Ein großer Erfolg des Falter. Und ein Dank

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 548

Armin Thurnher
am 15.10.2021

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Gestatten Sie mir ein paar persönliche Worte.

Vor 44 Jahren gründete ich nach einer Idee von Walter Martin Kienreich mit diesem, Christian Martin Fuchs und einer Gruppe meist gleichaltriger Menschen, darunter Gipsy Loibl und Mischa Jäger, den Falter.

Von Werbung für das Blatt war keine Rede. Es gab nur ein paar Plakate, die wir affichierten und in Lokalen anbrachten. Die eigentliche Werbung bestand darin, dass sogenannte Handverkäufer, unter ihnen selbstverständlich die Schreibenden, auf festgelegten Routen durch Szenelokale (es gab nicht viele), vor Off-Theater, ein paar Kinos und die Uni gingen, Menschen das neue Blatt unter die Nase hielten und erklärten, was das sei, dass es zehn Schilling koste und sie es bitte jetzt kaufen sollten. Drei Schilling verblieben denen, die das Blatt verkauften. Da auch Wohngemeinschaften mitkolportierten, kamen wir bei der ersten Ausgabe auf etwa 1700 verkaufte Exemplare, konnten damit die erste Druckrechnung zahlen und weiter erscheinen.

Die Medienlandschaft sah folgendermaßen aus: Ein dominierender ORF, keine privaten Radio- oder TV-Sender, Tageszeitungen als Organe von Parteien (Arbeiterzeitung/SPÖ, Volksstimme/KPÖ, Volksblatt/ÖVP) oder Interessensvertretungen (Presse/Handelskammer, Kurier/Industrie). Unabhängig war die Kronen Zeitung (und so ekelhaft wie unabhängig), es gab andere Boulevardblätter, jedoch keine bedeutenden Magazine außer Wochenpresse und Profil. Profil hielt eine singuläre Stellung und erreichte zehn Prozent oder mehr der Bevölkerung, nicht zuletzt wegen der von Alfred Worm aufgedeckten Skandale. Profil-Herausgeber Peter Michael Lingens war der Moralist der Nation. Ich erlebte in einem Büro, in dem ich jobbte, wie sein Leitartikel  jeden Montag den Diskurs der Angestellten dominierte. Heute schreibt Lingens im Falter.

Den Falter kannte niemand, woher auch, und wenn man ihn gekannt hätte, dann als verschrobenes, exzentrisches, linksradikales Kulturblatt. Immerhin mit nützlichem Veranstaltungsprogramm und Stadtbezug. Das änderte sich im Lauf unserer wechselhaften Geschichte dann doch. Als wir 2008 mit dem von der berühmten Hamburger Zeit zurückgekehrten Florian Klenk, mittlerweile mein Nachfolger als Chefredakteur und Mitgesellschafter, und dem mit ihm gekommenen, von ihm mitgenommenen Zeit-Art-Director Dirk Merbach einen Relaunch des Falter machten (im wesentlichen besteht die damals etablierte Struktur noch heute), begann eine Erfolgsgeschichte, die jetzt erreichte, was mir vor 44 Jahren völlig unwahrscheinlich erschien: Der Falter hat das Profil in der Mediaanalyse sowohl österreichweit (3,4 zu 3,3 Prozent) als auch in Wien (7,3 zu 4,3 Prozent) überholt, das sind 254.000 Leserinnen und Leser in Österreich (38.000 mehr als im Vorjahreszeitraum), 118.000 in Wien. Damit ist der Falter das am stärksten verbreitete politische Wochenmedium Österreichs.

Quelle: Mediaanalyse 2020/21

Dieser Erfolg kam mit journalistischen Mitteln und geschicktem Management zustande, für das mein langjähriger Partner Siegmar Schlager sorgt. Dieses Management machte das Manko an Kapital wett, das beim Falter immer bestand und zum Beispiel verhinderte, dass er – anders als die Konkurrenz – im TV beworben werden konnte. Mangels Geld kam ihm auf dem Personalmarkt die Rolle eines Nachwuchsproduzenten zu.

Die Digitalisierung wurde geschickt genutzt, ohne dass sich der Falter ihr ausgeliefert hätte. Er verschenkte keine Inhalte, einzelne Akteure des Falter bauten aus ihrer Rolle heraus beträchtliche individuelle Reichweitenmacht auf (auf beispielsweise Twitter hat Florian Klenk 303.000 Follower) und setzten diese wieder zur Abowerbung und zur Bekanntmachung des Blattes ein.

Um die Produkte des Verlags und die Zeitschrift ergab sich ein Geflecht an neuen medialen Unternehmungen, von Raimund Löws Podcasts bis zum überaus erfolgreichen Falter.Morgen, zahlreichen anderen Newslettern, publikumswirksamen Medien- und Theaterauftritten und vielem mehr.

Ich kann hier nicht die Namen aller Verantwortlicher nennen, aber dieses mediale Geflecht um den Falter und aus dem Falter trug diesen wiederum mit nach oben.

Naturgemäß kann man nur tragen, was vorhanden ist. Die redaktionellen Aufdeckungs- und Hintergrundgeschichten, nicht nur aber naturgemäß zuerst von Klenk, aber doch auch von vielen anderen, Nina Brnada, Nina Horaczek, Eva Konzett, Barbara Tóth, Josef Redl, um nur einige zu nennen, das Stadtleben mit Brigit Wittstock und Lukas Matzinger, das neue Ressort Natur mit Benedikt Narodoslawsky, die Falter-Woche, gerade in der Pandemie von Lisa Kiss und ihren Team zu neuem Glanz gebracht, aber auch das Feuilleton mit Stefanie Panzenböck, Matthias Dusini, Gerhard Stöger und der anthropologischen Konstante Klaus Nüchtern, das als Keimzelle des Falter intellektuellen Ansprüchen genügen muss und diese auch erfüllt – all das hat nun endlich eine Anerkennung erhalten, die sich in den Zahlen der Media Analyse ausdrückt (ich entschuldige mich bei allen, die ungenannt bleiben).

Gewiss ist diese Anerkennung auch ein Votum gegen die patzige Inhumanität der regierenden türkisen Clique, vor allem aber ist es ein Votum für unabhängigen Journalismus. Dieses Blatt bekämpfte vom ersten Tag an, was jetzt als Medienkorruption gebrandmarkt wird, durch Medienkritik (die manche anfangs nicht verstehen wollten), durch Aufsässigkeit gegen Medienmacht (weswegen uns die Krone juristisch umbringen wollte) und durch den Versuch, es anders zu machen. Das war die Gründungsidee in einer vermurksten Presse- und Politiklandschaft, und dabei ist es geblieben: der Falter liegt auf der anderen Waagschale, wie ich das vor 44 Jahren etwas pathetisch formulierte.

Andere Waagschale heißt: Der Falter steht für redaktionellen Journalismus. Ihn kann man nicht kaufen. Er ist eine Autorenzeitung voller glänzender Autorinnen, das heißt, er publiziert nicht aus der Phrasenkonserve (zumindest versucht er, dagegen zu kämpfen; das ist, ich erlebe es täglich am eigenen Schreiben, ein nicht endender Kampf). Und er ist der Idee einer Gerechtigkeit verpflichtet, die sich nicht an einer Ideologie misst, sondern nach wie vor an der Idee des öffentlichen Gebrauchs der Vernunft.

Diese Waagschale nicht kippen zu lassen, bedurfte zu Zeiten großer Opfer, musste durch Kämpfe, Krämpfe und Intrigen hindurch, war oft knapp am Scheitern, verlangte Verzicht von vielen auf vieles, brauchte Unterstützung von Menschen, die zum Teil gratis arbeiteten (in den ersten zwei Jahren taten das alle Beteiligten) und von solchen, die im Hintergrund bleiben und einfach dieses seltsame Ding namens Falter ermöglichen wollten.

Auf Gewinnausschüttung wurde 44 Jahre lang verzichtet, mit Verlust war zu rechnen, auch das erforderte eine gewisse unübliche Grundeinstellung von den wechselnden Eigentümern. Aber es gelang. Als einer, der dabei war, nun nicht mehr im Tagesgeschäft, längst nicht mehr für all das verantwortlich, was zum Erfolg führte, sage ich heute, an diesem unverhofften schönen Tag, allen, die es bewegt und bewirkt, die dazu beigetragen haben und beitragen, einfach danke.

Die Medienzukunft dieses Landes, schließe ich daraus, liegt nicht im Sumpf. Das Sumpfige beginnt übrigens meist weniger bei den Redaktionen als bei den Eigentümern, aber auch beim Publikum, das wiederum durch seine Medien eingesumpft ist. Vielleicht finden wir ja doch einen Weg in trockeneres Gelände, und der nicht mehr so kleine Falter hält dabei ein Licht hoch. Keine Fackel. Aber eine starke Lampe.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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