Eine österreichische Heldin, für die sich Österreich nicht interessiert. Bis jetzt.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 529

Armin Thurnher
am 24.09.2021

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Dies ist ein Buch aus dem Falter Verlag. Es ist ein sehr, sehr gutes und sehr wichtiges Buch. Es ist wichtig, weil es ein heikles Thema ohne falsche Distanz und ohne angemaßten Nähe anpackt. Weder Gedenkkitsch noch moralische Betroffenheit spuken hier zwischen den Zeilen, aber auch keine elegante Distanziertheit, die sich jeder Empörung über das Geschehen gegenüber kalt macht.

Manches an diesem Geschehen ist so grausam, dass man es mit nur sachlicher Schilderung nicht bewältigen, sondern nur dokumentieren kann. Noch immer lässt sich das, was in den Vernichtungslagers der Nazis geschah, nicht einfach erzählen, schildern, geschweige denn nachfühlend vorstellen. Das ist uns, wie alles Monströse, verschlossen.

Dennoch schafft der Autor dieses Buches, der Historiker und ehemalige grüne Nationalratsabgeordnete Harald Walser, den schwierigen Balanceakt der Darstellung dieser Greuel bei seiner Erzählung der Geschichte des „Engels von Auschwitz“.

Allein diese Bezeichnung, stammte sie vom Autor, geriete sogleich in Kitschverdacht. Weil sie aber aus der Schilderung eines KZ-Insassen genommen ist, aus einem historischen Dokument, stellt sie auf eine andere Art den Anspruch von Wahrheit.

Maria Stromberger, wie sie, einem Häftling zufolge, der es auf der Bildrückseite notierte, in Auschwitz aussah @ APMA Bildarchiv Gedenkstätte Auschwitz

Der Engel, das ist die Krankenschwester Maria Stromberger (1889-1957). Geboren in Kärnten, aufgewachsen in Graz, zog sie nach Vorarlberg, wo sie nach verschiedenen Berufen wie Küchenhilfe und Köchin auch den der Krankenschwester erlernte. Im Bregenzer Sanatorium Mehrerau zur Krankenschwester ausgebildet, kam sie ins Kriegslazarett Lienz und hörte von Verwundeten Geschichte über die Ostfront, die sie mit eigenen Augen überprüfen wollte. Und: sie wollte sehen, ob sie nicht dort Gutes tun könne.

Auf eigenen Wunsch nach Polen versetzt, hörte sie von Auschwitz und von Vorfällen im Konzentrationslager, die sie nicht glauben wollte. Um sich selbst zu überzeugen, wie es dort zugehe, meldete sich die tiefkatholische Maria auch noch dorthin zum Dienst. Sie wurde aufgrund ihrer Kenntnisse bei der Bekämpfung von Typhus so etwas wie die rechte Hand des Lagerchefarzts, des äußerst zwiespältigen SS-Manns Dr. Wirths. Und, nach einigen von ihr beobachteten Vorfällen zur Sympathisantin der Häftlinge, zu ihrer Unterstützerin, zur Mutterfigur und schließlich, unter Wagnis des eigenen Lebens, auch zu einer bedeutenden Figur des Widerstands im Lager. Sie half Häftlingen mit abgezweigten Lebensmitteln, schmuggelte Kassiber, Waffen und Sprengstoff. All das unter den durchaus misstrauischen Augen der SS.

Walser rekonstruiert das Leben der Maria Stromberger aus Zeugnissen von polnischen Häftlingen und auch aus Berichten von und Gesprächen mit dem berühmten Österreicher Hermann Langbein. Dieser, ein Kommunist, gehört zu den wenigen Österreichern, die Stromberger auch 1945 ein ehrendes Andenken bereiteten. Sie lebte bis 1957, in Vorarlberg und in Kärnten, wo sich aber niemand um sie kümmerte. Während sie in Polen als Heldin gefeiert wurde und im ersten Auschwitz-Prozess als prominente Zeugin gegen den Lagerkommandanten Rudolf Höß aussagte, herrschte hierzulande um sie Stille. Mehr noch: Absurderweise wurde sie von den Franzosen als „SS-Schwester“ im Lager Brederis für ein paar Monate interniert, bis das Zeugnis prominenter Polen, nicht zuletzt des nachmaligen polnischen Ministerpräsidenten Józef Cyrankiewicz, sie aus dieser Lage befreite.

Auch das beeindruckt einen an Walsers Buch: es endet nicht mit dem Tun und dem Tod der Schwester, es konstatiert nüchtern ihr Nachleben. Nachrufe auf sie erschienen in Österreich nur in der katholischen Furche, der kommunistischen Volksstimme und dem kommunistischen Monatsblatt „Der Neue Mahnruf“. Den Versuchen Langbeins gegenüber, sie für den Kommunismus zu gewinnen, bleib sie gleichgültig. Am Ende wurde Langbein selbst aus der KPÖ ausgeschlossen. Auch polnischen Initiativen, sie einzuladen und zu feiern, stand sie sehr zurückhaltend gegenüber, wohl aus Misstrauen, vereinnahmt zu werden.

Während in Vorarlberg wie sonst in Österreich die alten Nazis rasch wieder da waren, wäre eine Heldin des Widerstands fast ins Vergessen versunken. Während man hier Elmar Grabherr, die rechte Hand des Gauleiters von Tirol/Vorarlberg, 1945 zum Landesamtsdirektor ernannte und ihm die Entnazifizierung anvertraute, also „den Bock zum Gärtner machte“, wie Walser schreibt, schaffte es erst eine neue Generation von Historikern, der er angehört, Menschen wie Maria Stromberger in den Blick zu nehmen.

Walser publizierte den ersten Text über sie in den 1980er Jahren, eine TV Dokumentation in den 90er Jahren, auch Gedenktafeln wurden um diese Zeit angebracht. Eine der wenigen Ehrungen, die Maria Stromberger akzeptierte: Sie wurde ins Präsidium des KZ-Verbandes gewählt. Walser: „Eine parteipolitisch völlig desinteressierte und sehr religiöse Katholikin im Präsidium eines kommunistisch dominierten Verbandes – das war die einzige offizielle Würdigung, die sie in Österreich erleben durfte.“

Walsers Buch schildert so anschaulich wie nüchtern das Geschehen im SS-Revier, also auf der Krankenstation von Auschwitz. Er bleibt auch bei der Nachgeschichte des Lebens der Maria Stromberger distanziert. Und er erzählt die Vorgeschichte der Familie Stromberger anhand von Lebensskizzen ihrer Familie, sodass der Hintergrund der Nazikatastrophe, der Postfeudalismus, die wechselhafte, schwankende und ökonomisch unsichere Zeit zwischen den Kriegen auch als Familiengeschichte sichtbar wird. Unversehens tut sich das Panorama einer Epoche von unerhörter Brutalität, Ungewissheit und Grausamkeit auf, in dessen Mitte eine Person steht, deren moralische Motive uns geradezu unwahrscheinlich anmuten, aber durch die Art, in der sie Walser präsentiert, wirklich glaubhaft werden: eine österreichische Heldin des Widerstands, nicht politisch, sondern moralisch-religiös angetrieben. Eine Heldin, die Mittelpunkt einer Fernseh-Serie sein könne, ja müsste. Eine Heldin, die das offizielle Österreich bis zum Erscheinen dieses Buchs fast ganz ignorierte.

Harald Walsers Buch ist auch durch die große Zahl an teilweise unveröffentlichten Bildern, Dokumenten, Artikeln und Briefen sehr vielfältig und ansehnlich geworden. Ein schönes, ein würdiges Buch, auch das darf ich unter erneutem Hinweis auf Satz Eins noch sagen. Ein Vorwort von Altbundespräsident Heinz Fischer verleiht ihm das nötige spezifische Gewicht. Es ist in der Tat ein Stück unerlässlicher Geschichtskunde. Wer sich für Österreich interessiert, sollte es gelesen haben.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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