Das ist das Überzeug: Wir haben wieder Staatsoperette

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 545

Armin Thurnher
am 12.10.2021

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Die österreichische Innenpolitik entwickelt sich konsequent in Richtung Operette. Dieses temporeiche, turbulente Genre ist am besten, wenn es die Höhen des Nonsense erklimmt und nicht die Tiefen der Sentimentalität auslotet. Die Szenefolgen der vergangenen Tage waren bunt und farbenreich, es fehlt nicht an Unsinn. Es fehlte nur die Musik. Die Darsteller sangen nicht, sie sprachen.

Gestatten Sie, dass ich mich heute mit der großen Arie des Protagonisten beschäftige, der sogenannten Lügenkrötenkaskade, die in der Rezeption etwas unterging und deshalb noch einmal dem Vergessen entrissen werden soll.

Die Storyboards der Message-Boys müssen ein wenig durcheinandergekommen sein. Denn, vorausgesetzt, der XXKanzler wusste seit Jahren alles über die Chats, vor allem, dass die Justiz sie hatte, wie er dem Richter bei seiner sechsstündigen Vernehmung erklärte, und wäre also nicht so dumm, irgend etwas zu tun, was den dort enthaltenen Inhalten widerspräche oder zuwiderlaufe, ja dann Herrgottsakra, müsste er gewusst haben, was auf ihn zukommt und dass er da nicht mehr herauskommt.

Der eigenen Partei zu schaden, um die eigene Karriere zu befördern und dann auf offener Szene zu singen:

KURZ: Aber es geht nicht um mich,

es geht um Österreich,

es geht um Sie alle.

CHOR Es geht nicht um ihn,

es geht um Österreich,

es geht um uns alle.

Das nennt man Chuzpe. Dachte der XXKanzler, er entkommt mit der süßen Kraft seiner Beredsamkeit noch einmal der Amtsenthebung durch Enthebamme Van der Bellen (Enthebamme, mein Kandidat für das Wort des Jahres, übrigens)? Er entkam ihr nicht und fiel mit seiner zweiten Rede um in ein anderes Amt. Bei einem Klubobmann der ÖVP ist es offenbar egal, welche Charaktereigenschaften er gerade geoffenbart hat und ob er amtsfähig und handlungsfähig ist oder nicht. Nordkoreanische 100 Prozent belohnten den XXKanzler.

CHOR DER GRÜNEN:

Jetzt ist alles prima,

jetzt ist alles gut.

VAN DER BELLEN (von der Seitenbühne, sehr gelassen)

Jetzt ist alles heiter,

friedliches Österreich

beim Reichsgraf ruh weiter

sonores Geraune

bett dich wie Daune

KURZ: Ich bin kein Meuchelmörder

bin ein guter Charakter

Ihr macht mir Vorwürfe

Ich werde sie entkräften

CHOR DER ALTEN DEPPEN: Nach Kräften entkräften

KURZ: SMS-Nachrichten schrieb ich

in der Hitze des Gefechts

CHOR: Oasch, Oasch, Oasch-Gefecht

KURZ: Manche davon würde ich definitiv

nicht noch einmal formulieren

CHOR: definitiv tief, definitiv tief

KURZ: Aber ich bin eben auch

nur ein Mensch

mit Emotionen und auch

mit Fehlern.

CHOR: Mitterlehner, du Oasch!

Kern, wir hassen dich!

Kogler, du bist tot!

Nachmittagsmütter, braust euch!

KURZ: Aber ich bin eben auch

nur ein Mensch

mit Emotionen und auch

mit Fehlern.

Und ich bin dankbar!

CHOR: Extrem dankbar.

Dankbar extrem.

Eine Gänsehautszene. Sie lebt vom Schmelz der Streicher, die einen dunklen Samtteppich unter den hellen Sopran des Protagonisten legen.

Eine Operette braucht auch finstere Figuren, Missetäter, gemischte Charaktere. Gerald Fleischmann, der Medienbeauftrage des XXKanzlers ist so einer. Und dann braucht es den gemütlichen Gutmenschen, sei es ein Pfarrer, Dorfbarbier oder Richter, und das ist Hermann Schützenhöfer. Er tritt auf und singt salbungsvoll die Arie:

SCHÜTZENHÖFER: Fleischmann,

diesen kenn ich nicht.

Der Fleischmann wiederum weilt schon lang auf Urlaub, ebenso wie Frischmann, der Plisch zum Plum. Nur Bonelli, der ewige Bonelli bleibt. Konstante Bonelli. Kabinett Kurz I, Kabinett Löger, Kabinett Experten, Kabinett Kurz II – Bonelli immer dabei.

Das ist farbig, das hat Schwung. Der Neue im Kanzleramt versucht sein Bestes, nibelungentreu nestelt er am Mikrophon und kettet sich an den XXKanzler. Er spürt, bald wird er selbst zum Ziel von Intrigen, und so sagt er, der Neokanzler, der XXKanzler sei unschuldig, obwohl er selbst ja nur im Amt ist, weil dessen Unschuld umstritten ist.

Die Beelzebuben von der WKStA, jetzt sieht man, warum er sie so lang und so vorausschauend bekämpft hat, der XXKanzler, denen Höllteufeln ist er für das Kanzleramt nicht mehr untadelig genug. Für den ÖVP-Obmann und den Klubobmann reicht es noch lange.

Ohne Nonsense keine Operette.

Schon erhebt sich empört der Chor der Parlamentarierinnen, die sich nun ihrerseits in ihrem Ruf geschädigt sehen, und dynamisch erscheint der Präsident Sobotka, mit nacktem Oberkörper und in ein Leopardenfell gekleidet, frisch von der Mozartprobe mit einem Ensemble, das meist ohne Dirigenten spielt, aber er wird es im Konzert nicht so offensiv stören können wie den Ibiza-Ausschuss. Den Kurz-Ausschuss zu leiten wird er sich nicht nehmen lassen. Die Partitur hat er schon.

Der Chor der Journalistinnen und Journalisten steht und wiegt die Köpfe. Woher wird der Wind wehen? Mit betroffenen Gesichtern lauscht dieser Chor verdutzt, wie das Ausland Klartext redet, und spekuliert darüber, wie es weitergeht. Es geht ja immer weiter.

Als Librettist frage ich mich ebenfalls, wo wir in der Handlung stehen. Die große Arie steht ziemlich am Anfang der Operette, und sie wird immer wieder eingeblendet, während die Handlung in Rückblenden abläuft.

Das Licht formt einen türkisen Dom, reflektiert in tausenden türkisen Augen heißer Follower, die in der Stadthalle oder sonstwo den Atem anhalten, während der XXKanzler anhebt, zu singen:

KURZ: Sie haben alle mitverfolgt,

CHOR: Mitverfolgt, mitverfolgt…

KURZ: dass in den letzten Tagen

strafrechtliche Vorwürfe

gegen mich erhoben worden sind.

CHOR: Erhoben worden sind…

KURZ: Diese Vorwürfe stammen

aus dem Jahr 2016,

aus den letzten Tagen,

sie sind falsch

sie waren falsch

sie bleiben falsch

CHOR: Falsch falsch falsch

KURZ: Und ich werde das auch

aufklären können,

davon bin ich

zutiefst überzeugt.

CHOR: Überzeug Überzeug

Er hat das Überzeug

das uns überzeugt.

Ich brauche bloß noch ein großes Theater, das mir einen Vertrag gibt.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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