Alexander, oder die Papierschlacht. Die Operette geht weiter

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 546

Armin Thurnher
am 13.10.2021

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Da ich nun einmal angefangen habe, an dieser Operette namens Österreich öffentlich zu arbeiten, setze ich halt die Arbeit fort, in Gottes Namen und so wahr mir Gott helfe. Er hilft mir mit einer Fülle von Szenen, wie sie sich mein bescheidenes, auf Buchstaben, Sätze und Wörter beschränktes Hirn nicht ausdenken könnte.

Ein kleines Bekenntnis zuvor. Ganz unqualifiziert bin ich für das Genre der Operette nicht, denn einst, als junger Mensch, wäre ich fast zum Theaterautor geworden. Ich geriet damals auf eine Weise zum Theater, die mich so weit führte, dass ich vor Rainer Werner Fassbinder und seinem Ensemble auftrat, was ich hier schon einmal erzählt habe.

Was dort nicht steht: Das Bühnenstück, das ich 1970 gemeinsam mit Heinz Rudolf Unger schrieb, war eine Revue namens Stoned Vienna. Dieser Titel bezog sich weniger auf den damals (1970) üblichen Aggregatzustand des Bewusstseins, als auf die Steinhofgründe und die dortige Psychiatrie, die gerade stark in der Kritik stand. Der Plot ist schnell erzählt und scheint mir in jeder Hinsicht zeitgemäß, abgesehen von der Selbstverständlichkeit, mit der damals in progressiver Absicht das N-Wort verwendet werden konnte.

Ein vermögender Schwarzer will weiß werden und endlich aller Diskriminierung entfliehen. Zu diesem Zweck begibt er sich nach Wien, um die Therapie der berühmten Wiener Schule in Anspruch zu nehmen, die da eine Behandlung entwickelt hat. Sie besteht in Szenen aus dem Wiener Leben, die man ihm vorstellt, während er, mit Elektroden beklebt an einen Sessel gefesselt ist. Sie Szenen sind fürchterlich und schrecklich komisch.

Hauptsächlich stammt der lustige Horror aus dem politischen Leben, aber nicht nur. Auch das goldene Wiener Herz trägt das Seinige dazu bei. In Etappen wird der Schwarze tatsächlich weißer und weißer, und am Ende, als er endlich wie gewünscht rosarot ist, erstarrt er durch und durch zu Stein. Zum Schluss enthüllen ihn die Therapeuten, Hofräte der Psychiatrie, als sein eigenes Denkmal.

Abwandlungen dieses Plots könnte ich mir vorstellen, und während ich so vor mich hinsinne, springt unversehens Alexander Schall- und Rauchenberg auf die Szene, in ein rosa Tutu gekleidet, und beginnt zu singen.

Der Bundeskanzler bin ich ja,

Stets lustig, heissa, hopsassa!

Ich Bundeskanzler bin bekannt

Bei Alt und jung im ganzen Land.

Weiß mit Inseraten umzugehn,

Auf Message Control mich zu verstehn.

Drum kann ich froh und lustig sein,

Denn alle Handys sind jetzt mein.

Der Bundeskanzler bin ich ja,

Stets lustig, heissa, hopsassa!

Ich Bundeskanzler bin bekannt

Bei Alt und Jung im ganzen Land.

Ein Netz für Wähler möchte ich,

Ich fing sie dutzendweis für mich!

Dann sperrte ich sie bei mir ein,

auch Wählerinnen wären mein.

Wenn alle diese wären mein,

Tauscht ich mich doch für Basti ein:

Der, welcher mir am liebsten wär,

Für den gab ich mich selber her.

Und herzte er mich zärtlich dann,

ist er mein Mann und ich sein Mann.

Ich schlief an seiner Seite ein,

Du Österreich, magst ruhig sein.

Parodien bekannter Opernarien sind ein billiges Stilmittel, aber man kann sich vorstellen, was ein einfallsreicher Regisseur hier mit Mobiltelefonen anstelle von Papagenos Vogelkäfig anstellen kann. Nein, nicht nur Parodien, obwohl es naheliegt, Sankt Sebastian als Seeräuber-Jenny auftreten zu lassen, wenigstens kurz. Auftritt Johanna Mikl-Leitner, eine ebenfalls tragende Rolle, und spricht:

MIKL-LEITNER: Ich bedanke mich bei Sebastian Kurz für seine Arbeit in den letzten Jahren, bei der er stets Leadership gezeigt hat.

KURZ: Ein Leadership wird kommen,

Mit acht Segeln und fünfzig Kanonen

Und ich sag hoppla

Wenn die Köpfe rollen

Der Staatanwälte

Des Kogler

Des Platter

Des Klenk

Ja Johanna, auch dein Kopf

Wird rollen

Und das Leadership

Mit acht Segeln und fünfzig Kanonen

Wird entschwinden

Nach Silicon Valley

Mit Alexander und mir

Aber wir brauchen auch Slapstick, Action, nicht nur Dialog und Gesang.

Auftritt Beate Meinl-Reisinger und wirft einen Akt der Staatsanwaltschaft auf das Pult von Bundeskanzler Schallenberg. Der blickt nicht von seinem Handy auf und wirft das Papier auf den Boden. Meinl-Reisinger hebt es auf und legt es Blatt für Blatt wieder vor ihn hin, alle 104 Seiten. Er wirft es Blatt für Blatt auf den Boden. Sie hebt es Blatt für Blatt auf zerknüllt es und bewirft ihn mit den Papierknödeln. Er wirft zurück. Dann geht sie dazu über, Papierflieger zu falten, die sie auf Schallenberg zusegeln lässt. Dieser antwortet mit gleicher Münze, Blümel hat derweil Konfetti gemacht, große Shredder werden eilig hereingerollt, tonnenschwere Aktenberge auf Paletten angeliefert, und schon beteiligen sich die umsitzenden Ministerinnen und Minister an der Papierschlacht, bald auch alle Abgeordneten, die Luft im Parlament ist weiß vor Akten, Knödeln Fliegern, Konfetti und Geschreddertem.

Die ekstatisch gesteigerte Musik bricht ab, Schallenberg lässt die Arme sinken, ebenso Meinl-Reisinger. Sie sehen einander atemlos an.

SCHALLENBERG: Das Weglegen der durch Sie überreichten Unterlage

MEINL-REISINGER: Ich habe nichts überreicht. Ich hab’s Ihnen hingeworfen.

SCHALLENBERG: Was mir gegeben wird, betrachte ich als überreicht.

MEINL-REISINGER: Sie Überreichgraf, Sie!

SCHALLENBERG: Respekt, bittesehr, meine Guteste! Respekt ist die Grundlage der Demokratie.

MEINL-REISINGER: Respektieren Sie lieber die Justiz!

SCHALLENBERG: Meine Liebe, Beste, Guteste, ich respektier zuerst Sie, was immer für Geschenke sie auch bringen, und dann die Justiz. Aber nur die unabhängige, nicht diese wildgewordenen linkszelligen Staatsanwälte, die falsche Vorwürfe in den Raum stellen, die unser Bundesparteiobmann entkräften wird.

MEINL-REISINGER: Haben Sie vorher „weglegen“ gesagt? Ich habe weder was „überreicht“, noch haben Sie es weggelegt. Sie haben geschmissen, geworfen, gepfeffert.

SCHALLENBERG: Hab ich nicht. Selbst wenn der Inhalt der Überreichen überreich gesalzen wäre, würde ich niemals pfeffern. Ich bin kein Pfefferer. Ich bin ein Wegleger von mir Überreichten. Sollte diese meine formvollendete Weglegung jedoch als Respektlosigkeit gegenüber der unabhängigen Justiz beziehungsweise Ihrer bezaubernden Person gegenüber gesehen werden, möchte ich Ihnen versichern, beides ist keineswegs meine Intention gewesen und es tut mir leid, wenn dieser Eindruck entstanden ist.

MEINL-REISINGER: Ist ja gut, es geht ja nicht um mich.

SCHALLENBERG: Ja, ja, es geht auch nicht um mich.

(folgt das Duett von der Selbstlosigkeit)

Sie merken, wenn Sie mir bis hierhin gefolgt sind, an Material fehlt es nicht. Dabei hat Sigrid Maurer noch gar nicht geniest, „zum Wohle des Landes“, Armin Wolf lauert um die Ecke, WoFe steckt schon sein Charakterköpfchen aus dem Bildschirm, ein Tiroler Seilbahnnationalrat bellt „Chats! Chats! Wiaso san denn die überhaupt öffntlich, ha?“ und irgendwo fragt Günter Platter Sebastian Kurz munter: „How do you do?“ Die Ereignisse überstürzen sich, die Liste des Personals ist zu lang, ich werde kürzen müssen. Aber ich habe ja Platz genug. Bleiben Sie mir gewogen, Fortsetzung folgt.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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