»Wahnsinnig tolle Medienunternehmen«. Wie man in Österreich über Medien diskutiert.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 489

Armin Thurnher
am 07.08.2021

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Heute darf ich mich kurz fassen.

Gestern Abend diskutierten auf Puls24 vier Kandidaten und eine Kandidatin, die sich um das Amt des ORF-Generaldirektors bewarben.

Diese Debatte wurde zum vorhersehbaren Debakel.

Es fehlte keine Ebene von Vorhersehbarkeit.

Es wurde um den Brei herumgeredet, bis nur noch Brei da war. Ich weiß nicht, wer Roland Weißmann ist. Roland Weißmann weiß nicht, wer Gerald Fleischmann ist (zur Erinnerung: das ist der Medienbeauftragte des Bundeskanzlers, der Weißmann nächsten Mittwoch mit eiserner Hand als neuen ORF-Chef von Sebastian Kurz’ Gnaden durch den Stiftungsrat pressen soll). Alexander Wrabetz weiß alles über alle, sagt aber nichts. Markus Breitenecker weiß nichts, sagt aber alles.

Foto: Puls 24/Glanzl

Bloß die Geschäftsanbahnung der Privatsender mit dem ORF wurde geradezu unverschämt geradlinig betrieben. Private Sender dienen der Geschäftsanbahnung, das konnte niemanden überraschen.

Der Gastgeber, ProSieben/Sat1/Puls4-Chef Markus Breitenecker, nützte die Chance, die er mit seiner Idee für sich eröffnet hatte, und betrieb ungenierten Lobbyismus. Breitenecker will mehr öffentliches Geld für seine privaten Sender. Dafür brauchte er diese Debatte, in der er die ORF-Granden als Schwätzer vorführte, die eigentliche Moderatorin an die Wand drückte, auch noch den Klingelbeutel Richtung Kanzleramt ausstreckte und anschließend in der Analyserunde strahlend das Lob der mit ihm Analysierenden entgegennahm, sein eigenes Tun gleichsam kritisch lobte und noch einmal für die Umverteilung der GIS-Gebühr lobbyierte. Ein Multitalent.

Aber das kann man ihm nicht vorwerfen, er tut als sorgfältiger Kaufmann, was er für sein Unternehmen tun kann, das ist nicht wenig. Kanzlergefälliger Lobbyismus für Roland Weißmann gehört dazu. Wäre ich dieser Kandidat, ich zeigte mich so lange nicht in der Öffentlichkeit, bis ich installiert wäre. Verhindern kann mich offenbar eh keiner. Ich würde meinen, ich wäre keine Werbung für mich. Aber was weiß ich schon, ich bin ja nicht Weißmann.

Darf das wahr sein? Fünf Menschen, die sich um das mächtigste Medienamt im Land bewerben, deklarieren sich nicht im eigenen Sender, sondern bei einem privaten Konkurrenten. Ist eh alles das Gleiche, oder?

Darf das wahr sein? Sie definieren dabei weder privat noch öffentlich-rechtlich.

Darf das wahr sein? Sie pushen ein Kooperationskonzept, das in jeder seriösen Debatte von der Platte gefegt würde (und bei der letzten öffentlichen, von Gernot Blümel veranstalteten Medienenquete auch weggefegt wurde), ein Kooperationskonzept, das nur den Sinn hat, Private zu stärken und Öffentlich-Rechtliche zu schwächen.

Darf das wahr sein: Schon wieder entwenden sie uns im hellen Tageslicht etwas, das uns gehört, den ORF. Nur, um die Macht des Mediendompteurs am Ballhausplatz zu zementieren.

Darf das wahr sein? Statt das auch nur ansatzweise zu thematisieren, schwenken die Diskutanten gut gelaunt runde, mit Ja und Nein beschriftete Signaltäfelchen in die Kamera, als wäre das alles ein lustiges Kinderspiel. Fahrdienstleiter der Banalität.

Der ORF hat es nie geschafft, eine Debatte oder eine Berichterstattung über das Medienthema zu etablieren, die solche Sendungen nicht nur beschämt, sondern überflüssig gemacht hätte. Er hat sich nicht einmal ansatzweise dafür interessiert, seine Rolle in der Mediengesellschaft zu erklären und zu legitimieren. Es ist eine Affenschande. Manchmal hat man das Gefühl, die Zivilisation gleitet einem durch die Finger wie der Sand, den sie einem dabei noch in die Augen streuen.

Ich glaube, Roland Weißmann ist ein geeigneter Kandidat für diese Zustände. Er kann uns nicht in die Augen schauen, kennt Gerald Fleischmann nicht und ist der Meinung, „wir müssen auf Instagram und Youtube.“ Davon hätte ich gern Zeitlupenwiederholungen mit Kommentar von Oliver Polzer und grafischen Taktik-Expertenanalysen von Helge Payer. Nichts gegen Helge Payer übrigens.

Breitenecker wiederum kritisiert Weißmanns Kooperationsidee, aber nicht an Weißmann, sondern an Wrabetz. Er selbst ist gegen die Techkonzerne, aber aus betriebswirtschaftlichen Gründen, und als Vertreter eines transnationalen Konzerns preist er die nationale Kooperation des Öffentlich-Rechtlichen mit öffentlich finanzierten Privaten als Gegenkonzept.

Skylla und Charibdis, welche Lercherln, verglichen mit solchen Alternativen! Adorno sprach vom Stahlbad des Fun. Wir sehen zu, wie sich demokratische Restbestände im Schleimbad der Interessen auflösen.

Auch Alexander Wrabetz ist dafür, die Tech-Giganten zu entdämonisieren. Überwachungskapitalismus? Destabilisierung der demokratischen Öffentlichkeit? Trumpismus? Lächerlich. „Das sind einfach ganz tolle erfolgreiche Unternehmen mit ganz tollen erfolgreichen Produkten, die kommen ja nicht mit der Airforce“ (Wrabetz).

Ich möchte jetzt eine mediale Führungskraft mit einem Fahrdienstleitertäfelchen erschlagen.

Ich schäme mich für meinen Wunsch.

Ich möchte „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“ zum Fenster hinaus brüllen.

Im denke: im Fall von vier oder fünf geringeren Übeln wähle man das größte.

Ich muss an die frische Luft.

P.S. Am Ende der „Analyserunde“ gab es einen schönen, knappen Nachruf von Markus Breitenecker– kurz versagte ihm die Stimme – auf den gerade verstorbenen Ernst Swoboda, Justitiar der Mediaprint, Chef von Krone Hit und des Privatradioverbands. Als Mediaprint-Justitiar führte er jene Klage, die den Falter in den 1990er Jahre umbringen hätte sollen. Friede seiner Asche.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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