Terror in Kabul, Kurz-Operette in Wien

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 506

Armin Thurnher
am 27.08.2021

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Das Entsetzliche kam, und es kam nicht überraschend. Der Terror, der in Afghanistan mit Krieg besiegt werden sollte, lebt und gedeiht in Afghanistan. Das Schreckensregime der Taliban erscheint bereits wie ein zivilisierter Partner, mit dem die angegriffenen US-Kräfte Gespräche über die Sicherheit des Flughafens in Kabul führen. Joe Biden, der mit dem Abzug nur ausführt, was Trump mit diesen Taliban unter Ausschluss der afghanischen Regierung vor einem Jahr aushandelte, verfällt in biblischen Zorn und schwört Vergeltung.

Ob man Menschen, die sich selbst in die Luft sprengen, weil sie das Paradies erwartet, mit dem Versprechen des Märtyrertods wirklich schrecken und von ihrem schrecklichen Tun abhalten kann, wird sich zeigen.

Man kann Bidens Gefühle verstehen, ja mitempfinden. Trotzdem ist nicht zu übersehen, und das ist vielleicht das bedenklichste Ergebnis des Kriegs gegen den Terror, wie jene Irrationalität die Oberhand behält, die „der Westen“ mit seiner postdemokratischen Vernunft besiegen wollte. Zweitens: von globalen Problemen kann man sich nicht abschotten, wie uns das gerade unsere österreichische Regierung in ihrer Weisheit zu suggerieren versucht. Sie weiß selbstverständlich, dass sie in die Logik des internationalen Kapitals und der Europäischen Union eingebettet ist. Auch die Corona-Pandemie zeigt, wie unmöglich die Idee der Abschottung in der Weltgesellschaft ist, Home Office hin oder her. Und sie zeigt, dass unsere Art der globalen Gesellschaft die Entstehung solcher Seuchen begünstigt, weil sie Rückzugsräume der Natur verengt, Spezies zusammenbringt, die bisher nicht aufeinandertrafen und durch internationalen Handelsverkehr und Tourismus Abschottung äußerst schwierig macht. Während die Verbreitung von Impfstoff, sagen wir einmal vorsichtig, weltweit eher asymmetrisch vor sich geht.

Ich sage das alles nicht, um das Entsetzen über den Terroranschlag in irgendeiner Weise abzuschwächen. Er war nicht bestialisch (welches Tier käme auf solche Ideen). Es ist der Mensch in seiner grausigsten Gestalt, der sich ausdenkt, Menschen in einer Situation äußerster Not, Angst und Bedrängnis wahllos umzubringen.

Eine Bluttat wie diese ruft die üblichen Phrasen hervor, ändert aber wenig, weder hier noch dort. Ich bin nur ziemlich sicher, dass die Produktion von Phrasen nicht nur nichts ändert, auch wenn einzelne auf ihren kurzfristigen politischen Profit schielen, sondern die Sache nur verschlimmert. Dieser Profit ist kein rein ideologischer, er setzt sich in handfesten Profit um, sprich, in die Kontrolle des Machtapparats und dessen Partner, die Wirtschaft. Wie gerade im österreichischen Minimundus zu sehen an der Bestellung der neuen ÖBAG-Chefin, bekannt aus türkisen Chats als gern für ihre Dienste gelobte Geburtshelfern von Thomas Schmids ÖBAG. Aber lassen wir das.

Nein, ich kann es nicht lassen. Am Tag vor dem Kabuler Terroranschlag traf sich Bundeskanzler Kurz in Wien mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow.

Eine Operettenszene, wie sie im Libretto steht. Der hiesige Heldentenor trifft auf den Abgesandten des Zarewitsch, sie fassten einander an den Ärmeln, wie man im Fernsehen sehen konnte, sie führten einander vor, wie man einander vorführt, sie gingen, wie sie halt gehen, sehr trainiert der Tenor, in seinem an Waldheim geschulten Gang, sehr machtvoll-massiv Herr „Russland ist mehr als eine Regionalmacht“ Lawrow. Hans Rauscher wies kürzlich hin, wie sehr die aktuellen afghanischen Praktiken der Österreicher jenen Kurt Waldheims ähneln, der als Außenminister in Prag 1968 glänzte, als er die österreichische Botschaft schließen ließ und keine verzweifelten Schutzsuchenden aufnahm*. Oberflächlich, wie ich bin, habe ich schon viel früher die Ähnlichkeit erkannt, allerdings eher in der hohlkreuzsteifen Haltung und der Art, sich zum Rednerpult zu bewegen und dort hölzern zu stehen. Aber gewiss ist das alles ungerecht, und es ist nur, was man an diplomatischen Akademien lernt, sich zu bewegen, und die Türen von Botschaften fest zu schließen.

Kurz war ja einmal Außenminister, und er teilte Lawrow sofort die zentrale Doktrin der österreichischen Außenpolitik mit. Nein, als Diplomat verschwieg er diese Doktrin, die lautet nämlich: unter allen Umständen ist bei unseren politischen Maßnahmen nicht das staatliche Interesse Österreichs zu betrachten, sondern die Eignung jeder Maßnahme für die Wiederwahl des Sebastian Kurz.

Das sagte Kurz naturgemäß nicht zu Lawrow, sondern er sagte: „Sergej, wissen S’ eh.“ Sergej, ebenfalls ein Freund der gepflegten Doppelzunge und von seinem Zarewitsch in ähnlicher Mission beschäftigt wie Schall- und Rauchenberg von Kurz, wusste eh.

Was aber geschah wirklich zwischen den beiden? Ein Sprecher des Bundeskanzleramts „erzählte es der APA“. Ja, sie sind große Erzähler im Bundeskanzleramt, nur die Haupterzählung erzählen sie uns nicht: Kurz muss bleiben, koste es was es wolle! Stattdessen erzählte der Sprecher folgendes: „Es sei die Situation in Afghanistan insbesondere auch in Hinblick auf eine mögliche Migrationswelle besprochen worden, erzählte ein Sprecher des Bundeskanzleramts der APA. ,Der Kanzler hat bekräftigt, dass sich (die Flüchtlingskrise von, Anm.) 2015 nicht wiederholen dürfe‘, sagte er.“

Wer hätte das gedacht! Menschen in Tod und Verzweiflung. Die Taliban gehen in Kabul herum, klopfen an die Türen und suchen Kollaborateure und ihnen kritisch Gesinnte. Frauen, die für ihre Rechte kämpften, rechnen mit dem Tod, gern auch durch Steinigung. Wir aber, nein, nicht wir, die Kurz-Volkspartei-Propagandisten beharren darauf, dass sich 2015 nicht wiederholen darf. Die Hindukusch-Route schließen. Dafür die Kusch-Route in den Medien offenhalten.

(Pause.)

In der Bredouille zwischen Biden mit seinem biblischem Zorn, Lawrow mit seiner autoritären Verschlagenheit und Kurz mit seiner katholischen Verlogenheit kann ich nur ohnmächtig feststellen: Der Welt geht es nicht gut, das Wasser steigt rundum. Von Leuten wie diesen dreien denkt niemand daran, wie er die Ursachen der Flut bekämpfen könnte. Stets haben alle nur im Sinn, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Umso größer ist meine Hochachtung vor denen, die sich nicht hinter Phrasen und Lügen einbunkern, sondern helfen, so gut sie können. Und mein Mitgefühl mit jenen, die nicht mehr aus ihren Höllen entkommen, wo immer sie sind.

 

  • irrtümlich hieß es hier zuerst, Waldheim sei damals Botschafter in Prag gewesen, Botschafter war Rudolf Kirchschläger, ebenfalls später Bundespräsident. Er ignorierte Waldheims Anweisung und stellte tausende Ausreisevisa aus.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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