My own private Dreifach-Philosophicum

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 528

Armin Thurnher
am 23.09.2021

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Dieser Tage bin ich in Vorarlberg, bei meinem persönlichen Dreifach-Philosophicum samt zusätzlichem historischem Brocken. Philosophische Lektionen sind mitunter hart zu verdauen, vor allem im Dreierpack. Ich beginne mit den Lektionen meiner Mutter. Mein Publikum weiß es, sie ist 102 Jahre alt, und ihre bloße Erwähnung auf Twitter übertrifft an Echo alles, was ich sonst hervorzubringen vermag. Damit muss man als Sohn erst einmal fertig werden. Da der moderne Publizist echogetrieben ist und allen Reizen nachgibt, die ihm mehr Aufmerksamkeit verschaffen, werde ich es demnächst auch hier noch einmal mit ihr versuchen und schauen, was es für die Klickrate und die Abozahlen bringt. Ich bin ja nicht von gestern.

Mutter Thurnher mit Hazel, dem Hund eines Enkels

Mutter trägt zu meinem privaten Philosophicum mit Sprüchen bei, die ich demnächst hier gesammelt vortragen werde, wobei ich vielleicht bis nach meiner Abreise damit warte, da die Lektüre der Seuchenkolumne zu ihren täglichen Lesegewohnheiten zählt und ihre Erwähnungen dort mir stets ein Mahnwörtchen eintragen.

Gestern sagte sie beim Mittagessen beim Anblick des von ihr selbst aus frühzeitig gefallenen Äpfeln zubereiteten Apfelkompotts: „Als Kinder hatten wir jeden Tag Apfelmus. Weil es halt im Herbst anfällt. Es ist uns schon bei den Ohren herausgekommen.“ Kleine Pause. „Was man hat, mag man nicht. Was man nicht hat, möchte man.“

Dass die Jagd nach Aufmerksamkeit das Grundgesetz der Publizistik sei, bestritten übrigens meine beiden Gesprächspartner beim Philosophicum Lech. Ich war heuer erstmals dorthin eingeladen, was mir ermöglichte, meinen seit Beginn dieser von Konrad Paul Liessmann und Michael Köhlmaier gegründeten Institution ins Auge gefassten Besuch endlich einmal wahrzumachen. Michael Fleischhacker und Liessmann selbst, spontan für Corinna Milborn eingesprungen, die absagen musste, halfen mir als Moderator zu einem lebhaften Streitgespräch über die Rolle der Medien in der Pandemie.

Moderatoren zu moderieren ist ein unmöglich Ding. Was dabei herauskam, ist möglicherweise demnächst bei Raimund Löw im Falter-Radio nachzuhören und dann hier nachzulesen. Wir wollen ja nicht vorgreifen!

Höchstens ein bisschen. Ich durfte gleich zwei Debatten zum Thema „Philosophie der Pandemie“ moderieren. In der zweiten trafen dann zwei Philosophen aufeinander, der kulturwissenschaftlich und ästhetisch orientierte, aber durchaus handfest argumentierende, in Linz lehrende Philosoph Robert Pfaller („ich bin froh, dass der Staat in der Pandemie wieder das Handeln lernte“) und der junge, in München ein Institut betreibende Schweizer Adriano Mannino.

Dessen leidenschaftlich formulierte Ideen zur Ethik der Pandemie waren für mich die Überraschung des Tages. Ethik heißt ja auch praktische Philosophie, und Mannino macht ihr alle Ehre, wie man auch in zwei zum Thema bei Reclam erschienenen Büchern nachlesen kann. Auch dieses Gespräch wird im Falter Radio gesendet werden. Soviel darf schon verraten werden: Mannino betrachtet es als Aufgabe der Philosophie, Denkmodelle für kommende Pandemien zu entwerfen, die uns sicher erreichen werden. Der Kapitalismus muss eingehegt werden, darin waren wir drei uns einig (wir haben ja sonst nichts): denn die mit ihm zusammenhängenden Leben- und Produktionsweisen werden uns weitere Zoonosen, also von Tier zu Mensch übertragene Infektionskrankheiten, nicht ersparen. Oder, was nicht besser ist, es könnte ein generelles Versagen antibiotischer Medikamente über uns kommen, weil die Landwirtschaft uns via Fleisch so mit Antibiotika vollstopft, dass wir auf diese nicht mehr reagieren. Frau Köstinger beschäftigt gewiss schon ein Heer von Ethikerinnen, das uns auf solche Paniksituationen vorbereitet.

Drei philosophische Lektionen, sagte ich. Wie es sich so ergab, spielte gestern SW Bregenz im Bodenseestadion, das jetzt Immo/Agentur-Stadion heißt, gegen den Zweitdivisionär SV Lafnitz, der jetzt Licht-Loidl-Lafnitz heißt und immerhin mit Alliteration agiert. Leider können die nicht nur dichten, sondern auch fußballspielen. Es war ein Massaker, dessen Ausmaß ich nicht vorhersah, weil ich erst im Stadion erfuhr, dass aufgrund von Verletzungen und einer Corona-Infektion beinahe die ganze erste Bregenzer Mannschaft fehlte, ein 16-jähriger aus dem 1b die Sturmsitze bildete und drei weitere aus der Fußball-Akademie eilig herbeigeholt wurden. (Ein gewisser Maximilian Werner schreibt übrigens in den VN sehr ordentliche Spielberichte, was man nicht hoch genug schätzen kann). Physisch und psychisch unterlegen, kassierten die armen Bregenzer gleich in der 4. Minute einen Elfer und verloren ohne den Hauch einer Chance mit 0:7.

Was daran philosophisch ist? Nichts, außer dem Hinweis auf die Hinfälligkeit allen Glanzes. Nichts, außer dass sich der Abstieg aus alter Herrlichkeit immer weiter nach unten fortsetzen kann. Gleich traf ich auf der Tribüne einen alten Bekannten, der mich mit den Worten begrüßte: „Na, als Schwarzweiß-Masochist hast du ja einen feinen Abend.“ Andere kamen und machten mit mir ein Selfie und bedankten sich für einen Artikel, den ich vor einiger Zeit unter dem Titel „Angehängt. Das herbe Los eines ewigen Schwarz-Weißen“ zur Hundert-Jahr –Feier dieses Vereins geschrieben hatte, und der so begann: „Ich mag das Wort Anhänger, weniger weil es, anders als „Fan“, nicht englisch ist, sondern weil es das Bild des hilflos Angekoppeltseins beschwört. Ich sehe einen LKW oder auch einen Traktor vor mir, der etwas zieht, das ihm anhängt, das an ihn angehängt ist, einen Anhänger eben, und der bin ich. Außerdem kommt Fan von „fanatic“, und wer je in den letzten Jahrzehnten einen Samstagbesuch auf der Tribüne des Bodenseestadions riskiert hat, musste erkennen, dass dort das Gegenteil des Fanatismus regiert, eine Stimmung milder, abgeklärter Resignation, eine Familie von Abwinkern, müden Lächlern, von Leuten, die Kummer gewohnt sind, eingefasst vom übergroßen Rahmen des Stadions und der damit verbundenen Erinnerungen.“

Immerhin begrüßten mich diese Menschen, zwei davon mir unbekannt, indem sie mir das Wort „Anhänger“ und ein ungefähres Zitat dieser Passage entgegenriefen. Sie definierten also ihren Zustand durch etwas, das ich geschrieben hatte. Da kam ich mir noch einmal sehr philosophisch vor.


Der historische Brocken kommt morgen und wird sich mit dem Buch von Harald Walser über Maria Stromberger beschäftigen. Es trägt den Titel „Ein Engel in der Hölle von Auschwitz“, ist im Falter Verlag erschienen und wird heute um 19 Uhr in der Aula Bernardi des Kloster Mehrerau vom Autor vorgestellt.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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