Der Beschuldigte Sebastian Kurz wird einvernommen. Teil 1

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 534

Armin Thurnher
am 30.09.2021

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[Gespräche mit Sebastian Kurz gibt es für mich nicht. Für mich nicht und für kein anderes Mitglied der Falter-Redaktion. So ist Demokratie, der Bundeskanzler ist nicht verpflichtet, mit uns zu reden. Er ist zwar der erste österreichische Bundeskanzler, der uns das Gespräch ausschlägt, aber das ist seine Sache. Nun musste er aber reden, und zwar mit einem Richter. Der Falter konnte sich das Protokoll besorgen. Die Seuchenkolumne wird in loser Folge Passagen daraus zitieren, immer wörtlich, teils dramatisiert, teils im Originaltext. Wir beginnen mit einer kurzen Passage aus der einleitenden, etwa 20 Minuten dauernden Rede des Bundeskanzlers, mit der er das sechsstündige Zwiegespräch mit dem Richter eröffnete und die ich hier in einen Dialog übersetzt habe, um die Lektüre etwas weniger eintönig zu machen. Weder der Wortlaut noch die Reihenfolge des von Kurz Gesagten wurden verändert. Nur meine Fragen sind fiktiv.]

Ich: Herr Bundeskanzler Kurz, was möchten Sie dringend sagen?

Kurz: Ich weiß nicht, ob es Sie interessiert …

Ich: Seien Sie versichert, mich interessiert fast alles!

Kurz: In Richtung WKStA gesprochen, weil das ist eine Sache, die mich nicht wirklich los lässt.

Ich: Ich bin schon mitgefesselt.

Kurz: Ich weiß nicht, ob Sie es wissen, aber zu der Zeit, als ich im U-Ausschuss war, da wusste ich, dass Sie alle SMS haben.

Ich: Was Sie nicht sagen! Was heißt das?

Kurz: Das heißt, ich wusste, dass Sie das Handy vom Hartwig Löger haben.

Ich: Wie stehen Sie zu Löger?

Kurz: Ich bin gut befreundet mit Hartwig Löger, ich wusste von ihm, dass er nie SMS gelöscht hat.

Ich: Unglaublich. Er hat nie… Was bedeutet das?

Kurz: Das heißt, ich wusste zum Zeitpunkt der UAusschuss-Einvernahme, dass alle SMS von Hartwig Löger aus der ganzen Regierungszeit mit mir, mit Schmid, mit Bonelli, alle bei Ihnen liegen.

Ich: Sie meinen nicht bei mir, dem Falter oder Armin Thurnher. Sie meinen die WKStA.

Kurz: Ich wusste, dass Sie das Handy von Thomas Schmid haben mit zehntausenden SMS.

Ich: Nur zehntausende?

Kurz: Es gab Gerüchte, dass es hunderttausend SMS waren, das habe ich nicht ganz glauben können, aber ich wusste, dass es zumindest Zehntausende sind.

Ich: Was wussten Sie noch von Thomas Schmid?

Kurz: Ich wusste von Thomas Schmid –

Ich: Warum wussten Sie?

Kurz: weil ich den auch gut kenne – dass Sie jede noch so private Nachricht, jede Nachricht mit Mitarbeitern, Kollegen, mit mir, mit Bernhard Löger, mit Hartwig Löger – mit wem auch immer – hatten.

Ich: Das ist ja fantastisch! Das hätte ich nie gedacht, dass Sie so etwas wissen!

Kurz: Ich weiß nicht, wie Sie mich einschätzen, aber ich bin kein Vollidiot.

Ich: Wie kommen Sie darauf, dass ich Sie für einen Vollidioten halte? Gut, Sie brauchen nicht zu antworten.

Kurz: Wenn ich weiß, dass Sie all diese SMS haben, dann wäre es ja nahezu absurd, absichtlich etwas davon Abweichendes zu sagen.

Ich: Leuchtet mir völlig ein.

Kurz: Wohl wissend, dass das innerhalb von kürzester Zeit auffallen muss, noch dazu in einer so beobachteten Position wie der des Bundeskanzlers, wo es nicht nur Sie gibt, sondern unzählige andere Oppositionspolitiker, U-Ausschussmitglieder, die in der Sekunde, wo es irgendwo nur den geringsten Widerspruch gäbe, das zur Anzeige bringen.

Ich: Sie fühlen sich also gejagt, überwacht, in einem fort angezeigt? Wie viele Anzeigen gegen Sie gibt es eigentlich?

Kurz: Mir ist es nur wichtig, dies auch einmal auszusprechen: Ich wusste zum Zeitpunkt meiner Aussage, dass Sie zehntausende SMS über die gesamte Regierungszeit haben.

Ich: Gut, das habe ich verstanden. Aber was folgt daraus?

Kurz: Also ich wäre ein Trottel, wenn ich absichtlich etwas Abweichendes zu den SMS sagen würde.

[Hier hielt ich kurz inne, sagte aber nichts. Dachte mir jedoch: Was, wenn in den SMS eine Unwahrheit stünde? Könnte ja sein, oder? Dann hätte der Bundeskanzler zugegeben, dass er auch von der Unwahrheit nicht abwiche. Aber das ist nur eine klitzekleine Hypothese, denn er sprach sogleich weiter.]

Kurz: Ein Punkt, den ich auch noch ausführen möchte.

Ich: Warum?

Kurz: Weil Sie mich ja dazu auch werden befragen wollen.

Ich: Wenn Sie wüssten, was ich alles will. Aber gut, fahren Sie fort.

Kurz: Stand heute: Ich habe mir den Akt sehr genau angeschaut, ich habe mir alle SMS, die im Akt sind, sehr genau durchgelesen.

Ich: Sie haben sich wirklich bemüht, vielen Dank dafür!

Kurz: Ich habe mich bemüht, in den letzten Wochen – so wie Sie – auch noch einmal Zeitleisten zu erstellen, das alles irgendwie bestmöglich für mich auch geistig zu rekonstruieren.

Ich: Ja, und was können Sie mir jetzt sagen?

Kurz: Ich kann Ihnen sagen: Auch heute kann ich mich an viele Details nicht erinnern.

Ich: Das scheint mir leicht befremdlich.

Kurz: Vieles kommt mir total fremd vor.

Ich: Geben Sie mir ein Beispiel!

Kurz: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Es gibt im Akt eine SMS, wo ich angeblich auf Vorschlag des Thomas Schmid, dass Pierer ein guter Aufsichtsrat wäre, zurückschreibe: „Unmöglich“.

Ich: Sie wurden über Ihre Rechte belehrt.

Kurz: Ich schwöre Ihnen, ich kann mich heute – obwohl ich es gelesen habe und Tage darüber nachgedacht habe – beim besten Willen noch immer nicht daran erinnern, dass Stefan Pierer für den Aufsichtsrat jemals als Idee da war.

Ich: Und als reale Möglichkeit?

Kurz: Wenn ich es lese, dann kommt es mir recht plausibel vor, dass ich dagegen bin, dass man einen der prominentesten Spender zum Aufsichtsratschef macht oder zum Aufsichtsrat.

Ich: Warum?

Kurz: Warum? Weil ich meinen Job auch so anlege, dass ich ungern unnötig Zores habe.

Ich: Das macht aus uns beiden zwei. Ich danke Ihnen für heute. Herr Bundeskanzler, gehen Sie wieder an ihr anstrengendes, hoffentlich aber zoresarmes Tagewerk! Bis bald! Wir haben noch so viel zu besprechen!


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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