Freut euch, Leute, Kurzparteitag heute!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 507

Armin Thurnher
am 28.08.2021

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Der Himmel ist großartig wechselvoll heute morgen. Erst lauerte ein schwarze Wolke drohend über der großen Schwarznuss, dann löste sie sich auf, von unten schob die Sonne einen Balken Tiepolohimmel nach oben, das Drohgrau mischte sich mit Heiterrosa und die große Linde glänzte goldgrün auf. Noch sind ihre Blätter grün.

Die Nacht war kalt, das Thermometer ging fast auf Null Grad hinunter. Später wird es regnen, aber der Vormittag wird sonnig.

Was rede ich. Poesie, Landleben, Literatur, Musik – sie alle werden zurückgedrängt von dieser politischen türkisen Umweltsünde, die aus den Schirmen und den Lautsprechern quillt, die Medien zumüllt und mit ihrer homogenen Unfarbe alles bedeckt, was einem Freude macht.

Zustandsberichte des Katers? Schnecken. Pflege des Anwesens? Zweitrangig. Reparaturen von Landmaschinen, Vorfälle mit Viren, Ersprießliches von der Mähfront, Erlebnisse beim Umgang mit elektronischen Geräten, Probleme der Partnerschaft, Ungesundes aus der Küche – alles in den Hintergrund gedrängt.

Wehmütig denke ich an all das, denn es sollte diese Kolumne füllen.

Sebastian Kurz in der Stadthalle, 2017 Foto © Christian Fischer

Aber es ist ÖVP-Parteitag. Die Kommentare in den Medien zeigen ein Kunststück politischer Prognostik: den erwarteten totalen Sieg des Kurzismus. Geboten werden psychologische Studien des Kanzlers (er ruft auch spätnachts an, wie empathisch!), Beleuchtungskunde (hat er an Glanz verloren?) und tiefergehende politischen Analysen (wieviel Schwarz ist in Türkis?).

Kritik regt sich, aber nur ein bisserl. Ich mag es, wenn sich Kritik regt, aber gleich wieder schlafen legt, wie ein Drache, der die Wahrheit bewacht, aber nicht merkt, dass sie ihm schon lange gestohlen wurde.

Ist Kurz Mitte, ist er rechts? Ist er christlich, ist er Sekte? Wird er die 97,8 Prozent erreichen? Wird ihm auf dem Parteitag ein amerikanischer Sektenprediger den Segen von oben erflehen? Werden die Delegierten in türkise T-Shirt-Uniformen gezwängt? Wird es das Kurz-Lied geben? Bläst eine Kapelle den Kurz-Marsch? Wird die Beleuchtung alle Neo-Riefenstahl Maßstäbe sprengen oder kreiert man eine neue postpandemische Licht-Sachlichkeit? Wer zahlt alles und werden wir es je erfahren?

Es werden wunderschöne Bilder, gewiss. Die Berichte werden ein orchestrierter Triumph aus einerseits und andererseits. Wer auf sich hält, wird Einwände formulieren, aber nicht umhin können, den riesigen Erfolg von alledem zu konstatieren. Herr, segne uns mit deiner Medienstrahlkraft. Herr, wir danken dir, dass du uns Reichweite bringst, auch dieser Kolumne.

Es wird zu Recht gesagt, dass Kurz ein rauerer Justizwind entgegenbläst. Er hätte gern die WKStA niedergemacht, aber ein Gericht hat sich deren Ansicht angeschlossen und Kurzens politischen Lebensabschnittspartner Heinz Christian Strache in der ersten Instanz wegen Bestechlichkeit verurteilt. Kurz’ eigenes Verfahren wegen Falschaussage steht an; auch gegen Finanzminister Blümel wird ermittelt.

Das Rezept, mit wohlinszenierter Inhumanität, manikürter Doppelmoral und gekauften Medien die niederen Instinkte der Bevölkerung aufzurühren, funktioniert zuverlässig. Der Koalitionspartner ist fest im Würgergriff, auch wenn er neuerdings hörbar japst, er könne nicht atmen – lässt Kurz ihn los, sinkt er zu Boden. Reanimation ausgeschlossen. Green lives do not matter.

Kurz wird weiterhin den Rechtsstaat angreifen, wenngleich nicht mit der Pose des siegreichen Kämpfers gegen das Unrecht, sondern mit der Drohgebärde der verfolgenden Unschuld (ein Wort von Karl Kraus).

Das Unrecht sprießt ja allerorten, gern auch in juristischer Form, sogar dieser lästige Falter hat er geschafft, dass ein Gericht ihm gegen die ÖVP Recht gab und alle nun sagen können, VP-Chef Kurz habe die Öffentlichkeit und den politischen Gegner absichtlich getäuscht und seine gloriosen Wahlsiege mit unlauteren Mitteln erschlichen. Die gefügige Öffentlichkeit juckt das mit wenigen Ausnahme nicht weiter, was zeigt, dass Kurz machen kann, was er will. Demnächst regiert er auch den ORF. Wenn man hört, wie ihm dort jetzt schon in Kommentaren der windelweiche Schleimteppich ausgrollt wird, ahnt man die Dimension des Kommenden.

Christlich-Sozial? Dass sich nicht lache. Auch Donald Trump hat die Zustimmung der christlichen Fundamentalisten. Kurz gehört zur Internationale der juvenilen politischen Egomanen, bietet Unchristliches im Firmlingsanzug, Neoliberalismus als Geschwätz und Stückwerk, ein neotrumpistischer Sprechpuppenstrahlemann, dessen sprachlichen Versatzstücken alles Menschliche fremd ist, weswegen es bei den Menschen draußen besonders gut ankommt, wenn er kräht, wir müssen verhindern, dass sich 2015 wiederholt.

Die Wirkung seiner Rede ist fatal, weil sie Mentalitäten prägt. Da nützt eventuelle humanitäre Hilfe im Hintergrund gar nichts. Statt den demokratischen Staat stärkend zu reformieren, wozu Kurz in jeder Hinsicht das Format fehlt, höhlt er ihn aus, um des eigenen Vorteils willen. Er versucht mit Klagen Medien einzuschüchtern, die er nicht kaufen kann. Er versucht, die Justiz zu delegitimieren. Er möchte die Menschrechte relativieren. Das Parlament ist ihm ein lästiges Hindernis. Die eigene Partei ist nur interessant, so lange sie als seine Servicepartie funktioniert. Alles wird persönlichem Interesse und jenem der Clique untergeordnet. Schießen sie einen da raus (Thomas Schmid) poppt gelenkig eine andere auf (Edith Hlawati). Und wird es einmal enger, streuen sie neben einem Quantum Menschenunrecht auch noch ein bisschen Kleingeld unters Volk.

Man kann sagen, Politik war immer so. In Zeiten, da Demokratie von außen und innen einigermaßen gefährdet erscheint, sind Erscheinungen wie Kurz kein Segen, sondern ein Fluch. Die Latte liegt hoch, wird sind auf einem sehr guten Weg, alle sind mit Sputnik geimpft, wir haben die besten Ministerinnen der Welt, von Aschbacher bis Köstinger, von Raab bis Schramböck, besser geht’s doch gar nicht. Also wählet ihn mit hundert Prozent, die Früchte eures Tuns werden über euch kommen, früher oder später.

Meine Frau hat Freunde eingeladen, ich mach die Jause und morgen mache ich Pause. Ich freue mich darauf.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Seuchenkolumne finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!