„A bisserl a Menschenrecht. Aber nicht für Afghanen!“ Kurz ist wieder da.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 502

Armin Thurnher
am 23.08.2021

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„Es darf von uns nicht hingenommen werden, dass die in den letzten 20 Jahren in Afghanistan erzielten Fortschritte bei Menschen- und Frauenrechten wieder gänzlich zunichte gemacht werden. Wenn wir als EU mit den Taliban das Gespräch suchen, dann vor allem darüber!“

„Klar dagegen, dass wir freiwillig … “ Kurz auf puls24 tv, gepostet von ihm selbst. Foto: @screenshot puls24tv

Also sprach Sebastian Kurz, als er sich auf Twitter nach einer endlos lange scheinenden zwölftägigen Schwangerschaftsbekanntgabekarenzpause zurückmeldete. Dieses Wort schlage ich der Kommission zur Erkiesung des Unwort des Jahres übrigens gerne vor, aber die Kommission besteht offenbar aus lauter schlafmützigen, tauben Nüssen und hat noch nie ein von mir kreiertes Wort zur Kenntnis genommen. Ihr Problem.

Schwangerschaftsbekanntgabekarenzpause scheint mir jedenfalls ein recht gelungenes Wörtchen, das ich hiermit – um der Kommission der Mützen auf die Entscheidungssprünge zu helfen – auf Schwangerschaftsverkündigungskarenzpause nachbessere. Es scheint mir darüber hinaus geeignet, um mich damit gegen eine oben zitierte Twitterattacke unseres Bundeskanzlers zu wehren, dessen Beratern offenbar schmerzhaft zu Bewusstsein kam, dass sie einander in eine Zwickmühle getrieben haben.

Kurz ließ via Message Control Parolen à la „2015 darf sich nicht wiederholen“ und „Wir schieben weiter fröhlich ab, dass die Schwarten krachen“ seinen Paladinen Nehammer und Schall- und Rauchenberg in den Mund legen. Diese wiederholten das Zeug ad nauseam, auch noch als das Schicksal der in die Hände der Taliban gefallenen Afghaninnen und Afghanen bereits das Herz der halben Welt brach. Damit hatte der urlaubende, pressewirksam Handi-aufs-Bauchi-legende, sich auf die „Aufgabe der Vaterschaft“ freuende Bundeskanzler den Bogen der Zustimmung deutlich überspannt.

Unmenschlichkeit ist wählerwirksam, aber man muss nicht gleich vor laufender Kamera gegrillte Babies fressen.

Sicher hat Kurz alarmierende Umfragen, die ihm bestätigen, dass selbst das durch die Jahre seines öffentlichen Wirkens bis zur Gleichgültigkeit abgestumpfte österreichische Volk eine gewisse Empathie mit den in die Hände der Taliban gefallenen Verzweifelten empfindet. Es ist ihm zu wünschen, dass er die Aufgabe seiner Vaterwerdung, welche bekanntlich nicht schwer ist, dennoch nicht aufgibt und es auch unternimmt, ein guter Vater zu sein. Wenn alle Männer unternehmen würden, gute Väter zu werden (auf kurzisch: sich der Aufgabe der Vaterschaft zu stellen), hätten wir keine Arbeiter mehr, sondern nur noch Unternehmer, und die FPÖ wäre nach der Sozialdemokratie ebenfalls weg vom Fenster der Arbeiterschaft, denn es gäbe endgültig nur mehr Unternehmerparteien.

Wir aber bleiben Kurz-Unternehmer. Wir unternehmen es, uns proaktiv der Aufgabe der deutschen Sprache zuzuwenden, welche vom Message-Salon des Kanzlers konsequent und doppelbödig vorangetrieben wird. Die Kurzisten sprechen in scheinbar klaren Slogans, aber was sie sagen, ist total verrückt und soll uns auch noch jenen bescheidenen Rest von Verstand nehmen, der uns von diesen ständigen heißen Messageschwällen Übergossenen noch geblieben ist.

Das darf von uns nicht hingenommen werden, deshalb nehmen wir uns noch einmal den eingangs angeführten Tweet des Kanzler-Messagesalons vor:

„Es darf von uns nicht hingenommen werden, dass die in den letzten 20 Jahren in Afghanistan erzielten Fortschritte bei Menschen- und Frauenrechten wieder gänzlich zunichte gemacht werden. Wenn wir als EU mit den Taliban das Gespräch suchen, dann vor allem darüber!“

Wenn Sebastian Kurz „Wir als EU“ sagt, bleibt einem schon das Hirn stehen, das dann mühelos in wirbelnde Drehung versetzt werden kann. Wir als EU, wer soll das denn sein? Das menschenrechtsrelativierende Kleeblatt Kurz, Orbán, Janša, Kaczyński? Oder die bulgarisch-kroatische-wienerische Impfstoffachse? Oder Kurz solo als Hindukuschroutenschließer?

Kurz als Menschenrechtssprecher der EU, wäre es nicht so lächerlich, man müsste es obszön nennen. Seine Rolle in der EU spielt Kurz erstens für die nationale Galerie, zweitens für Googles Eric Schmidt (man muss ja an die postpolitische Karriere denken) und drittens für die Publikationen der Springer-Presse, für die er etwa die gleichen Dienste leistet wie Jörg Haider für die Kronen Zeitung vor 2000. Stefan Niggemeier, der Gründer des medienkritischen Onlinemediums Übermedien (könnte man übrigens abonnieren) beschreibt Kurz als einen der wenigen Verbündeten der Bild-Zeitung aus der aktiven Politik. Er sei „für ,Bild‘ eine Art Heiligenfigur, die man aber leider in Deutschland nicht wählen kann.“

Das Kleeblatt der Scheinheiligen als Verhandlungsdelegation zu den Taliban zu schicken, ist zumindest ein frommer Wunsch. Es wochenlang in ein Hotel in Doha oder Dubai einzusperren, um weitere Fortschritte in den „Menschen- und Frauenrechten“ zu erzielen, ein solches Unternehmen würde die Menschheit gewiss voranbringen, würde man die Kommunikationskanäle nach außen kappen. Vor allem aber stellt man sich gerne vor, wie Kurz den Taliban den Unterschied zwischen Menschen und Frauen erklären würde, was sicher zu lebhaften Debatten über Scharia und Immanuel Kant Anlass gäbe, bei denen Kurz mit seinem in Proseminar I erworbenen Wissen über die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten glänzen könnte.

Ja, die Menschenrechte wären schon was, wenn nicht die Frauen wären! Die Fortschritte dabei lassen wir uns gern zunichte machen, aber nicht ganz. Nein, nicht gänzlich. Die gänzliche Zunichtemachung darf von uns nicht hingenommen werden, die wir uns unerschrocken der Aufgabe der scheibchenweisen Zunichtemachung der Menschenrechte stellen.

Ich suchte einst mit Kurz das Gespräch, aber nachdem er mir und allen anderen vom Falter dieses Gespräch verweigert, habe ich diese Unternehmung gänzlich aufgegeben. Es ist mir aber kein großer Verlust entstanden, denn schöner als in seinen ziselierten Medienbotschaften würde er sich auch mir gegenüber nicht aussprechen wollen und können.

Ich muss Schluss machen, schon kommt er im Fernsehen. Der von ihm installierte neue ORF-Generaldirektor braucht es es ihm gar nicht erst zu Füßen legen. Dessen Installation darf von uns nicht hingenommen werden, aber uns fragt man ja nicht.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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