Der Verfall der Mitte: Frau Salomons Gespür für Toleranz

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 556

Armin Thurnher
am 25.10.2021

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Kurze Operettenpause. Obwohl… Sagen wir so: spricht man vom österreichischen Journalismus, bedarf es keiner Operettenform. Den Journalismus muss man gar nicht erst in Stimmung bringen, er ist’s ja schon. „Den Journalismus“, das ist auch schon wieder so eine pauschale Formulierung. Natürlich sind Ausnahmen immer mitgemeint und Mitgemeinte sind ausgenommen, aber die Darbietungen lassen insgesamt wenig zu wünschen übrigen. Sebastian Kurz holt aus allen das Beste heraus, nie war so viel besorgtes Gemauschel wie jetzt, abgesehen vom letzten Mal.

„Wann hat es eigentlich begonnen, dass der politische Gegner nicht mehr als Mitbewerber betrachtet wird, sondern als Feind, der zerstört werden soll?“ Dieser Satz aus Frau Salomons Leitartikel von gestern erinnert mich im ersten Teil an eine Frage, die mich seit längerem umtreibt: Wann hat es eigentlich begonnen, dass irrationale Verhältnisse als rational empfunden werden? Dass persönliche Gier als ökonomische Vernunft dargestellt, dass schamlose Bereicherung als unternehmerische Tüchtigkeit porträtiert wird? Wann ging es damit los, dass der Neoliberalismus auch bei uns mit dem Nachkriegszeitalter Schluss machte? War’s nicht schon unter Kreisky? Und war der Vorwand, man könnte auch sagen das berechtigte Motiv, nicht der Wille, als lähmend empfundene Umstände zu modernisieren, die Fenster zu öffnen, frische Luft hereinzulassen? Was aber tut man, wenn die Luft knapp wird?

Frau Salomons rhetorische Frage lässt sich hingegen recht einfach beantworten. Man könnte auf Carl Schmitt verweisen, der die Freund-Feind-Frage zur politischen Grundfrage erklärte. Oder auf Sebastian Kurz: Der zog es vor, den innerparteilichen Mitbewerber zu zerstören, ehe er den politischen Gegner zerstörte, immer mit schmutzigen Mitteln, immer verlogen die süße Rede von der neuen Mitte im Mund führend.

Als Herausgeber eines von der NVP intern so genannten „Feindmediums“, dem die Feindseligkeit auch objektiv mitgeteilt wurde, nämlich durch Zurücksetzung sämtlicher, eh nicht üppig vorhandener Regierungsinserate auf Null, fällt mir diese Analyse leicht. Während Frau Salomon, die jetzt so tut, als habe sie stets einen vernünftigen Kurs der Mitte vorgezogen, die Sternchen des Kurz-Fans in den Augen hatte, wenn von diesem Mann die Rede war. Sie kam mit ihm, wenn nicht durch ihn in ihr Amt. Dass ihr eine Welt zusammenbricht, wenn er ihr genommen wird, ist verständlich.

Ein Leserbrief in der Kleinen Zeitung drückte es besser aus, als Frau Salomon das könnte. „Der Bundeskanzler musste zurücktreten, weil sein Charakter beschädigt wurde, und nicht, weil sein tatsächliches Vorgehen strafbar ist. Die Entscheidung über Letzteres werden die Gerichte treffen. In den USA nennt man ein solches Vorgehen ,Charakterassassination‘, weil es in den meisten Fällen den politischen Tod bedeutet.“ Das ist wirklich perfekt perfid argumentiert und zutiefst österreichisch: Weil durch die Offenlegung der Chats der Charakter des Bundeskanzlers offenbar wurde, weil der verlogene Schein zerstört wurde, sei dessen Charakter „zerstört“ worden.

Frau Salomon kann’s aber auch ganz gut, wenn sie den Verlust der Mitte beklagt. Verlust der Mitte ist übrigens der Titel eines interessanten, 1948 erschienenen, erfolgreichen Buchs des nationalsozialistischen Kunsthistorikers Hans Sedlmayer, einer Absage an die Moderne.

Salomons Kommentar interessiert mich nur dort, wo sie behauptet, der Kurier nehme eine Position der Mitte ein, indem er Natascha Strobl und Andreas Unterberger Raum gebe. „Zwei zugespitzte Meinungen ohne Anspruch auf Objektivität. Aber brächte es den mündigen Bürger weiter, immer nur dieselbe (eigene) Ansicht zu hören? Eine sehr laute Minderheit im politmedialen Komplex will alle zur Einheitsmeinung erziehen – und es wirkt: In Österreich wagt zum Beispiel so gut wie kein Experte mehr die Ungereimtheiten des Justizapparats (etwa die Verstöße gegen das Briefgeheimnis) zu kritisieren.“

Ja, was brächte den mündigen Bürger weiter? Zum Beispiel nicht mit Whataboutismus (Briefgeheimnis) davon abzulenken, dass sehr wohl ausführlich diskutiert wurde, warum und in welchen Fällen berechtigtes Interesse an scheinbar privaten Diskussionen von Amtsträgern besteht und deren Veröffentlichung legitim ist. Zum Beispiel nicht damit, dass man die kritisierbare, aber doch ein Niveau von Kritik erreichende Natascha Strobl mit dem schwadronierenden rechten Wirrkopf Unterberger als zwei „zugespitzte Meinungen“ auf eine Ebene stellt.

Vor allem aber lernen wir eines: unabhängige Publizistik erweist sich nicht in der Fähigkeit, verschiedene Meinungen auszustellen. Unabhängige Publizistik traut sich vielmehr, eine Position zu vertreten, ohne diese gleich butterweich mit der Gegenposition abzufedern. Das Versagen der österreichischen Publizistik besteht nicht zuletzt darin, dass sie sich ständig auf diese Weise abzusichern sucht. „Wir müssen doch bitte auch einmal einen Neoliberalen publizieren lassen, sonst gelten wir als intolerant!“ Den müssten wir nur publizieren, wenn ihm überall sonst das Maul verboten würde. Aber nur dann.

Meinungsfreiheit besteht nicht darin, alle einzugemeinden und mit allen Händchen zu halten. Meinungsfreiheit besteht darin, das Seine sagen zu können. Wenn’s geht, klar und deutlich.

Aber Frau Salomon meint ja etwas anderes, wenn sie schreibt: ,Meinung und Gegenmeinung ist das Wesen eines lebendigen Diskurses und der Demokratie. Daher muss totalitären Tendenzen, mit denen Privatpersonen, Politiker oder Medien so lange denunziert werden sollen, bis der Dreck an ihnen hängen bleibt, entgegengetreten werden. Auch dafür sind unabhängige Medien da. Sie lassen sich von niemandem den Mund verbieten. NZZ-Chefredakteur Eric Gujer empfahl dieser Tage, „der verbalen Verrohung Maß und Mitte entgegenzusetzen’. Das tun wir.“

Frau Salomon meint es so wie der Leser der Kleinen Zeitung: wer den Charakter des Sebastian Kurz zeichnet, beschädige Kurz. Wenn Mitte bedeutet, Gnade vor Recht ergehen zu lassen und Unrecht mit der sanften Decke der Kungelei zuzudecken, hat sie das Maß verloren. Nicht die WKStA und kritische Medien haben Kurz mit Schmutz beworfen. Kurz hat die Öffentlichkeit, seine Rivalen und seine Gegner mit Dreck beworfen und dabei versucht, uns glauben zu machen, es sei Honig.

Ja, man soll unabhängigen Medien nicht den Mund verbieten. Hier besteht wenig Gefahr. Wichtig wäre es, auch abhängigen Medien nicht den Mund zu verbieten. Der wortverdrehende Antimodernismus der Frau Salomon, auf den man genderbedingt nicht einmal das Wort Bubenstück anwenden kann, sollte sich und uns wenigstens die Anmaßung ersparen, er verteidige die Pressefreiheit.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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