Kanzler Schallenberg spricht. Der neue Herr ist nur ein Knecht.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 547

Armin Thurnher
am 14.10.2021

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Die Operette macht Pause. Der Trubel ruht. Auftritt der ernste Sprecher. Der Name des Nörglers ist historisch vergeben, man könnte ihn zwar aktivieren, „ernster Sprecher“ gefällt mir aber auch ganz gut. Beim Betrachten des atemlosen Wirbels um den neuen Bundeskanzler, dessen Interviews und die Art, wie sie bewertet werden, kann man nur noch ernster werden: es handelt sich um einen ersten Etappenerfolg der Kurzpropaganda.

Screenshot: BildTV

Damit ist nicht nur gemeint, dass die Bild-Zeitung das ius primae interrogationis eingeräumt bekam, und dass selbstverständlich auch Fellner-TV den Reigen der Fragestellenden bereicherte. Aus Operettenperspektive gefiel mir das Setting des ORF-Interviews mit Armin Wolf. Etwas fehlte, nämlich der gemeinsame Tisch. Schallenberg, bekennender Schüssel-Fan, hielt sich an dessen Sitzordnung der offenen Sessel, die gegenseitige Aufgeschlossenheit und Lockerheit signalisieren soll, in Wahrheit aber jeden, der so sitzen und seine Fragarbeit machen soll, verkrampfen und aus dem Konzept bringen, man weiß nicht wohin mit den Zetteln, den Beinen, mit sich. Mir ist es jedenfalls immer so gegangen. Für das Libretto notieren: Sesselballett der Interviewer.

Ernst gesprochen: Schallenberg ist ein politisches Bantamgewicht. Schall- und Rauchenberg, das trifft es schon. Man räumt ihm keine Schonfrist ein, wieso auch, wenn er sich ganz klar als Gefolgsmann zu erkennen gibt? Das Wort Kurz-Epigone kann man nur mit müdem Lächeln abtun. Ein Epigone wäre ein Nachfolger. Schallenberg aber ist ein Vasall, ein Ausführender des großen Vorsitzenden Kurz, mit dem er sich „selbstverständlich eng abstimmen“ wird. Warum hätte sich die ÖVP sonst für Kontinuität des Skandals entschieden?

Eng abstimmen, das ist wieder so ein Wort aus dem Vokabular der Kurz-Schwurbler. Abstimmen genügt. Wenn etwas stimmt, dann stimmt es, nicht ungefähr oder weit oder eng. Es stimmt, oder eben nicht. Die Enge braucht hier nicht extra betont zu werden, sie würgt uns schon die ganze Zeit in der Kehle. Es sei denn, man will uns etwas anderes sagen.

In den vergangenen Tagen kam immer wieder die Frage auf, was denn das Aristokratische an Schallenberg wäre. Denker wie Walter Benjamin konstatierten Parallelen zwischen aristokratischen und proletarischen Eigenschaften, im Vergleich zum verachteten Bourgeois, der nur an Profit interessiert ist. Auch Karl Kraus und andere sahen im Adel Möglichkeiten einer besseren Existenz. Abgesehen von der politischen Realität, die uns der Feudalismus bescherte, könnte man darüber diskutieren.

Eine gewisse historische Bildung und intellektuelle Souveränität könnte man jedenfalls erwarten, denkt man an Leute wie Karl Schwarzenberg. Unterwerfung unter den Riesenkleinbürger Kurz gehört nicht dazu. Sie ist aber das Mantra des Kanzlers Schallenberg. Eng mit diesem abgestimmt, soll heißen: eng an ihn gefesselt.

Misstrauen gegenüber eng gefesselten Stellvertreter-Kanzlern ist historisch angebracht. Eigenständigkeit ist bei Schallenberg nicht nur nicht wahrzunehmen, er schließt sie selbst aus.

Wir müssen Schallenberg dankbar sein. Er könnte ja Abgrenzung von Kurz vorschieben, so tun, als hätte er ein Interesse, den wieder einmal beschmutzten Ruf Österreichs sauberzuwischen, Neubeginn zu simulieren oder Ähnliches. Das tut er nicht, in Nibelungentreue bindet er sich eng an seinen Chef. Wir sind also mit der Tatsache konfrontiert, dass der österreichische Bundeskanzler sich öffentlich als ausführendes, dienendes Organ eines anderen zu erkennen gibt.

Schallenberg ist in diesem Selbstfesselungs-Bestemm weniger Bundeskanzler als Bockigkanzler. Wenigstens in diesem einen Punkt erweist er sich als nicht geschmeidig. Hartnäckigkeit in moralischer Verkommenheit ist zwar verachtenswert, aber sie soll nicht so tun, als wäre sie Geradlinigkeit.

Eines noch: Schallenberg zeigt uns deutlich eine Schwierigkeit, mit der Unheilsära Kurz abzurechnen. Er kapriziert sich auf die juristischen Vorwürfe, und er beharrt auf der Unschuldsvermutung für diesen. Kurz wird ein strafrechtliches Vergehen nicht nachzuweisen sein, hofft Schallenberg.

Das ist sein gutes Recht. Daraus aber abzuleiten, dass Kurz „nichts getan“ habe, darin besteht die Gefahr. Das ist eindeutig Frischfleisch-Verteidigungslinie, die Message, die alles zudecken soll: Kurz hat nichts getan, für ihn gilt die Unschuldsvermutung. Er hat nur bisserl blöd geredet, dafür hat er sich eh schon entschuldigt.

Damit meint Schallenberg, im sonoren Ton den polit-moralische Morast trockenreden zu können, in dem Kurz steckt, und seine Vasallen mit ihm. Gilt denn das Zeugnis des von Kurz mit unlauteren Mitteln gestürzten Kanzlers Christian Kern nichts? Gilt es nichts, dass Kurz kalt lächelnd Schaden für die Bevölkerung in Kauf nahm, nur um an die Macht zu kommen? Dass er Wahlen mit unfairen Mittel gewann, indem er absichtlich die Wahlkampfkostengrenze überschritt? Dass er die Öffentlichkeit systematisch belog und belügt und dabei mit den dubiosesten Figuren kooperiert?

All das zeigen die Dokumente der Justiz, und selbst wenn das darin Aufgezeigte keinen strafrechtlichen Tatbestand erfüllen sollte, so disqualifiziert es Kurz in jedem Fall politisch und moralisch komplett.

Ein Bundeskanzler, der versucht, das wegzulächeln, ist nicht einmal eine Enttäuschung.

Und ob dieses Desaster mit einer halbherzigen ökologischen Steuerreform zu rechtfertigen ist, wie sich die Grünen einreden, darf bezweifelt werden.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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