Der Kommunismus ist wieder da!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 531

Armin Thurnher
am 27.09.2021

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Der Kommunismus ist wieder da. Das ist doch einmal eine Schlagzeile. Was ist dagegen der Durchreißer Olaf Scholz, der Kanzlerin kann und nun für sein Dynamikdefizit (sprich: seine Verlässlichkeit) belohnt wird. Was ist dagegen Lusche Armin Laschet, der sein Wahldesaster in einen Sieg am Verhandlungstisch verwandeln will? Was ist dagegen Annalena Baerbock, die allein – sie, und nicht die Linke, die zwar an Sektierertum aufbot, was sie draufhatte, aber nicht ins Gewicht gefallen wäre – die historische Chance einer linksgrünen Koalition per purem Egotrip versemmelt hat? Was ist dagegen der sprach- und charmesprühende oberösterreichische Landeshauptmann Stelzer, der sich keinesfalls auf eine Koalition mit der Partei der rechtsextremen Herzen festlegt? Was ist dagegen die Stagflation der österreichischen Sozialdemokratie, deren Plusse und Minusse sich unterhalb der politischen Wahrnehmungsgrenze bewegen?

Der Kommunismus ist wieder da!

Ob Elke Kahr nun wirklich Grazer Bürgermeisterin wird, wie es ihr nach dem Wahlergebnis zusteht, oder nicht, scheint gar nicht mehr so wichtig. Die KPÖ ist weitaus stärkste Partei in Graz, die SPÖ ist dort einstellig. Muss man mehr sagen?

Ich war natürlich nie Kommunist, wurde aber gern als solcher bezeichnet. Hans Dichand, der längst verstorbene mächtige Herausgeber der Kronen Zeitung, pflegte, als er noch lebte, über mich zu sagen, ich sei ein sehr guter Journalist, aber leider Kommunist. Dieses Urteil zittert noch nach im Schimpfwort „Bolschewikenblattl“, das ein lallender Krone-Kolumnist (als Herzensfaschist gewiss etwas anders als ein Kommunist) bisweilen dort gegen den Falter vorbringt. Es war das übliche Schimpfwort für die Linke in der ersten Republik, vor allem für eine jedes Kommunismus unverdächtige Linke. Es funktioniert auch in der Zweiten Republik, wo die Herzensfaschisten kolumnieren, koalieren und mitregieren.

Jetzt allerdings ist der Kommunismus wieder da. Ich kenne mich mit dem Kommunismus aus. Nicht weil ich selber je in KPÖ-Nähe gewesen wäre. Ich war und bin unabhängiger Linker, so unabhängig, dass ich nicht einmal Trotzkist wurde. Halte es mit Karl Kraus und dessen Wort: „Der Teufel hole seine Praxis, aber Gott erhalte ihn uns als konstante Drohung über den Häuptern jener, so da Güter besitzen.“ Allerdings musste man sich in meinen jungen Jahren für jede Art politischer Linke, auch für die unorganisierte, durch Lektüre sogenannter Klassiker qualifizieren.

Man hatte mindestens ein paar blaue Bände gelesen zu haben. Die MEW, Marx-Engels Werke in etwa 48 Bänden, erhältlich in der günstigen blauen DDR-Ausgabe, konnte man in kommunistischen Buchhandlungen kaufen, deren es in der Wiener Innenstadt zwei gab. Linke Buchhandlungen, die solche Bände selbstverständlich ebenfalls vorrätig hielten, gab es mehrere. Man las aber auch Lenin, sehr Eifrige studierten auch Stalin und Mao, Abweichler hielten es mit Trotzki, der dadurch sympathisch erschien, dass er schreiben konnte und dass Stalin ihn ermorden und aus Fotografien wegretuschieren ließ.

Diese Art Kommunismus war ein Salonkommunismus, dessen Salons in WGs, in verrauchten Lokalen, bei Teach-Ins und auf Demos veranstaltet wurden. Von den Gräueln in totalitären kommunistischen Staaten wollte man eher wenig hören, dass Che Guevara nicht nur ein Held des bewaffneten Widerstands war, sondern auch Blut Unschuldiger an den Händen hatte, darüber sah man großzügig hinweg.

Es war „die Idee“, die man dem schnöden Imperialismus der USA entgegensetzte. Eine nicht näher überprüfte Solidarität mit den unterdrückten Völkern der Dritten Welt trieb uns an, gegen eine Form des expansiven Kapitalismus zu protestieren, die so nicht hinzunehmen war und bis heute nicht hinzunehmen ist – zu groß sind die Kollateralschäden bei der Verteidigung der Freiheit. Die Klimakatastrophe ist nur einer dieser Schäden.

Jetzt ist der Kommunismus wieder da. An einem Montagmorgen wie diesem denken wir darüber nach, was den Sieg der Elke Kahr herbeigeführt haben kann, wie es kommen konnte, dass Graz, die „Stadt der Bewegung“, Triumphstätte des Hitlerismus, wo man den KZ-Schlächter Franz Murer, einst Schlächter von Wilna, danach ÖVP-Bauernfunktionär, mit Blumen überschüttete und seine jüdischen Opfer verhöhnte, als er im Prozess freigesprochen wurde; dass Graz, welches 1978 bis 1983 einen FPÖ-Bürgermeister hatte; dass Graz, das in den vergangenen Jahren von einer Zukunftshoffnung der slicken ÖVP geführt wurde; dass dieses Graz nun von einer freundlichen, netten, aber ohne jede medial geile Kante agierenden Kommunistin als Bürgermeisterin regiert werden wird.

Ein Wunder. Ist es der Kommunismus? Das kann nicht sein. Denn bisher, wie wir wissen, existierte der Kommunismus nicht. Was existierte, war nur eine Verhöhnung der Idee, die diesen Titel führte. Den Kommunismus gibt es nicht, könnte man mit dem bekannten Wien-Pariser Komödiantenduo Schuh/Lacan sagen, denn alles, was es bisher an Kommunismus gab und gibt, war und ist kein solcher.

Aber Graz? Außer dem südindischen Kerala, wo seit den 1950er Jahren immer wieder die Kommunisten an die Regierung gewählt werden, ist Graz nun ein Fanal in der westlichen Welt. Ist der Kommunismus wieder im Kommen? Man kann das mit Blick auf die deutsche Linke deutlich verneinen. Warum siegte Frau Kahr ausgerechnet in Graz, der unwahrscheinlichsten aller Städte?

Bekanntlich setzte Kahr den Kurs ihres Vorgängers Ernest Kaltenegger fort: sie vertrat die Interessen kleiner Leute, nicht der Wirtschaft, nicht irgendwelcher Lobbyisten, und sie hatte keinerlei persönlichen Vorteil im Auge, nicht einmal den eines Amtes. Ihr Amt interessierte sie wirklich nur, um den kleinen Leuten zu helfen. Dafür setzte sie wie ihr Vorgänger sogar ihr eigenes Geld ein. Das ist antioligarchische Politik, moralisch durch und durch, und auf eine Weise kommunistisch, die an ein in der katholischen Kirche nur als Phrase existierendes Christentum erinnert.

Es gibt die Ansicht, dass wenn irgendwo in einer Gesellschaft der Bösen und Sündigen sich nur ein, zwei Gerechte verbergen, so sei diese Gesellschaft, sei dieses Land gerettet. Graz hatte dieser Gerechten in Form zweier kommunistischer Menschen, Ernest Kaltenegger und Elke Kahr.

Was für ein Wunder bestaunen wir da? Den Kommunismus? Oder bloß Leute, die mit einer Idee ernst machen? Ich glaube, das ist es. Politik wird nämlich immer dann unwiderstehlich, wenn sie glaubwürdig ist. Sie kann naturgemäß glaubwürdig lügen. In jedem Fall wird sie glaubwürdig, wenn sich eine Lüge oder eine Idee mit einer Person verbinden, der man sie glaubt. Der man sie glauben kann. In Graz war es ausnahmsweise eine Idee.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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