Digitalisiere dich! Über das Monster, das dabei dabei herauskommt
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 492
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Erkenne dich selbst, sagte ein rätselhafter Orakelspruch der Antike. Digitalisiere dich, fordert das Orakel der Gegenwart. Wie bringt man beides zusammen?
Wenn ich mein Gehirn vom ORF putzen möchte, denke ich manchmal über meine Existenz auf Twitter nach. Ich treibe den Teufel sozusagen mit Beelzebub aus. Ehe ich Twitter beitrat, wurde ich beschimpft und verhöhnt, weil ich als hoffnungslos unzeitgemäßes Wesen hinter den Anforderungen unseres digitalen Zeitalters her hinkte und dieses Hinken auch noch zu verteidigen versuchte.
Als ich beitrat, wurde es nur schlimmer. Ich verrate ihnen ein Geheimnis: ich habe mich nicht gebessert. Nur meine Kritiker von damals, die mich als „Abt der Holzklasse“ titulierten und mir ähnlich stumpfsinnige Attribute verpassten, die sind ein wenig kleinlaut geworden.
Ich bin so froh, zitiere Cicero (übersetzt von Rudolf Borchartdt, aus „Lob des Greisenalters“). Warum bin ich froh? Weil es einmal nicht um Medien und Politik geht. Oder doch?
Inzwischen dürfte ihnen gedämmert haben, dass ich mit meiner Kritik an der digitalen Sphäre nicht die technische Seite meinte, sondern die mentale, die verkrüppelnden Aspekte des Überwachungskapitalismus, sowie eine fundamentale Kritik an diesem Überwachungskapitalismus selbst.
In jeder Rede, die ich über die Kommunikationskrise führe, die unsere postdemokratischen Gesellschaften unterminiert und mit deren Hilfe man undemokratische Gesellschaften niederhält, erwähne ich, dass Öffentlichkeit nicht nur eine edel strahlende Arena der Tugenden ist, sondern seit jeher genauso ein trübes Becken voller Haie und unguter Existenzen war. Von Anfang an wurde öffentlich mehrheitlich nicht die Wahrheit gesagt, sondern gelogen, verleumdet, denunziert, desinformiert und messagekontrolliert.
Die anthropolgische Konstante lautet eben, der Mensch is a Sau, und warum sollte er sich ausgerechnet in der Öffentlichkeit zum Lamperl wandeln? Es gibt zwar Gründe, die man für eine solche Wandlung anführen könnte. Die Vielen würden einander auf die Finger sehen und darauf achten, dass die Einzelnen nicht zu groß und zu mächtig würden und allzu willkürlich agieren. Auch könnte man öffentlich über Regeln des Zusammenlebens streiten, Gericht übereinander abhalten und festlegen, welche Version des gerade Geschehenen man als Geschichte betrachten möchte.
Ich wollte von Twitter reden, von diesem Experiment, auf das ich mich eingelassen habe. Wohin wird es führen? Tiktok wird mir auf Sicht nicht erspart bleiben, da kann ich noch so verbissen Bach üben. Ins Wasser von Instagram habe ich auch schon eine Zehe getaucht, und seit ich mich auf Facebook angemeldet habe, um dort mitlesen zu können, was mein beklagenswerter Fußballverein treibt, decken sie mich mit Freundschaftsanfragen ein.
Ich, Timon von Athen, habe sie bis jetzt hohnlachend von mir gewiesen und nicht beantwortet. Aber ich werde nicht durchhalten, ich bin ja kein Shakespeare, und allen 2,5 Milliarden Facebook-Usern ist es wurscht, dass Mark Zuckerberg sie für Trottel hält.
Aber Twitter gefällt mir, wenngleich es meine Seele frisst. Ich hatte von Anfang an zahlreiche Berater, die mir sagten, wie ich mich dort zu verhalten hätte. Sie logen wie die Generaldirektoren, was sich an Sätzen zeigte wie: „Nur alte Männer machen Drükos. Mach das bitte nicht!“
Drükos, Sie wissen es, sind Drüberkommentare, das heißt man retweetet eine Sache, auf die man hinweisen möchte, und versieht sie mit einem Kommentar, der darüber steht. Also räumlich oberhalb von ihr, und mitunter sich auch über sie erhebend. Der Witz ist, dass bei Drükos die folgenden Reaktionen dem eigenen Account zugerechnet werden, man saugt also Aufmerksamkeit von dem ab, den man zitiert, ober man benützt die Idee eines anderen, um Aufmerksamkeit für sich zu bekommen, indem man scheinbar nur auf jene Idee aufmerksam macht. Ganz schön tückisch.
Wahrend der Druko, die bloße Antwort, aufmerksamkeitsmäßig jenem Account zugutekommt, dem man antwortet.
Mein großzügiger Twitter-Berater erfreut mich, seit er mir diesen kostbaren Rat gab, übrigens ausschließlich mit Drükos meiner Tweets. Er muss mit seiner Aufmerksamkeit haushälterisch umgehen. Wo kommen wir denn hin, wenn wir unserem Publikum wahllos irgendwelche Accounts zumuten, die wir dann nicht mehr muten können und die womöglich Dinge tun, die wir nicht mehr kontrollieren können und die uns nicht passen.
Digitale Medien fressen unsere Seele, merkte ich bald, und scheißen sie als aufmerksamkeitsgieriges Monster wieder aus, das dem Diktat von Algorithmen folgt, die es nicht einmal kennt. Hauptsache, man fühlt sich dabei stärker. Der digitale Darwinismus verspricht einem Macht. Man übersieht nur allzu gern, dass diese nur geliehen ist, und zugleich mit den eigenen Daten teuer bezahlt wird. Donald Trump kann Ihnen erzählen, wie es ist, wenn einem diese geliehene Macht ruckzuck entzogen wird. Man verhält sich also lieber nicht anders als es das Medium von einem erwartet.
Mein Twitterberater sagte mir übrigens auch, nur alte Männer würden sich über ihre Erfahrung mit Twitter äußern. Er meinte vielleicht Texte wie diesen hier, denn er selbst äußert sich andauernd über seine Erfahrungen mit Twitter, allerdings auf Twitter.
Es ist nicht leicht, im Inferno der digitalisierten Seelen zu braten, und ich maße mir nicht an, hier den Dante oder den Vergil zu spielen, abgesehen davon, dass eh keiner mehr weiß, wer das ist. Oder dass einen empörte Dante-Experten schroff zurechtweisen, weil es ja nicht nur Vergil als Führer gibt.
Im Übrigen habe ich noch etwas auf Twitter gelernt: die digitale Freiheit ist nicht nur durch die Medieninhaber stark eingeschränkt, sondern durch die Mittwitternden. Blitzartig lernt man in dieser Volkszensur (Vorstufe zum Volksgericht), was man zu tun und zu lassen hat, wofür man zuständig ist, und was das p.t. Publikum mit Aufmerksamkeit belohnt. Bei Identitätspolitik heißt es naturgemäß Maul halten, Hände falten. Sogar die ÖVP-Frauen erwachten eines Tages aus dem Dämmerschlaf, als sie glaubten, mich der Frauenfeindlichkeit überführen zu können. Dem schlossen sich im anschwellenden Mänadengesang alle anderen progressiven Fraktionen entschlossen an. Da wusste ich, dass Widerspruch sinnlos ist, aber davon ein andermal mehr.
So vehement wie auf Twitter wird einem nirgends sonst die Schere in den Kopf gepflanzt, und das unter der Vorspiegelung totaler Redefreiheit. Aber natürlich gibt es dort auch sehr freundliche, kluge und witzige Personae, deren Kritik einen bessert, deren Zustimmung einen erfreut und deren Hinweise einen weiterbringen. War es Winston Churchill, der sagte, if you can’t stand the heat, get out of the Kitchen? Ich aber antwortete ihm: Auch wer sich freiwillig verblendet, sieht nicht besser als die anderen Blinden.
Distance, hands, masks, be considerate!
Ihr Armin Thurnher