In defence of Sobotka. Oder: Hilfe, ich bin mindgesettet!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 516

Armin Thurnher
am 08.09.2021

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»Österreichs Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka hat kein Problem damit, mit Abgeordneten, die Diktaturen unterstützen, über Parlamentarismus zu sprechen, wie er in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung erklärt. Er fordert ,Respekt‘ gegenüber Diktaturen. Die ,westliche Überlegenheit‘ ginge Sobotka ,gegen den Strich.‘ Den ,Export unseres politischen Modells‘ sehe er nicht als seine Aufgabe. Sobotka stellt fest, dass auch europäische Parlamente in der Vergangenheit ,nicht immer demokratisch‘ gewesen seien, sondern dazu dienten, ,die Wünsche des Monarchen‘ abzusegnen.«

So stand es im Online-Magazin ZackZack, und ich gebe zu, als ich das Interview des dämonischsten aller Waidhofner (Ybbs) in der Tiroler Tageszeitung las, zuckte auch ich kurz zusammen. Aber.

Ich zuckte schon, als er auf die Frage, ob nicht Staatschefs Politik machten und nicht Parlamentspräsidenten, antwortete: „Nehmen Sie den Klimaschutz: Nicht einmal die Präsidenten dieser Welt kommen in dieser Frage auf einen grünen Zweig. Parlamente haben im Fokus, die Haltungen und Einstellungen zu verändern. Es geht darum, langfristig Bewusstsein zu ändern.“

Ich dachte bisher, Parlamente hätten den Zweck, Gesetze zu beschließen, Regierungen zu kontrollieren, Öffentlichkeit zu schaffen. Aber dem Herrn Präsidenten Reifenplatzer scheint jemand im Sommer einen Mindset-Floh ins Ohr gesetzt zu haben, was naturgemäß zu den komischsten Missverständnissen führt. Mindset, meint er jetzt, wahrscheinlich hat er das in einem dieser türkisen Schirmverkäuferseminare gelernt, Mindset meint mein Parlament.

Es kann gut sein, dass seine merkwürdige Sprache ein Virus aus Bereichen des äußeren Weltalls ist, wie schon der Sobotka-Kenner William S. Burroughs meinte, ebenfalls ein Experte in Mindsetting, und dass allein durch seine Rede, durch sein aggressiv vorgebrachtes Sobotkinesisch, die Hirne und Herzen in Verwirrung geraten und ein sogenannte Mind-Upsetting eintritt.

Im Morgenjournal vom 5.9.2021 sagte Sobo zum Beispiel über die Aufgaben des Parlaments während der Pandemie: „Wie musste man Grundrechte einschränken und was hat man dagegen getan, das möglichst gelinde zu tun?“

Herr, flehte ich damals, vergibt ihm, er weiß nicht, was er redet. Denn er meinte das Gegenteil, sagte es aber so, dass in der Schwebe blieb, ob er es nicht doch so meinte, wie er es sagte, nämlich: „Wir haben lange überlegt, wie wir möglichst brutal und effizient Grundrechte einschränken können.“ Er hat sich nie mehr dazu geäußert, und auch die Fragestellerin war derart mind-upsetted, dass sie einfach zur nächsten Frage überging. Ich kenne solche Situationen als Interviewer. Man schaut dann einfach auf den Zettel und tut weiter, in der Hoffnung, dass der Mind sich wieder resetted, was dann nach einigen Minuten eintritt. Wie könnte man sonst fragenstellend ein Sommergespräch mit Sebastian Kurz überstehen?

Es sei denn, man sitzt Herrn Präsident Reifenplatzer gegenüber, der kann es schon so weit treiben, dass einem das Hirn platzt. Deswegen verstehe ich auch die Reaktion der Redaktion ZackZack und die Reaktionen vieler betroffener, mindgesetteter Bürgys, die im Netz von mir verlangten, ich möge HPRP (Präsident Reifenplatzer) in Zukunft etwas mehr Härte angedeihen lassen.

Ich aber, das ist meine von Hölderlin geliehene Lieblingswendung, ich aber werde nicht härter, ich werde weicher. Mir geht es wahrscheinlich wie dem Zauberer Saruman in Tolkiens Herr der Ringe, ich habe zu lange die Werke des Bösen studiert und werde nun von ihm aufgesogen und mindresettet, ehe ich es merke. Die Angewohnheit, auf Twitter Limericks und anderes gereimtes Zeug zu allen möglichen Situationen zu verfassen ist vielleicht ein Symptom davon, ebenso die Gewohnheit, mit meinem Kater Dialoge zu führen, für die mich Platon und Sokrates dauermindgesettet hätten.

Das alles, meine Damen und Herren, hat mit seiner Mindsetterei HPRP getan.

Nun weiß ich vom Bundeskanzler Kurz, einem großen Mindsetter vor dem Herrn, dass es wurscht ist, was man sagt. Es kommt darauf an, wie man es meint. Ich kann also sagen, der Bundeskanzler ist ein Arsch, und das liebevoll meinen, meinen, er sei ein nettes Popscherl, und würde damit jederzeit bei jeder Staatsanwaltschaft der Welt durchkommen, denn Kurz ist kein Arsch und ich habe keine Sekunde gemeint, er sei einer, und je länger und öfter ich das lese, und ich habe es hundertmal gelesen, desto sicherer bin ich, dass ich das vielleicht so geschrieben, aber nimmermehr so gemeint habe. Die wollen mich nur mit ihren Schachtelsätzen einkasteln, fangen und mindsetten!

Ich komme nun zu Sobotkas Demokratieproblem. Es stimmt, er sagte auf den Vorhalt des Tiroler-Tageszeitungs-Journalisten Sablatnig, nicht alle bei der Tagung der Parlamentspräsidenten in Wien vertretenen Staaten, etwa China, Russland oder Indien entsprächen demokratischen Standards: „Mir geht diese westliche Überlegenheit etwas gegen den Strich. Wir sollten hinterfragen, ob dieser Export unseres politischen Modells unsere Aufgabe sein kann – oder doch gegenseitiger Respekt und Austausch. Wir müssen schon auch unsere Vorstellungen überdenken. Auch in der Vergangenheit waren Parlamente nicht immer demokratisch, sondern oft nur dazu da, Wünsche des Monarchen abzusegnen.“ Und: „Die Volksrepublik China etwa lehnt jede Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten strikt ab. Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass alles so sein muss wie in Europa.“

Zugleich schrieb ich aber einen Kommentar über die Wirkungen von 9/11, dachte über unser politisches Modell nach und seine, wie sagt man neuerdings, Ambiguitäten. Schlicht gesagt ist es so: die Demokratien des Westens benehmen sich nach außen keineswegs wie Demokratien, sie werden woanders als Imperialisten, Kolonisatoren und Feinde wahrgenommen, mit denen man nicht demokratisch verhandeln kann, weil sie selbst nur mit Waffengewalt herrschen.

Sollte Sobotka gemeint haben, wir müssen auch totalitären Staaten mit der Kraft des Arguments begegnen, und nicht mit Waffengewalt? Man weiß es nicht. Sein Sobotkinesisch lässt es offen und legt die autokratische Deutung von Zackzack nahe. Ich aber halte es für möglich, dass Sobotka ausnahmsweise demokratisch dachte, aber halt nicht so formulierte. In seinem Mindset der Normalzustand, und vermutlich bin ich bereits ein Opfer dieses Zustands. Wer rettet mich aus der Schwindelspirale des Sobo-Mind-Twist?


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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