Ösi-Quote in jene lichten Höhen, die Dirk Stermann mit dem Romantitel „Sechs Österreicher unter den ersten fünf“ markiert hat.

Zu Stermann komme ich später. Morgen, sozusagen.

Jetzt denke ich an den Kater. Den Kater hatte ich zurückgelassen in diesem Geisterschloss, das ich seit Tagen allein mit ihm bewohne und mit anderen mir persönlich unbekannten Tieren, Mäusen gewiss, Siebenschläfern möglicherweise, Mardern sicher, Fledermäusen die Menge, Bienen, Wespen und Hornissen, die schlafen oder sich gerade zur Winterruhe betten, Zieseln, welche die Mauern unterminieren, Falken und anderen Vögeln, und einer Äskulapnatter, die ich nie sah, die meine Frau aber wohl gesehen hat.

Ich musste an sie alle denken, und dass ich wohl nie den Band mit Tiergeschichten schreiben würde, obwohl es da viele zu erzählen gäbe, doch neben mir sitzt mein Verleger Herbert Ohrlinger vom Zsolnay Verlag, und ich weiß schon, was er mir antwortet, wenn ich ihm so etwas vorschlage, er sagt dann trocken: Österreichbuch, und ich schreibe widerspenstig aber gelehrig wie eines der Pferde von Karl Krall wieder ein Österreichbuch, doch während Clemens J. Setz seine wunderbare und tieftraurige Geschichte von Krall und seinen gelehrigen Pferden erzählte, musste ich an den klugen Kater denken, mit dem ich an dieser Stelle ja schon manchen Dialog geführt habe.

Was würde er wohl jetzt gerade machen, in der Küche, in die ich ihn eingesperrt hatte? Den Feinstaubsatanholzküchenherd hatte ich zwar zuvor ordentlich geheizt, der würde noch mindestens zwölf Stunden Satanswärme über seine Chamottesteine abgeben, es war ein klimakrisenmilder November, die Agrarwetter-Website verhieß nichts Grimmiges, also würde der Kater nicht frieren. Er schläft. Schläft auch sonst den ganzen Tag.

Warum ließ ich ihn zurück? Die Frau war in Slowenien, und ich musste zum Büchnerpreis, die Laudatio für Franz Schuh halten, der, ich sagte es schon, den Johann-Heinrich-Merck-Preis für Essayistik erhielt, benannt nach einem, wie Franz es mit leicht drohendem Unterton ausdrückte, in dem die Kanonen von Ferne zu grollen schienen, der seine Existenz als Essayist mit der des Kriegsrats vereinte. Ich bin froh, dass Essayisten heutzutage keine Kriegsräte mehr sind, außer in Afri- od Ameriko, oder sollte ich, on second thought, nicht froh sein? Habe ich nicht oft gefordert, Österreich solle nach dem Muster des Octavio Paz oder des Pablo Neruda Dichter und Dichterinnen zu Diplomaten ernennen und in die Welt schicken?

Während also der geniale Büchnerpreisträger Clemens J. Setz, den die Deutschen ständig als Clemens Jott Setz bezeichneten, während ich Clemens Jäh Setz gesagt hätte, aber ich kam nicht auf die Idee, ihn selbst zu fragen, was richtig wäre, während also Setz seine Pferdegeschichte fortsetzte, folgte ich ihm gespannt, aber zwischen den klopfenden Beinen der Pferde lugte immer der Kopf meines Katers Hannibal hindurch.

Dabei hätte ich Gelegenheit gehabt, Setz zu fragen, ob er Jäh oder Jott sei, Jott, ich wollte es nicht so direkt sagen, klingt einfach zu sehr nach Ha-Jott, wärend Jäh doch charmant das Ojeh evoziert, aber wir wurde mit dem Bus vom Hotel in das Darmstädter Staatstheater gebracht, einen jener zwangsläufig modernen Bauten, von denen deutsche Mittelstädte nur so strotzen, und die eine gemäßigt sachliche Atmosphäre ausstrahlen, der man sich kaum entziehen kann, man fühlt sich sofort wie der Komparse eines Stadttheaters unter all den Kulturträgern mit ihren gepflegten stahlgrauen Frisuren und immergleichen edlen roten Shawls über dem dunkelblauen Kaschmirmäntelchen. Und wo haben die ihre schmucken weißen Hemden her?

Egal, als wir aus dem Bus ausstiegen und die Treppe an der Hinterseite des Theaters emporstiegen, standen wir oben einen Augenblick beisammen (oder war es noch unten, beim Bus? Ich weiß es nicht mehr); jedenfalls kam ich neben Setz zu stehen, der sich mittels Kappe, Langhaar und Langbart so unkenntlich gemacht hat, dass man ihn ikonengleich sofort erkennt, diesen Heiligen Clemens der Literaturpreise. Ich gratulierte ihm schüchtern zu seinem Preis, und statt ihn zu fragen, ob Jäh oder Jott, schaute ich ihn nur freundlich an. Er aber sagte: Ich bin sehr nervös. Ach was, sagte ich, das sind wir doch alle. Sie werden das sicher sehr gut machen. Das half ihm bestimmt, denn er machte es sehr gut.

Meine Frisur war übrigens eine Katastrophe. Ich trage die Haare neuerdings länger, natürlich nicht so lange wie Setz, aber doch über das jahrelang geübte Zweifingermaß hinauswachsend. Also benötige ich einen Haarfestiger. Den hatten sie mir am Flughafen naturgemäß abgenommen, denn obwohl die Flasche nur mehr ein Restchen enthielt, besagt die Vorschrift, das Gebinde dürfe nicht mehr als 150 Milliliter enthalten können, und nur wenn ich ein anderes Gebinde gehabt hätte, hätte ich meinen Festiger mitnehmen dürfen. Am Flughafen verkauften sie keinen Festiger, nur eine Art Pomade. Vielleicht funktioniert die, dachte ich, in solchen Dingen trotz meines fortgeschrittenen Alters wegen Gleichgültigkeit eher unerfahren, und legte mich im Hotel zu einem Schläfchen hin, denn ich war müde. Als ich aufwachte, war nicht mehr viel Zeit, alles ging zu langsam, Duschen, Rasieren, Haarewaschen, und dann, in die nassen Haare die Pomade, oder wie? Trockne ich die Haare zuerst, fliegen sie nur so herum. Ich entschied mich für den Kompromiss, Pomade ins Feuchte, würde schon schiefgehen, und es ging schief.

Aber es war mir irgendwie auch wieder wurscht, denn meine Gedanken, ich sagte es schon, waren beim Kater.

Fortsetzung folgt.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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