„Ich bin Judas“, sagte Robert Hochner. Über Lügen und anderes im Fernsehen, I

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 526

Armin Thurnher
am 21.09.2021

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„Der Intendant hat mir nahegelegt, keine Interviews zu geben, und ich halte mich daran“, sagt Robert Hochner im nachfolgend in zwei Teilen abgedruckten Interview mit dem Falter. Ich mag diesen Satz noch immer.

„Die Rache des Journalisten am Politiker ist das Archiv“, sagte ebenfalls berühmterweise der berühmte ORF-Moderator. Heute greift die Seuchenkolumne ins Archiv, weil es so schön passt. Machtwechsel im ORF, 1998, Gerhard Weis hatte Gerhard Zeiler abgelöst, und Hochner geriet in Schwierigkeiten. Ein von diesem zugespitztes Interview mit einem Fellner-Medium kostete ihn seinen Posten als Moderator  der Sommergespräche, obwohl es keinen besseren gab als ihn. Sigrid Neudecker und ich sprachen mit Hochner darüber und publizierten das Interview im Falter 35 vom 26.8.1998 unter dem schönen Titel „Hochner: Ich bin Judas“. Untertitel: „Sommergespräch: Was Robert Hochner wirklich sagt. Über schwierige Gäste, mühsame Politiker und die Lüge im Fernsehen.“

Er wollte seit seinem 15. Lebensjahr Journalist werden und kam über den Umweg Theater 1975 zum ORF. Robert Hochner gehört nach Dieter Seefranz und Hugo Portisch zur zweiten Generation der ORF-Moderatoren. Mitunter steht er nicht nur als Moderator im Blickfeld. Seit er heuer die Sommergespräche „Zur Sache Spezial“ moderierte, artikulierte er Unzufriedenheit mit der Form. Nach einem tv-media-Interview, das Hochners Aussagen gegen dessen Intention als „Abrechnung“ präsentierte, ist er als Moderator abgesetzt. Wie Intendant Rudolf Nagiller das begründet, lesen Sie nach dem morgen erscheinenden zweiten Teil des Hochner-Gesprächs. Der Falter hatte mit Hochner bereits vor dessen Absetzung gesprochen und fragte dann noch einmal nach.

Robert Hochner, 1995 Screenshot: ORF, YouTube

Falter: Herr Hochner, wenn Sie bei sich selbst zu Gast wären, welche erste Frage hätten Sie für sich?

Herr Hochner: „Herr Hochner, haben Sie am Sonntag abend nix Besseres zu tun?“

Was würden Sie antworten?

„Nein.“ (Lacht.) Bei 34 Grad im Schatten im Haas-Haus sitzen …

Ihr „Zur Sache“ mit Haider war das bisher beste.

Ja, es hat am besten funktioniert.

Trotzdem sind Sie nicht mehr Diskussionsleiter. Wollten Sie das?

Nein.

Empfinden Sie es als gerecht?

Das zu beurteilen, überlasse ich anderen. Der Intendant steht auf dem Standpunkt, ich hätte dem Haus und der Sendung geschadet, und deshalb müsse man mich abziehen.

Dieser Meinung sind Sie nicht.

Nein. Und vor allem: Ich wollte dem Haus nicht schaden. Das ist sicher.

Wurde Ihre Aussage von „tv-media“ so zugespitzt, dass mehr daraus wurde, als Sie sagen wollten?

Ich war etwas überrascht über die Bemerkung von der Abrechnung und all dem, was da auf dem Titelblatt stand, weil ich das weder gesagt noch gemeint habe.

Sind Sie unglücklich darüber?

Der Intendant hat mir nahegelegt, keine Interviews zu geben, und ich halte mich daran.

Ihre Position als „ZiB 2“-Moderator wird davon nicht berührt?

Ich nehme nicht an. Da müssen Sie die neue Geschäftsführung fragen.

Wollen Sie beim ORF bleiben?

Ich habe nicht vor zu wechseln. Ich verdanke dem ORF sehr viel und gehöre nicht zu denen, die bei erster Gelegenheit schauen, wo sie mehr Geld verdienen. Ich will und kann nichts Weiteres sagen.

Aber dass Sie überrascht waren, dass Ihre Aussagen in tv-media in dieser Form präsentiert wurde, kann man wohl sagen.

Es wäre sinnlos, das zu leugnen. Ich sehe ein, dass ich im Umgang mit Printjournalisten entweder naiv war oder dass es Interessen gibt, bei denen ich eher nur der Spielball bin. Sie wissen, dass zwischen Nagiller und tv-media nicht immer Frieden herrschte.

Reden Sie je wieder mit tv-media?

Ich werde sicher vorsichtig sein. Ich habe gelernt, man kann nicht sicher sein, dass etwas auch so gebracht wird, wie es gemeint war. Wir sind im ORF durch Rundfunkgesetz und Programmlinien anders trainiert.

Zu Ihrem Unglück mit „Zur Sache Spezial“ …

Das ist ein Mißverständnis. Ich habe offenbar die Auffassungsgabe mancher Kollegen ein bißl überschätzt. „Zur Sache Special“ ist nicht das optimale Konzept, aber es ist ein tragfähiges Konzept, sonst hätte ich mich nicht hineingesetzt.

Es ist also nicht so schlecht, dass Sie gesagt hätten: „Nein, das mach‘ ich nicht.“

Das ist der Satz, den ich vergessen habe dazuzusagen, weil ich gedacht habe, das wird sich ohnehin jeder dazudenken. Bei jedem Formel-1-Rennen gibt es Leute, die sagen, aufs Stockerl werden wir nicht kommen, aber wir werden unser Bestes geben. Nichts anderes habe ich gesagt.

Sind Sie bei den Ingenieuren oder sind Sie nur Fahrer?

Nein, ich bin dabei. Aber auch in der Formel 1 ist der Fahrer sehr wichtig, um die Abstimmung zu machen. Und wenn der Fahrer zu blöd für die Abstimmung ist, funktioniert’s nicht.

Sie sind also sehenden Auges in den Panzer Zilk gelaufen?

Ja, und? Was ist passiert? Wir hatten eine bessere Benotung als im Vorjahr und einen sehr guten Marktanteil.

Betrachtet man die Quote, ist Helmut Zilk für einen Diskussionsleiter ein Glück. Aber eine Katastrophe, was das Inhaltliche und die Gesprächsführung betrifft.

Er ist schwer steuerbar. Von 160 Anrufen waren ungefähr 100 gegen Zilk und gegen die Tatsache, dass wir ihn eingeladen haben, dass das eine SPÖ-Politschiebung sei; ungefähr 40 waren gegen Heide Schmidt, sechs waren gegen die ganze Runde inklusive meiner Wenigkeit, und ein einziger hat gesagt: „Herr Hochner soll Herrn Zilk schneller unterbrechen.“

Werden die Anrufe von manchen Parteien gesteuert?

Ich glaube, die sind eher mit dem Fälschen von Leserbriefen beschäftigt.

Denken Sie während einer Sendung manchmal, „Scheiße, das wird der Quote nicht guttun“? Wie ist Ihre Selbstwahrnehmung?

Wir schielen nicht auf die Quote, wir schauen mit beiden Augen drauf. Wenn Zeitungen zwei Abonnenten dazugewinnen, feiern sie ihren riesigen Auflagenrekord. Und uns werfen sie vor, auf die Quote zu schielen. Absurd. Was Selbstwahrnehmung betrifft: Ich kann mich völlig zurücknehmen, was das Fragen angeht. Ich habe die Funktion eines Schiedsrichters. Zerpfeife ich ein Spiel, oder lasse ich es laufen?

Was für Ansprüche haben Sie persönlich an ein Sommergespräch?

Keine hohen. Die Leute haben sich ihr Urteil über den Gast schon gebildet. Aber – und das ist ein Vorteil gegenüber dem klassischen politischen Interview – es kommt auch ein bißchen was über die Person selbst rüber.

Ein bißchen Wille zum „Aufblattln“ ist aber schon dabei.

Die Vorstellung, dass ein Politikerinterview nur dann gut ist, wenn das Blut des betreffenden Politikers am Schluß der Sendung langsam über den Studioboden und die Außenwand des Haas-Hauses herunterrinnt, hat in diesem Land außer Peter Rabl niemand.

Es ist doch eine Art Ritualkampf: Der Diskussionsleiter hat die Funktion, den Interviewten „aufzumachen“ und ihn stellvertretend für alle anderen zu kritisieren. Der Politiker aber will nichts sagen, sondern nur Reklame für sich machen.

Das ist das Um und Auf. Es gibt den von mir so genannten „Passionsspiele-Effekt“. Früher haben die Bauern bei Passionsspielen nachher den Darsteller des Judas verhauen, weil sie einfach zwischen der Rolle und der Person nicht unterscheiden konnten. So ist es hier auch. Die Leute verwechseln das.

Wer ist Judas, der Politiker?

Ich bin Judas! Bei der ersten Sendung haben alle gesagt, „Aha, das ist ein Feind der Grünen.“ Bei der zweiten Sendung war ich ein Feind der Liberalen und so weiter.

Man merkt aber manchmal jedem Moderator an, dass er sich ärgert, wenn wieder nur Stehsätze kommen.

Ja. Aber es ist falsch, diesen Ärger zu haben. Nur dumme Politiker lügen einen Journalisten an und glauben, niemand merkt’s. Das geht vor einer Fernsehkamera nicht, weil die Leute ein sehr gutes G’spür dafür haben.


Morgen folgt Teil II dieses historischen Gesprächs, über gecoachte Politiker und wie der Moderator arbeitet. Sowie die Begründung des Intendanten, warum er Hochner von der Moderation der „Sommergespräche“ abzog.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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