Warum immer ich? König Kurz im Lendenschurz der Unschuldsvermutung

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 541

Armin Thurnher
am 07.10.2021

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Man steht mittlerweile beinahe gefasst vor einem Königsdrama, dessen König sich in der Stunde der Gefahr als weinerlicher Drittklässler entpuppt. „Warum soll an jedem Unrecht immer ich schuld sein“, ruft er auf offener Fernsehbühne. Aber auch das ist shakespearisch: der im Zentrum will es nie gewesen sein.

Der im Zentrum? „Sebastian Kurz ist die zentrale Person. Sämtliche Tathandlungen wurden primär in seinem Interesse begangen … Aus der Vielzahl an Chats ist ersichtlich, dass er in allen wichtigen Belangen die Grundsatzentscheidungen trifft und diese Entscheidungen von seinem engsten Beraterkreis umgesetzt werden.“ Worte der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, Begründung der Hausdurchsuchungen im Kanzleramt, bei der ÖVP und anderen, sämtliche richterlich genehmigt.

Noch ist Kurz nicht der einsame König, der verzweifelt klagt, weil ihn alle verlassen haben. Noch ist er im Vollbesitz seiner Macht und seiner medialen Kräfte. Noch steht die Partei hinter ihm, den Blick fest auf die Umfragedaten gerichtet.

Sein Feind, das ist nicht mehr zu leugnen, ist die Justiz. Wie immer in Königsdramen, sieht dieser Feind unattraktiv aus, mieselsüchtig, vielleicht vom Neid getrieben, gewiss parteiisch.

Dass ein Staatschef die Justiz, die Säule des Rechtsstaats nicht anzugreifen hat, wenn er nicht an sich, sondern an diesem Staat interessiert ist, weiß jeder. Dieser Staatschef aber ist aber derart ausschließlich an sich interessiert, dass er in der Stunde der Gefahr als weinerliche Rettungsparole ausgibt: Warum immer ich? Ich habe doch nichts getan! Ich bin es doch nicht gewesen! Ich habe doch nie etwas gesagt, beauftragt, getan! Und das, bitte, „würde ich gerne einmal in aller Offenheit und Ehrlichkeit diskutieren.“

Ein historisches Gespräch: Moderator Martin Thür hält Sebastian Kurz seine eigenen Worte vor ZiB 2 vom 6.10.2021 Screenshot @ ORF

Der Moderator, dem Kurz dies entgegenrief, Martin Thür von der ZiB 2, behielt bewundernswerterweise die Contenance und blieb so kaltblütig, wie es in dieser Szene möglich war. Höhepunkt: als Thür Kurz dessen Begründung vorspielte, mit der dieser nach Ibiza den Bruch der Koalition mit der FPÖ begründet hatte: „Was aber wirklich schwerwiegend und problematisch ist, das sind die Ideen des Machtmissbrauchs, die Ideen zum Umgang mit österreichischen Steuergeldern, natürlich auch das Verständnis gegenüber der Medienlandschaft in unserem Land. Die FPÖ schadet mit diesem Verhalten dem Reformprojekt und dem Weg der Veränderung.“

Auf diese seine eigenen Worte von 2019 konnte Kurz nur kleinlaut antworten: „Wenn Sie das so sehen.“

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft geht davon aus, dass Umfragen gefälscht, mit abgezweigten Steuergeldern bezahlt und in der Tageszeitung Österreich platziert wurden. Warum soll Kurz das getan oder veranlasst haben?

Nun, möglicherweise war er daran interessiert, seine Person als die eines Messias dastehen zu lassen, der den Königsmord am damaligen Parteichef Mitterlehner beschleunigen wollte, damit er an dessen Stelle erscheinen konnte. Möglicherweise haben Veröffentlichungen in einem reichweitenstarken Boulevardmedium auch auf die Medienberichterstattung insgesamt eine Wirkung, vor allem aber auf jenes Milieu, auf das es Kurz in der Situation der Machtergreifung ankam: auf die Funktionäre der ÖVP, die ihn auf den Schild heben mussten.

Dass alles im Interesse des Sebastian Kurz geschah, liegt also auf der Hand. Dass er alles beauftragte, dass nichts ohne seinen Willen geschah, dass er das Zentrum war, behauptet die Staatsanwaltschaft. Und natürlich musste Kurz dafür Inserate nicht selbst vergeben, musste er selbst keine Aufträge unterschreiben.

Das alles ist Teil der im Falter detailreich und in der Tiefe dargestellten juristischen Seite des Falles. Warum immer ich, fragt Kurz. Darum: weil er damit König wurde. Das geschah nicht, weil ihm sein Vorgänger den Platz freimachte, überzeugt davon, dass nun der bessere Mann ans Ruder kam. Es war eine instrumentierte, nach Drehbuch ablaufende Machtübernahme, an der viele mitwirkten. Im Kabinett machte der jetzige Nationalratspräsident den Kanzler Kern und den Vizekanzler Mitterlehner durch Destruktivität mürbe. Was sich außerhalb abspielte, hat jetzt die Justiz anhand Schmidscher Telefonprotokolle aufgedeckt. Alles lief für Kurz, aber „keine dieser SMS zeigt irgendwie, dass ich einen Auftrag oder…“ Die meisten Königsmörder führen den Dolch nicht selbst. Ihre Hände sind schneeweiß, getan haben es immer die anderen.

Die juristischen Tatbestände, derer Kurz nun beschuldigt wird, sind ernst. Er soll andere zu Untreue und Bestechlichkeit angestiftet haben. Man wird sehen, ob die Staatsanwaltschaft ihre Vorwürfe vor Gericht erhärten kann.

Die politische Seite der Sache kann man kurz fassen. Politik ist keine Konkurrenz um den edelsten Charakter. Königsmörder werden König. Ibiza war, verglichen mit dieser Affäre, ein Lercherl, sagte zutreffenderweise Peter Filzmaier. In einem Gemeinwesen, das politisch auf sich hält, wäre ein Rücktritt dieses Kanzlers unumgänglich. Er schadet, um es mit seinen Worten zu sagen, mit seinem Verhalten nicht „dem Reformprojekt und dem Weg der Veränderung“, sondern dem Land.

Aber wir sind, man muss es in dieser Stunde klar sehen, kein Land, das auf sich hält. Wir sind nicht so. Das muss man aussprechen wie: Mir san ja net aso. Soll heißen: Mit uns kann man es ja machen. Mit uns kann einer wie Kurz es machen.

Keiner der politischen Freunde des Sebastian Kurz in den benachbarten Ländern Ungarn, Tschechien, Slowenien ist juristisch unangepatzt, um ein Wort aus dem Kurz’schen Vokabular zu benützen, das wir schon länger nicht gehört haben. Übergriffe auf die Justiz, Verurteilungen, Verwicklung in politische Affären haben die Herren Janša, Babiš und Orbán nicht von der Macht und vom Weg in die illiberale, korrupte Demokratie ferngehalten. Die politische Frage lautet also: Sind wir auch in Österreich so weit? Machen die Grünen dabei mit, natürlich nur im Interesse des Klimas? Sind wir so, oder sind wir nicht so?

Kurz ist nun zwar supernackt, wie ein anderes berühmtes politisches Kernwort dieses Landes lautet. Aber die meisten sehen ihn noch im Slimfit-Outfit. Er hat vor, alles auszusitzen. Im Interesse des Landes möge es ihm nicht gelingen.

P.S. Die mediale Seite des Sumpfs, der all das möglich macht, wird hier demnächst gesondert behandelt.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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