Taliban überall. Mit dem Streetfighing Man den immerwährenden afghanischen Krieg lesen.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 501

Armin Thurnher
am 21.08.2021

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Man liest, sieht und hört viel Zeug aus zweiter Hand dieser Tage über Afghanistan, schreibt selber dritthändig dahin, macht sich Gedanken. Schon sind wir alle Afghanologen, bis das nächste Borstentier auf der Dorfstraße erscheint. Naturgemäß sieht man sich die US-Quellen an, die Berichte an den Kongress, die offiziösen Journale. Je mainstreamiger die amerikanischenn Medien werden, desto vorhersehbarer werden sie, aus Regierungsquellen gespeist und getragen vom amerikanischen Geist, die Größten zu sein. Manufacturing Consent wie eh und je.

Auch wir sind von diesem betriebsamen Geist in einem Ausmaß getragen, das wir uns ab und zu ruhig klarmachen können. Ich sage das ganz entspannt, denn ich fühle mich fernab von jedem Antiamerikanismus; wir selbst sind ja Produkte einer erfolgreichen Intervention, bei uns, naja, bei den Deutschen, also genauer gesagt bei den Westdeutschen hat das Nation-Building geklappt, und wir, beziehungsweise sie können froh darüber sein. Es kann auch nicht schaden, sich vor Augen zu führen, dass die durch die Taliban vorgeführte archaische Bedrohung moderner demokratischer Errungenschaften wie der Menschenrechte, übrigens ebenfalls eine amerikanische Nachkriegs-Initiative (ohne Lateinamerika und ohne Eleanor Roosevelt gäbe es sie nicht) auch im Inneren von Gesellschaften immer noch in Wartestellung liegt. Unsere inneren Taliban tragen derzeit keine Gewehre.

Kurz und gut, es ist ratsam, sich seine Gewährsleute gut auszusuchen, will man nicht auf Embedded Journalism hereinfallen. Auf den englischen Journalisten Patrick Cockburn (sprich Koh-börn) ist diesbezüglich immer Verlass, das sah man schon bei den Irak- und Syrienkriegen. Sein Buch „The Age of Jihad: Islamic State and the Great War for the Middle East“ (2016) gehört zum Besten, was über den Mittleren Osten erschienen ist. Im Fall Afghanistan ist er zuverlässig wie immer. Cockburn schreibt für den Independent und die London Review of Books, auch in der linken Plattform Counterpunch findet man regelmäßig seine Texte.

Eine Galionsfigur linker Publizistik ist Tariq Ai. Dieser spektakuläre englisch-pakistanische Linke, geboren 1943 in Indien vor dessen Unbhängigkeit, in Lahore, dem heutigen Pakistan vor der indisch-pakistanischen Teilung, wurde er von seinen Eltern nach Oxford geschickt, weil er zu Hause von Attentätern bedroht war (sein Vater, ein Journalist, sympathisierte mit den Kommunisten und beteiligte sich an Bauernaufständen).

Ali kennt die muslimische Kultur also von Geburt, ist aber längst zum Atheisten geworden. Jeder kennt Ali, ohne ihn zu kennen, denn er ist eine Figur der Pop-Kultur, bekannt mit Lennon und Yoko Ono wie auch mit Malcolm X und Stokely Carmichael, den Galionsgfiguren der schwarzen Rebellion in den USA. Die Rolling Stones porträtierten ihn in einem Song als den „Street Fighting Man“, denn in den 60ern fehlte Ali bei keiner Demo in vorderster Front.

Medienpopulär und frech wie er war, beantwortet er die Frage einer Interviewerin, was er heute morgen als erstes gemacht habe, wahrheitsgemäß mit „onaniert“. Christopher Hitchens, selbst eine Ikone angelsächsischen Witzes und englischen Kosmopolitismus, sagt über Ali, er habe „nie jene Leidenschaft und Kraft verloren, die ihn zu einem Symbol des Geistes von ’68 machte“. Heute erschienen seine Artikel in jenem Journal, das am ehesten und auf bestem Niveau fortschreibt, was an linker Substanz geblieben ist, der Zeitschrift New Left Review, mit dessen Herausgeberin Susan Watkins Ali verheiratet ist.

Tariq Ai, Cordoba 2011 Foto © Wikpedia

In Sidecar, dem stets lesenswerten Newsletter des NLR, publizierte Ali nun einen faktenreichen und schonungslosen Artikel über Afghanistan, der auch auf jenen Text verweist, den Ali 2008 über die afghanische Tragödie schrieb, und der fast alles enthielt, was man wissen musste. Schon damals ließ Ali keinen Zweifel an der hoffnungslosen Mission des Westens, Nation Building mit einer korrupten Bande von Kollaborateuren zu unternehmen, die nur darauf aus war, die eigenen Taschen zu füllen. Und wer gelesen hat, die 80 Milliarden militärische Ausrüstung wären in den Händen der Taliban ohnehin wertlos, da diese flintenbewaffneten Bärtigen nicht damit umgehen können, wird mit Interesse zur Kenntnis nehmen, dass die afghanische Armee von Taliban-Kollaborateuren auch mit dem Ziel infiltriert wurde, genau an solchem Gerät ausgebildet zu werden.

Die Tatsache, die mich am tiefsten erschütterte, war eine eher nebenbei gemachte Mitteilung in Alis Text von 2008. Wer noch vor Augen hat, wie die Taliban sinnlos zwei riesige Buddha-Stauen zerstörten, kulturelles Welterbe, wird bei Ali erstaunt lesen, dass sie Vorbilder hatten:

„Ein Grund unter vielen für das historischen Ressentiment der Pashtunen (dem Stamm der Taliban, Anm.) war die Abfackelung des berühmten Basars in Kabul, eines Triumphs der Mogularchitektur. Ali Mardan Khan, ein renommierter Gouverneur, Architekt und Ingenieur, hatte den chahr-chatta (vierseitigen) überdachten und mit Arkaden versehenen Zentralmarkt im 17. Jahrhundert nach dem Vorbild alter euro-arabischer Basare in Kairo, Baghdad, Damaskus, Palermo oder Cordoba erbaut. Es galt als einzigartig in der Region; in Lahore oder Delhi wurde nichts von vergleichbarer Größenordnung gebaut. Der Basar wurde 1842 von General Pollocks Vergeltungsarmee absichtlich zerstört. Pollock gilt als einer der schlimmsten Mörder, Räuber und Plünderer, die je in Afghanistan ankamen, ein Wettbewerb, bei dem die Konkurrenz stark bleibt. In einer Reihe von Städten besiegt und gezwungen, Kabul zu evakuieren, bestraften die Briten dessen Bürger, indem sie den Markt von der Landkarte entfernten. Was von Kabul übrig bleibt, wenn sich die derzeitigen Besatzer endgültig zurückziehen, bleibt abzuwarten, aber die sich ausbreitende Masse an zutiefst verarmten Hausbesetzersiedlungen deutet darauf hin, dass Kabul eine der wichtigsten neuen Hauptstädte des „Planeten der Slums“ werden wird.“

So ist das mit den „guten Kriegen“. Selbst die sardonische Prosa eines Tariq Ali und die elegante und trotzdem humane Distanz eines Patrick Cockburn machen sie nicht erträglicher. Aber man meint zumindest, besser zu verstehen, was dabei vorgeht, wenn man diese Autoren liest.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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