Vertrauen ist gut, dritte Impfung ist besser

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 549

Armin Thurnher
am 16.10.2021

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Wie und wann erreicht man Schutz durch eine dritte Impfung, und vor allem: wie sage ich es meiner Bevölkerung? Epidemiologe Robert Zangerle skizziert in dieser Folge die Schwierigkeiten dabei und kritisiert die Kommunikation im westeuropäischen Impfschlusslicht Österreich. Vertrauensgesellschaft werden wir keine mehr. Warum wohl? A. T.

»Die letzte Seuchenkolumne vom Anfang dieser Woche versuchte die Fallstricke von Observationsstudien zur Beurteilung der Effektivität der Impfungen im Vergleich zu den randomisierten klinischen Studien zu beleuchten. Gänzlich ohne Beleuchtung wurde nun via APA eine solche Studie („AGES-Studie: Alle zugelassenen Impfstoffe effektiv“) über sämtliche Tageszeitungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Den Vogel schoss dabei die Zwischenüberschrift auf ORF Online „Schutz bei J&J und AstraZeneca steigt mit Alter“ ab, ein Ergebnis, das glasklar Folge eines „unmeasured confounding“ und/oder eines Selektionsbias ist.

Ironie der Geschichte: das Wie des Ausrollens des Impfstoffs von Janssen scheint sich zu rächen. Bei der Verteilung des Impfstoffes von Janssen wurde nämlich ein Selektionsbias bedient. Soll heißen, Personen wurde eher in die Studie eingeschlossen, wenn sie eine bestimmte Eigenschaft besitzen (in diesem Falle den Wunsch, „bequem und möglichst schnell die Impfung hinter sich zu bringen“, oder wenn sie schwer erreichbaren Gruppen der Gesellschaft angehörten). Bei AstraZeneca, wo dies etwas weniger zutraf, ist es komplexer, weshalb hier jetzt nicht spekuliert wird. Auf der AGES Webseite findet sich folgende Grafik , die einen ratlos zurücklässt.

Die Beurteilung des Schutzes vor Infektion mit Symptomen erfolgte für die Deltavariante anhand eines Abgleichs der Daten vom 5. Juli bis zum 5. September, zwischen e-Impfpass der ELGA GmbH und dem Epidemiologischen Meldesystem EMS, das der AGES zur Verfügung steht. Nirgendwo wird ein Wort darüber verloren, wie dem Datenschutz entsprochen wird. Jedenfalls sei allen Beteiligten die Initiative OPENsafely („Better research, improved patient confidentiality“) aus Großbritannien nahegelegt.

Die Gruppe der 12-17-Jährigen hat für eine fundierte Beurteilung der Effektivität der Impfstoffe in dieser Studie nichts verloren. Die Beobachtungsdauer ist viel zu kurz (im Artikel nicht angegeben!) und der Beginn viel zu knapp am Ausrollen des Impfstoffes in dieser Gruppe. Wie viele waren in dieser Zeitspanne denn schon vollständig immunisiert? Zweifellos sind diese 12-17-jährigen Geimpften und deren Eltern besonders um die Prävention einer SARS-CoV-2 Infektion bemüht. Klar ersichtlich ist dies auch aus dem Artefakt, dass die größte Wirksamkeit (nämlich 100%) der vollständig Geimpften in den ersten 14 Tagen der Beobachtungsstudie zu finden war (und zuvor), was auf der folgenden Grafik dargestellt ist. Plausibelste Erklärung: Die Geimpften haben sich anders verhalten!

Die AGES Studie ist auch in einem abrissartigen Artikel zugänglich, Wichtiges findet man jedoch nicht. So werden dort nur die Prozente der Effektivität der Impfstoffen angegeben, Zähler und Nenner fehlen, als ob man vor allem das Problem des sich ständig verschiebenden Nenners beim Ausrollen einer Impfung so vermeiden (oder verstecken?) könnte.

Was man erwarten dürfte? Sicher, es scheint etwas viel verlangt, doch zeigen viele Studien, wie man vorgehen sollte. Eindrucksvoll ist die Gegenüberstellung der AGES Studie mit einer Studie aus dem Staat New York. Die Richtung, die dort eingeschlagen wird, stimmt nicht nur, sondern entspricht auch einer epidemiologischen Binsenwahrheit, sich den Problemen so anzunähern. In New York wurde die Effektivität der Impfungen („Vaccine effectiveness“) der Impfstoffe von Moderna, Pfizer-BioNTech und Janssen mit Hospitalisierungen vom 1. Mai bis 31. August 2021 verglichen. Unter insgesamt 8,834,604 (!) Studienteilnehmern gab es 155,092 Covid-Fälle und 14,862 Covid-bedingte Krankenhausaufnahmen. In 3 Kohorten, die nach dem Zeitpunkt der Impfung, organisiert waren, nämlich

  • Jänner/Februar (Moderna + Pfizer-BioNTech

  • März (Moderna + Pfizer-BioNTech + Janssen)

  • April (Moderna + Pfizer-BioNTech + Janssen)

wurde die Effektivität der Impfung gemessen.

Schlussfolgerung der Autoren: die Effektivität der Impfungen gegenüber Hospitalisierungen blieb hoch; mit mäßigen Abnahmen, die sich auf mit Pfizer-BioNTech und Moderna Geimpfte 65+ beschränkte. Die Ergebnisse unterstützen den Booster bei über 65-Jährigen.

Ein ähnliches Ergebnis ebenfalls aus den USA wurde am 7. Oktober im renommierten New England Journal of Medicine bereits publiziert.

Das Vaccines and Related Biological Products Advisory Committee (VRBPAC), das Beratungsgremium für Impfungen der FDA tagte vorgestern zum Booster (Auffrischimpfung nach 6 Monaten) von Moderna. Zur Erinnerung: das gleiche Komitee lehnte am 17. September den Antrag von Pfizer für eine 3. Impfung („Booster“) mit Comirnaty für alle mit bereits zwei Impfungen ab und die FDA erteilte am 22. September nach Beratung des VRBPAC der CDC eine begrenzte  Zulassung des „Boosters“. Moderna hat ihren Antrag auf Zulassung ihres Impfstoffes (Spikevax) wortgleich auf die Zulassung von Comirnaty abgestimmt, weshalb das Abstimmungsergebnis für die Zulassung für die folgenden 3 Gruppen erwartungsgemäß klar mit 19:0 ausfiel

  • 65 Jahre alt oder älter

  • Personen ab dem 18. Lebensjahr mit erhöhtem Risiko schwer zu erkranken

  • Gruppen mit hohem Expositionsrisiko, beruflich (z.B.: Gesundheitspersonal) oder institutionalisiert (z.B. Gefängnisse).

Bei der letzten Gruppe gab es erneut viel Diskussion zum Gesundheitspersonal, das in der Mehrheit kein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf hat, weshalb das ACIP am 22. September gegen den Booster bei dieser Gruppe stimmte, aber Rochelle Walensky, die Direktorin des CDC hat diesen Beschluss overruled. Jetzt wurde mehrfach betont und damit argumentiert, dass man das medizinische System nicht weiteren Belastungen aussetzen will, unabhängig von einem individuellen Risiko.

Die Besonderheit beim Moderna Booster: 50 µg sind die Hälfte der Dosis, die bei beiden initialen Impfungen verabreicht werden. Dieses Schema des Boosterns mit Spikevax könnte vielleicht helfen, mehr Licht ins österreichische Dunkel zwischen der 3. Dosis bei schwer Immungeschwächten („additional dose“) und der Auffrischung 6 Monate nach der 2. Dosis („Booster“) zu bringen. Dieser Sachverhalt hat Österreich viel zu wenig durchdrungen, weshalb die zusätzliche Gabe vom Aktivismus der schwer Immungeschwächten oder deren Behandler abhängt.

Was aus den Booster Daten aus Israel Anfang der Woche noch nicht hervorging ist, war die Häufigkeit der unerwünschten Wirkungen („Nebenwirkungen“ ist für allem für die typischen Impfreaktionen kein treffender Begriff). Beim Meeting um die Booster Impfung von Moderna wurde ein Update über Wirkungen und unerwünschte Wirkungen bis zum 10. Oktober aus Israel präsentiert.

Über die positiven Wirkungen des Boosters wurde in der letzten Kolumne ausreichend berichtet, deshalb hier das Update des israelischen Gesundheitsministeriums zu den unerwünschten Wirkungen. Die Vertreterin aus Israel versuchte hervorzuheben, dass ein „underreporting“ aufgrund des „passiven“ Meldesystems einzuberechnen wäre, weshalb das offizielle Statement „gleiche Rate“ wie bei der 2. Impfung lautet und die präsentierte Grafik sogar eine geringere Rate zeigt.

Die Vertreterin Israels räumte auf Nachfrage des Komitees ein, unerwünschte Wirkungen seien wahrscheinlich beim Booster doch seltener, und dies vor allem im Fall des Auftretens einer Myokarditis (Herzmuskelentzündung), weil diesbezüglich alle potentiell Meldenden „pro“aktiv aufgefordert wurden, diese Fälle zu entdecken und sofort zu melden. Alle bisherigen Fälle von Myokarditis und Perimyokarditis bei der Booster Impfung traten bei männlichen Jugendlichen oder jungen Männern auf, aber eben wesentlich seltener.

Gestern gestaltete sich die (öffentlich live beobachtbare) FDA Sitzung zum Booster beim „Einmal“Impfstoff von Janssen anfangs sehr kompliziert und wurde dann ganz simpel gelöst. Das Ansuchen von Janssen lautete sinngemäß so: „eine Booster Dosis nach 6 Monaten oder später, aufgrund der Stärke der dann zu beobachtenden Immunantwort, obwohl eine Booster Impfung auch bereits nach 2 Monaten verabreicht werden kann. Die Notwendigkeit eines Boosters wird einerseits von der lokalen/epidemiologischen Situation und andererseits von den Bedürfnissen von Individuen und spezifischen Bevölkerungsgruppen bestimmt.“

In der Diskussion wurde von einer substantiellen Gruppe des Komitees die Dringlichkeit einer Steigerung der Wirksamkeit der Janssen Impfung gefordert, diese sollte möglichst bald nach der 1. Impfung geschehen. So ein Vorgehen entspräche nicht einer charakteristischen Auffrischung, weshalb der Begriff Booster unangebracht sei. Aber das war nicht die Agenda des Ansuchens von Janssen bei der FDA, auch das wurde in der Sitzung beklagt. Niemand vom Komitee wollte eine Verstärkung der Impfung erst nach 6 Monaten!

In dieser Situation hat die FDA die Abstimmung im Komitee auf folgende erste Frage eingeschränkt: „Unterstützen die verfügbaren Daten die Sicherheit und Effektivität der Janssen Covid Impfung für einen Booster für alle ab 18 Jahre mit einem Mindestabstand von 2 Monaten zur ersten Impfung?“

Schließe mich der einhelligen Meinung des Komitees an: der Impfstoff von Janssen ist also ein „ganz normaler“ 2-Dosis Impfstoff und über einen „wirklichen Booster“ wird zu einem späteren Zeitpunkt entschieden. Es ist möglich, dass die FDA die 2. Impfung von Janssen doch als „additional dose“ und nicht als „Booster“ bezeichnet, zumindest hat dies der Verantwortliche der FDA bei der Sitzung nicht ausgeschlossen. Und die Zulassung für eine heterologe Impfung mit einem mRNA Impfstoff nach der ersten Janssen Impfung könnte auch bald formal beschlossen werden, weil die dort vorgestellten und diskutierten, aber nicht zur Abstimmung stehenden Daten zur heterologen Impfung eine klare Sprache sprechen. Jedenfalls haben die USA jetzt zumindest vorübergehend ein neues zusätzliches Kommunikationsproblem: wie bringe ich dieses Ergebnis der Bevölkerung bei?

Die Anwendungsempfehlungen des nationalen Impfgremiums sind auch in der neuesten Version vom 15. Oktober  flexibler:

„Personen, die mit COVID-19-Vaccine Janssen einmalig geimpft wurden, sollen eine weitere Dosis im Mindestabstand von 28 Tagen erhalten (off-label), dabei soll vorzugsweise ein mRNA-Impfstoff verwendet werden, es kann jedoch auch erneut COVID-19-Vaccine Janssen verwendet werden. Ob und wann danach eine weitere Dosis notwendig wird, wird zu gegebener Zeit in Abhängigkeit von Daten und epidemiologischer Situation entschieden werden.“

Diese Empfehlung des nationalen Impfgremiums neu zu Impfenden aber genauso mitzuteilen, ist schwierig und widersprüchlich. Wie will man ernsthaft jemand den Impfstoff von Janssen nahelegen und gleichzeitig darauf hinweisen, dass in 4 Wochen (oder später, das ist nicht ganz klar) besser ein anderer Impfstoff zur Anwendung kommen soll? Da hielte ich es allemal für angebracht, diese Widersprüchlichkeit zu umgehen und die reguläre Impfung mit 2 Dosen eines mRNA Impfstoffes zu beginnen. Oder will man die Impfskepsis befördern? Wann wird es einen Spruch der EMA dazu geben?

Die Schweiz hat die westeuropäische rote Laterne im Impfen gerade an Österreich übergeben, ohne dabei die hohe Wirksamkeit des Moderna Impfstoffs zu berücksichtigen. In der Schweiz hat Moderna einen Anteil von 66% (Stand 5. Oktober) gegenüber den 10% von Österreich (weniger als EU Schnitt!); die Schweiz hat den Impfstoff von AstraZeneca überhaupt nicht verwendet, in Österreich liegt der Anteil bei 15%. Es gibt keine soliden Daten, dass der Impfstoff von Moderna häufiger Myokarditis verursachen würde, als der von Pfizer-BioNTech. Wiederum ist zu bedenken: Das sind sehr komplexe Daten mit viel „Bias“. Ich habe mich jedenfalls mit bestem Gefühl vor 4 Tagen auf meinen Wunsch hin mit Moderna auffrischen lassen, obwohl ich zuletzt am 10. April die 2. Dosis des Impfstoffes von Pfizer-BioNTech erhalten habe.

Ein kleiner Rückblick und eine kurze Vorschau: Gab es bei uns nicht ausreichend Stimmen, die dem Außer-Acht-Lassen von rechtlichen Bestimmungen, wegen elendig umständlicher Entscheidungsprozesse, in der Pandemiebekämpfung das Wort redeten? Im Interview mit Armin Wolf sagte Sebastian Kurz zur Kritik an der juristischen Werthaltigkeit der Notstandserlässe und -verordnungen, jetzt sei nicht die Zeit für „juristische Spitzfindigkeiten“.

Diese Grundhaltung zeigte eindrucksvoll, wie entscheidend in der Pandemiebekämpfung neben den Impfstoffen eine weitere, weniger sichtbare Zutat, nämlich Vertrauen verspielt werden kann. Am anderen Ende der Vertrauensskala steht Dänemark, wo die Impfquote eine der höchsten in Europa ist – und wo die Regierung die Pandemie für faktisch beendet erklären konnte. Immer mit dem Zusatz, dass bei vermehrtem Auftreten von Krankheitsfällen umgehend Restriktionen in Kraft treten würden. Das Land gilt, wie seine skandinavischen Nachbarn, als „Vertrauensgesellschaft“. Das Vertrauen in die dänische Regierung zahlte sich aus. Die Portugiesen wiederum haben die Nelkenrevolution von 1974 nicht vergessen und vertrauten ihren Militärs R. Z.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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