Erinnerung an Caspar Einem, einen Mann des besseren Österreich.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 517

Armin Thurnher
am 10.09.2021

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Das erste Mal trafen wir einander im Café Schwarzenberg. Es war Mitte der 1980er Jahre. Das Treffen verlief etwas steif, da wir beide eine Zeitlang die selbe Frau geliebt hatten, was den vorhandenen gegenseitigen Respekt nun ja, etwas tönte. Aber das gab sich bald, denn ich wollte ihn als Autor für den Falter gewinnen.

Caspar Einem, 1948-2021 Foto: Studio Wilke @ Wikipedia

Einem arbeitete damals bei der Arbeiterkammer in der kommunalpolitischen Abteilung und galt als einer der linken Intellektuellen der Sozialdemokratie, zugleich von der Herkunft bürgerlich und geprägt durch die Kultur des Elternhauses, des Komponisten Gottfried von Einem, und dessen Frau Lianne, einer geborenen Bismarck. Den Adelstitel des Vaters führte der Sohn nie, und wie sehr er dessen Musik schätzte, trug er nie vor sich her, im Gegenteil: von Kunst und Kultur hielt er sich als Politiker fern, als wollte er den Geburtsvorteil hier nicht ausnützen. Die Herkunft war auch Einems Problem in der Sozialdemokratie: mangelnder proletarischer Stallgeruch, in Zeiten, als es auf so etwas noch ankam.

Einem schrieb dann wirklich zahlreiche Beiträge für den Falter, für einen Sozialdemokraten mit politischen Ambitionen nicht unbedingt empfehlenswert. Aber ob etwas der Krone passte, kümmerte Einem nicht. Er hatte sich zum Beispiel in Chicago selbst ein Bild der Ghettoisierung verschafft und berichtete über Wohnverhältnisse im Kapitalismus. Mit dem bürgerlichen Immobilenmann Jörg Wippel setzte er sich im Dialog über Mietpreisbeschränkungen und seine Idee der Wohnbausteuer auseinander. Mit Dietmar Steiner, dem vergangenes Jahr verstorbenen Architekturkritiker, dachte er über Perspektiven der Stadtplanung nach.

Ehe Einem zur AK ging, hatte er als Bewährungshelfer gearbeitet und deshalb Kenntnis von Underdogs und Ausgegrenzten aus erster Hand. Seine Empathie für Marginalisierte legte er nie ab; sie mag auch dazu geführt haben, dass er den Anarchisten vom Tatblatt, aus deren Kreis eines Attentats Verdächtige stammten, für einen Prozess und die Anschaffung einer Druckmaschine Geld spendete.

Die Spende für das Tatblatt als Ausdruck von Einems politischen Haltung zu betrachten, konnte nur Jörg Haider einfallen, dessen Anwürfe von der Kronen Zeitung megaphonartig weitergegeben wurden und Einem als eine Art obersten Anarchisten im Innenministerium diffamieren sollten.

Denn Franz Vranitzy hatte Einem tatsächlich zum Innenminister gemacht, in der Hoffnung, er könne einerseits das von zunehmend rechten Tendenzen beim Personal geplagte Amt modernisieren, andererseits der aufkommenden und vom Duo Haider/Krone aufgeputschten Fremdenfeindlichkeit als Symbol entgegenstehen und auch als Person nach dem unglaubwürdigen Franz Löschnak, der Gesetze verschärft und zugleich beim Lichtermeer 1993 eine Kerze ins Fenster des Ministeriums stellte, die SPÖ von Haider unterscheidbar machen.

Einem war ein gewerkschaftlich geprägter, unkonventionell denkender Linker mit bürgerlichem, großkulturbürgerlichem Habitus. Er vertrat zum Beispiel die Idee einer Wohnbausteuer, die eine „exzessive Inanspruchnahme“ von Wohnraum verteuern sollte, oder die Idee eines Staatsdienstes auf Zeit (Beamte sollte nur für beschränkte Zeit dienen, andererseits sollten alle einmal eine beamtenähnliche Funktion einnehmen, um die Identifikation mit dem Staat zu erhöhen).

Einems bürgerlicher Habitus, seine progressiven Ideen und sein glaubwürdiger Antifaschismus hätten nicht genügt, er besaß auch beträchtliches Charisma. Man brauchte ihn bloß als Redner zu plakatieren, und der Saal war voll. Das überraschte viele in der SPÖ und machte ihn zum Lieblingsgegner von Haider und der Krone, nützte ihm parteiintern aber nichts. Nicht er, sondern Viktor Klima wurde Nachfolger Vranitzkys als Kanzler und Parteichef. Unter Klima verlor Einem das symbolstarke Innenressort und wurde Wissenschaftsminister.

Was war das, was ich gerade den „bürgerlichen Habitus“ Einems nannte? Manieren, Sprachfähigkeit und soziale Empathie reichen zur Beschreibung nicht aus. Es war eine Art Distanz, die ihn stets vor dem zurückscheuen ließen, was eine Partei wie die SPÖ für viele unerträglich machte: das reflexhafte Einschwenken auf Linie, das wohlgeübte Apportieren von der Zentrale vorgegebener argumentativer Bauklötzchen.

Caspar Einem war Selbstdenker. Politik verstand er als das Unternehmen, Denkmodelle vorzuschlagen. „Modelle, innerhalb derer es den Betroffenen möglich ist, sich selbst über ihre Probleme zu verständigen.“ Durch den offenen Charakter dieser Modelle „hätte Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, ein Stück ihrer Bürgersouveränität auf spielerische Weise zurückzugewinnen, statt sie von einem anonymen Staat gewährt zu erhalten.“ So lese ich es in Papieren, die er zu Vranitzkys Denkerprojekt „Themen der Zeit“ beigesteuert hatte und die ich mit Peter Pelinka in einem Buch knapp zusammenfasste (Österreich neu, Kremayr & Scheriau 1994).

Einem stand für ein anderes, besseres Österreich in einer Zeit, da das hässliche, kleinliche, fremdenfeindliche, spießige Österreich begann, sich zum Riesenfrosch aufzublasen. Dass einer wie er immerhin Minister wurde, zeigt, dass nicht alles hierzulande auf Engführung hinauslaufen muss. Caspar Einem starb gestern im Alter von 73 Jahren. Adieu.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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