Über ein ORF-Tal der Tränen weit im Westen, das Landesstudio Vorarlberg.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 520

Armin Thurnher
am 14.09.2021

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Diese Geschichte handelt vom ORF-Landesstudio Vorarlberg, dessen Direktor morgen* bestellt wird. Es ist keine tief recherchierte Geschichte. Ich bringe sie hier trotzdem, weil sie zeigt, wie es geschehen kann, dass unangenehme Geschichten irgendwie nie erschienen. Nicht wegen Message-Control, noch irgendeines anderen politischen Drucks wegen. Auf der einen Seite sorgt Gleichgültigkeit für dieses Nichterscheinen, auf der anderen Angst.

Studio Vorarlberg, scheinbare Idylle, Ort der Angst und der Tränen Foto: rufre@lenz-nenning.at

Die Geschichte erscheint in dieser Kolumne, weil Betroffene aus Vorarlberg mich erst informierten, als der Falter schon fertiggestellt war. Es blieb keine Zeit mehr, die Redaktion auch nur damit zu befassen. Die Betroffenen kamen so spät darauf, den Falter zu kontaktieren, weil sie zögerten, wie und ob sie überhaupt an die Öffentlichkeit gehen sollten. Dieses „ob“ und „wie“ ist schon Teil der Problemgeschichte.

Das ORF-Studio Vorarlberg ist weit weg, wenn nicht gerade Festspiele sind oder ein Asylwerber einen abscheulichen Mord begeht, wird man das Ländle kaum als Gamechanger betrachten, wie man so schön sagt. Die Mediensituation im Land ist zudem eindeutig: das Medienhaus Russ herrscht auf allen Kanälen, das einzige relevante Gegengewicht zu dessen Macht bildet der öffentlich-rechtliche Rundfunk.

Die Politik ist also darauf angewiesen (oder besser: sie meint, es zu sein), dass dort, im ORF-Landesstudio ihr wohlgesinnte Menschen die Leitung haben. Wie alle Medienahnungslosen sind Landeshauptleute der Meinung, ein Medium „unter Kontrolle“ zu haben, wenn sie die Spitze kontrollieren. Dass das bei Qualitätsmedien nicht so ist, weiß sonst jeder. Die Spitze vermag dort mancherlei zu bewirken, am wenigsten journalistische Willfährigkeit.

Beim ORF Vorarlberg bewirkt die Spitze in Gestalt des seit 2012 amtierenden Direktors Markus Klement offenbar menschliches Leid in beträchtlichem Ausmaß. Die Politik in Gestalt des Landeshauptmanns Wallner scheint das nicht zu kümmern. Wallner scheint auf Klement zu beharren. Das ist die Gleichgültigkeit in dieser Geschichte.

Weil die Politik ein Recht beansprucht, das „Anhörungsrecht“ des Landeshauptmanns, in Wahrheit ein Vorschlags- und Ernennungsrecht des ORF-Landesdirektors, ungefähr so zeitgemäß wie die Zustimmung des Staates zur Ernennung von Bischöfen im Konkordat oder das ius primae noctis im Feudalismus, muss der jeweilige ORF-Chef alle anderen Erwägungen gegenüber diesem Wunsch des Landesvaters (bei Bedarf auch der Landesmutter) hintanstellen. Gesetzlich muss er es nicht, der Realverfassung folgend muss er es doch.

Dieser doppelten Gleichgültigkeit auf Seite der Mächtigen steht die Ohnmacht der Betroffenen gegenüber. Das muss man sich vorstellen: Die Belegschaft oder Teile der ORF-Belegschaft wagen es nicht einmal, einen Leserbrief an die Vorarlberger Nachrichten abzuschicken, aus zwei Gründen: Erstens vermuten die Unterzeichnenden, er würde ohnehin nicht abgedruckt. Und zweitens haben sie Angst, ihn zu unterzeichnen, weswegen er erst recht nicht erscheint. Die vage Hoffnung, er würde doch erscheinen, unterliegt gegen die Furcht, dann gemobbt, entlassen oder sonstwie gequält zu werden. Auch Veröffentlichungen in Social Media unterbleiben aus Angst, sich zu exponieren.

Dies als kleine Denknuss für all, die Vorarlberg für ein letztes Reservat des aufrechten demokratischen Ganges halten.

Der Leserbrief an die VN existiert, er wurde geschrieben, aber er wurde nie abgeschickt. Auch als Material einer journalistischen Geschichte taugt er noch nicht, denn die Zeuginnen (vor allem solche) sind verängstigt. Die Recherchen einer Kollegin für eine seriöse Wochen- und eine ebensolche Tageszeitung verliefen aus diesem Grund schwierig. Sie arbeitete an einer Geschichte über die Zustände im Studio Vorarlberg, konnte sie aber, wie sie sagt, mangels Zeugnissen nicht vor der Wahl des Landesdirektors abschließen. Außerdem ist Vorarlberg wie gesagt weit, und es fehlt an Fallhöhe. Was kümmert es den Osten, wenn fern im Westen die kleine Landesstudio-Belegschaft (rund 150 Arbeitsplätze) und ihr Chef aufeinander schlagen?

Es gab Medienberichte. Ein Vorwurf hat es sogar zu einer „Wirbel-im“-Meldung gebracht und einen Protest des ORF-Redakteursrats ausgelöst. Teile der Belegschaft schildern die Lage im nie abgeschickten Brief so:

»Wer es wagt, Dinge zu hinterfragen, wird separiert, versetzt, gekündigt oder „entlassen“, mindestens mit Gesprächsverweigerung „bestraft“. Es gibt keine Mitarbeiterführung, keine Gesprächs-, keine Reform-, keine Evaluierungs-Kultur. Mütter, die Teilzeit arbeiten, müssen um ihren Job bangen, werden so eingeteilt, dass sich Kinderbetreuung und Arbeit nicht in Einklang bringen lassen, in zahlreichen Fällen wurden ihre Verträge nicht verlängert, andere wurden rausgeekelt.  

RedakteurInnen, die „Anordnungen“ Klements, die zum Teil dem ORF-Gesetz widersprechen, hinterfragen, werden massiv bedroht. Es gibt schikanöse Diensteinteilungen, über lange Zeiträume nicht ausbezahlte Überstunden, immer wieder seinerseits nicht eingehaltene Abmachungen, Entscheidungen der Geschäftsführung, die nicht durchführbar sind. 

Dies alles sind Führungsmethoden, die es zuhauf bereits vor der Pandemie gab, seit Beginn derselben sind weitere schwerwiegende Vorkommnisse hinzugekommen.  

    • Nicht-Weiterbeschäftigung einer Mitarbeiterin, die, weil sie zwei Kinder zuhause hat, nicht in die (mit „Freiwilligen“ besetzte!!!) Isolationszone (10 bis 14 Tage durchgehend im Studio) einziehen wollte 

    • „Entlassung“ eines Redakteurs, weil er – vermeintlich – einen falschen Raum betreten hat, um seiner Dienstpflicht nachzukommen. Wie man einem Schreiben des Redakteursrats, den Medien und dem folgenden Urteil des Arbeitsgerichts entnehmen konnte, hat der betreffende Redakteur keinen Fehler begangen und die „Entlassung“ Klements war nicht rechtens. 

Aber von langer Hand geplant. 

Wie erst vor kurzem bekannt wurde, plante Landesdirektor Klement bereits 2016, den betreffenden Redakteur loszuwerden. Dazu wollte Klement die damalige Assistentin der Geschäftsführung in die Abteilung des betreffenden Redakteurs versetzen. Damit sie Informationen sammle, die er gegen den Redakteur verwenden könnte, um ihn „loszuwerden“. Dem Auftrag zur Bespitzelung wollte die Sekretärin aber aus Gewissensgründen nicht nachkommen. Sie wurde krank und danach gekündigt.«

ORF-Zentralbetriebsrätin Christina Jankovics kennt alle diese Vorwürfe, sie wurden ihr gegenüber, wie sie sagt, „höchst glaubwürdig, meist unter Tränen“ vorgebracht. Aber Jankovics sitzt im fernen Wien, sie ist für Gleichstellungsfragen zuständig, und auch sie hat das Problem, dass Beschwerdeführende dann wieder auf Beschwerden verzichten, weil sie um ihren Job fürchten. Im Juli heurigen Jahres initiierte Jankovics deswegen einen Termin mit einigen von ihnen und mit Generaldirektor Alexander Wrabetz. Er hörte sich eineinhalb Stunden lang die Vorwürfe an. Danach geschah nichts.

Markus Wallner, der Landeshauptmann, hat für die Wahl am Mittwoch einen Favoriten. Er heißt Markus Klement. Ob sich Noch-ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz zum Abschied einmal traut, das „Anhörungsrecht“ wörtlich zu nehmen und dem Wunsch des Landeshauptmanns das Gehör zu verweigern?**

Eine Gegenkandidatin hat sich immerhin beworben: Marion Flatz-Mäser.

Das Landesstudio Dornbirn liegt im Rheintal, glaubte man. Es liegt aber offenbar auch im Tal der Angst und der Tränen. Und über alles breitet sich ein dichtes Schweigen. Zumindest dieses soll hiermit symbolisch durchbrochen sein.

 

*Korrektur 1: Übermorgen ist die Bestellung

**Korrektur 2: Roland Weissmann schlägt vor


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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