Wie ich in Österreich geistig vegetiere

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 565

Armin Thurnher
am 04.11.2021

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Gestern bekam ich meine dritte Covid19-Impfung. Ich folgte der Empfehlung meines Kolumnengottes (er nennt mich seinen Seuchenheiligen, denn eine Kolumne ist bekanntlich eine Säule) Robert Zangerle, der sie morgen und vielleicht auch übermorgen hier mit Neuem , nun ja, erfreuen ist nicht das richtige Wort, sagen wir auf den Stand der Seuchendinge bringen wird.

Mir als Laien leuchtete es blitzartig als vernünftig ein, als Zangerle mir riet, nach zweimal Vektor (AstraZeneca) Imfpstoff nun einen mRNA-Impfstoff zu nehmen. Und zwar nicht sechs, sondern vier Monate nach der zweiten Impfung. Ich bekam ihn auch, Biontech-Pfizer, Comirnaty sagt die Fachfrau, und die Ärztin impfte mich auch wunschgemäß. Es war mir aber nicht möglich, mich wie von ihr zuerst gewünscht über das niederösterreichische Impfsystem anzumelden, da dieses offenbar trotz meines mich qualifizierenden Alters (65+ sieben) auf sechs Monaten Abstand zum zweiten Stich beharrt, ganz gleich, ob die Impfwirkung erwiesenermaßen bei Astra-Impfungen früher nachlässt oder nicht.

Man muss ja nix lernen, schon gar nicht von Israel, und Impfstoff gibt es zwar genug, aber wozu flexibel sein, wenn man den Nichtgeimpften auch noch zum Nikolo einen Brief schrieben kann? Wäre ich Epidemiologe wie Zangerle, wäre ich längst kahl, denn ich hätte mir sämtliche Haare nicht nur gerauft sondern ausgerissen.

Naja, jedenfalls erhielt ich links-rechts, rechts Pfizer, links die Grippeimpfung, und werde schon sehen, wohin das führt. Fühle mich deswegen nicht sicher vor Infektionen, werde trotzdem aufpassen und brav die unten empfohlenen Regeln befolgen, hoffe aber, falls es mich doch erwischt, vor schwerem Verlauf geschützt zu sein.

Noch eine Bemerkung zu unserem Impfkomitee: Schon vor dem zweiten Stich hatte mir Zangerle geraten, mich um einen mRNA-Impfstoff zu bemühen, und auch die kluge Ärztin hätte mir damals einen gegeben, aber sie durfte nicht. Vorschrift. Wenige Tage später hätte sie gedurft. Ich will nicht sagen, die machen alles falsch, beileibe nicht, aber bei meinem Leibe hätte ich mir etwas anderes vorstellen können. Sei’s drum, wenigstens ist das gorillaartige Selbstberühmen der Verantwortlichen weggefallen, seit Sebastian Kurz in der Chatkarenz weilt und die 32-bändige Gesamtausgabe von Donald Trumps gesammelten Werken studiert, um sein Comeback vorzubereiten.

Ich fuhr nach Hause, machte mir einen ruhigen Nachmittag und wartete auf die eintreffende Regenfront. Die kam nicht vor der Dunkelheit. Die anstehenden körperlichen Arbeiten schob ich auf, zwei Tage soll ich es etwas leichter nehmen. Von psychischem Stress sagte die Ärztin nichts, aber denn kann man ohnehin schwerer aussetzen.

Auch das ging aber ganz gut, nur harmlose, allgemeine Sachen twittern, nicht auf die Trollseite schauen. Die deftigsten Gedichte nur Freunden schicken, nicht veröffentlichen. Wenn ich Ihnen sage, was ich mir auf Twitter alles verkneife!

Die nette Frau Atzara vom wichtigen Ö1-Magazin Doublecheck führte gestern ein Gespräch mit mir über das System Fellner. Es litt darunter, dass ich bei diesen Zoom-Gesprächen einfach nicht reaktionsschnell bin. Aber mit meinen Live-Interviews war ich auch immer unzufrieden. Andere sind einfach fixer, oder sie bereiten sich vor. Ich mag mich auf so ein live-Gespräch nicht vorbereiten, um dann blitzende Aphorismen zu produzieren, als wären sie mir gerade eingefallen.

Wenn sie mir nicht einfallen, fallen sie mir eben nicht ein, und wenn ich mir so beim Labern zuhöre, frage ich mich oft, warum sie mir gerade nicht einfallen. Vielleicht gerade deshalb? Ich glaube, man muss sich beim Sprechen darauf einstellen, ganz gelassen so etwas rauszuschieben wie: „Fellnerismus? Die Brüder haben die gewöhnliche österreichische Medienverkommenheit auf technoromantisches Niveau gebracht.“ Wäre besser gekommen, ist mir aber nicht eingefallen. So harre ich gespannt der Radiosendung, Freitag Abend, 19 Uhr, wie immer auf Ö1, und warte, was die freundliche Frau Atzara von dem ausgewählt hat hat, was mir nicht eingefallen ist.

Ich erinnere mich ungern an Interviews mit netten, interessierten Frauen und Männern der Sendung Report, die mich ebenfalls, sogar bei laufender Kamera in meinem Messi-Büro im Falter lang und länger zum Thema Fellners interviewten. Es kam dann nicht einmal eine dreißigsekündige Passage, wie ich befürchtet hatte, es kam gar nichts. Einer der Fellners hatte einfach ein Statement verweigert und damit, wegen fehlender Ausgewogenheit, den Sendebeitrag zum Platzen gebracht.

Wie ich in Österreich geistig produziere, unter diesem Titel hat Franz Schuh einmal seine Existenz als Intellektueller beschrieben. Wie ich in Österreich geistig vegetiere, könnte ich sagen, wenn ich die Schonkost bedenke, die ich gezwungenermaßen zu mir nehme, weil mich die beklagenswertesten Existenzen der Kurz-Getreuen damit stopfen. Aber auch dieses lasse ich mir nicht verdrießen. Franz Schuh erhält den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay, den die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung gleichzeitig mit dem Büchner-Preis vergibt. Da den Büchner-Preis heuer Clemens Setz bekommt, ist das Doppel fest in österreichischer Hand. Ich darf die Preisrede auf Franz Schuh halten.

In Österreich wird so etwas bei mir am Tag der Veranstaltung fertig, aber deutsche Gründlichkeit bestand darauf, den Text schon eine Woche vorher zu haben. „Für die Pressemappe“. Sie bekam ihn immerhin am Dienstag. So reise ich nun völlig entspannt nach Darmstadt und werde am Samstag etwas vortragen, das ich schon vor langer Zeit schrieb. Ob ich es wiedererkenne?


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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