Gerd Bacher hätte Sebastian Kurz als Verräter betrachtet. Erinnerungen an die Anstalt, 3

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 486

Armin Thurnher
am 04.08.2021

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In einer kurzen ORF-Seuchenserie bis zur Wahl des Generaldirektors am 10. August betrachte ich meine nun mehr als 50 Jahre währende ORF-Geschichte. Ehe ich zu Erfahrungen mit anderen Generalintendanten und Generaldirektorinnen komme, gedenke ich noch einmal der alles beherrschenden Figur Gerd Bachers, der fünfmal zum ORF-Generalintendanten gewählt wurde.

Es begann mit Zensur, und es endete in einer paradoxen Zusammenarbeit: Wir trafen uns bei der Bewegung SOS-ORF, die nicht weniger im Sinn hatte als ein neues ORF-Volksbegehren.

Bacher war alt geworden, aber kampfeslustig geblieben. Am ORF lag ihm alles, zu Treffen brachte er alte Schlachtrösser mit, seinen Justitiar und seinen Hauptabteilungsleiter Öffentlichkeitsarbeit, den nachmaligen ÖVP-Bundesgeschäftsführer Kurt Bergmann, Gott hab ihn selig.

Als es mir endlich gelungen war, die Unterstützung großer Organisationen der Zivilgesellschaft zur aktiven Unterstützung des geplanten Volksbegehrens zu bewegen, die sich bei anderen solchen Versuchen stets geweigert hatten, weil sie nicht andere Medien vergrämen wollten, sagte Bergmann nur naserümpfend: „Die brauchma ned“.

Wir hätten sie wie einen Bissen Brot gebraucht. Da wusste ich, aus dem Volksbegehren wird wieder nichts. Es wurde auch fast nichts daraus, außer einer parlamentarische Enquete und der Rettung des RSO. Immerhin.

Zwischendurch traf ich mich mit Bacher einmal vor Gericht. Ich hatte das berühmte, ihm zugeschriebene Zitat „Die Österreicher sind der Dünnschiss Europas“ in einem Artikel über Österreich für ein deutsches Merian-Heft über Wien gebracht. Wenige Wochen zuvor war das Zitat auch im Spiegel erschienen, aber Bacher klagte Merian und mich, nicht das große deutsche Nachrichtenmagazin. Vor Gericht befragt, warum, antwortete er, ich sei eben journalistisch seriöser.

Den skandalös geführten Prozess wegen übler Nachrede verlor ich, das Gericht ignorierte die Aussage eines mir völlig unbekannten Zeugen, der überzeugend berichtete, das Zitat mit eigenen Ohren gehört zu haben. Ein Dutzend Menschen versicherten mir telefonisch das Gleiche, aber leider könnten sie nicht aussagen, da Bacher noch immer sehr mächtig sei und sie ihn fürchteten. So war und ist das halt in diesem schönen Land.

Ehe ich mich verplaudere, setze ich einfach einen Text hierher, den ich für das Profil schrieb, als Hubertus Czernin dort Herausgeber war. Er erschien in der Reihe „100 wichtigste Österreicher des 20. Jahrhunderts“, von Ingeborg Bachmann bis Adolf Hitler, in Ausgabe 4 vom 25.1.1999 unter dem Titel „Boulevard Abendland.“

»Der Abfahrtsläufer Karl Schranz wird 1972, als Favorit für Olympiagold, wegen angeblichen Verstoßes gegen den Amateurparagraphen vom Präsidenten des Olympischen Komitees, Avery Brundage, aus Sapporo nach Österreich zurückgeschickt.

ORF-Chef Bacher nützt die Gelegenheit, erstmals in Österreich die Macht des Fernsehens (und somit seine eigene) zu demonstrieren. Er schürt den Volkszorn und treibt die Massen – ausgerechnet – auf Ring und Heldenplatz. Ein leicht verdutzter Kanzler Kreisky muss Schranz empfangen und ihn zumindest auf einen Balkon am Ballhausplatz der Menge hinausschieben.

Kreisky fasste, so sagt man, in diesen Minuten den Entschluss, den Zugriff der Parteien auf den ORF zu verschärfen und Bachers Macht zu beschneiden. 1967 hatte das Rundfunkvolksbegehren, getragen von parteiunabhängigen Tageszeitungen, den ORF aus diesem Zugriff befreit und ihn als unabhängige GesmbH mit einem Aufsichtsrat etabliert; 1974 machte ihn Kreisky wieder zur Anstalt, der Aufsichtsrat mutierte zum Kuratorium, und Bacher war nicht mehr Generalintendant.« (Anm: Das Volksbegehren fand 1964 statt; die ÖVP-Alleinregierung machte dann 1967das ORF-Gesetz.)

»Eine Karrierehochschaubahn hatte plötzlich wieder nach unten geführt. Der 1925 in Salzburg geborene Bacher stammte aus Verhältnissen, die zwar einfach waren, aber ein vehementes Engagement bei der Hitlerjugend, eine frühe NSDAP-Mitgliedschaft und – mit 18 – eine freiwillige Meldung zu Hitlers Wehrmacht möglich machten. Bacher maturierte erst 1946, zurückgekehrt aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Ein Studium kam aufgrund finanzieller Beschränkung nicht in Frage. Journalismus musste es sein. Nach Salzburger Anfängen transferierte SN-Herausgeber Canaval den 29jährigen nach Wien, als er für die Boulevardzeitung Bild-Telegraf einen Chefredakteur brauchte. Es war wieder Krieg, Zeitungskrieg. Bacher kämpfte für journalistische Unabhängigkeit, gegen den Einfluss von ÖVP-Kanzler Raab. Der Kampf endete mit seinem Exodus. Bacher nahm seine gesamte Redaktion mit und brachte am nächsten Tag mit dem Verleger Fritz Molden ein Konkurrenzblatt namens Bild-Telegramm heraus. Kurier-Journalisten setzten das alte Blatt fort, wechselseitige Beschlagnahmen, Prozesse folgten.

Bachers Gegner beim Kurier hieß übrigens Hans Dichand. Eine lange Gegnerschaft zwischen den beiden begann. Es war die Zeit der Boulevard-Kämpen, der Männer-Freundschaften und -Feindschaften. Vielleicht war Boulevard auch die einzige Möglichkeit, sich öffentlich von der Parteigesellschaft, der Fortsetzung des Absolutismus mit demokratischen Mitteln, zu befreien. Vielleicht stammt der gehässige Ton des Boulevards, der noch heute unsere Publizistik verkrüppelt, aus diesem ohnmächtigen Kampf.

Bacher war nicht der zimperlichste Kritiker des Parteienstaats gewesen. „Sumperer“ und „Hiasln“ waren das mindeste, was er die Minister der Koalition hieß. „Wo bleibt die Notgemeinschaft gegen die Verdummung Österreichs?“ fragte er und schloss, das Land gehöre „in die Psychiatrie“. 1967 zum ersten Generalintendanten des ORF gewählt, von Intimus Gustav Peichl mit dem Epitheton „Tiger“ ausgestattet, machte er sich an die Therapie mittels Rundfunk und Fernsehen.

Kreisky betrieb die längst fällige soziale und politische, Bacher die mediale Modernisierung Österreichs. Der Konflikt war programmiert. Bacher zog gegen die Institutionen des öffentlichen Lebens zu Felde und benützte dazu eben eine dieser Institutionen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Und dies unter Bedingungen einer keineswegs ausdifferenzierten, sondern noch bedeutend hierarchischer geprägten Gesellschaft als heute. Musste man da nicht Autokrat sein, um etwas zu bewegen? Die größte Gefahr erblickte der Autokrat Bacher naturgemäß in allen, die es anders sahen, dem Kommunismus drüben und den „Roten Zellen“ hüben. Gleichzeitig etablierte er die Medien als jene vierte Macht, vor deren Gefahren er als Kulturkritiker immer warnte.

Der Rest ist Zeitgeschichte: Bacher als abgewählter und immer wieder gewählter Generalintendant des ORF, der „Liebe meines Lebens“, wie er sagte. Realpolitisches Geschick erklärt die Fähigkeit, das jeweils unmögliche Comeback zu schaffen, nicht ausreichend. Gewiss besaß Bacher neben verbalem Biss die Fähigkeit zum Arrangement mit dem linken Gegner. Als er 1978 als Generalintendant wiederkam, hatte er Kreide gefressen. Dennoch war er der gleiche geblieben: Die Intensität, mit der Bacher die „größte Orgel des Landes“ spielen wollte, grenzte immer ans Obsessive.

Er schien der einzige, der das Format besaß, dieses Instrument tatsächlich zu beherrschen. Der einzige, der ewige Intendant. Bacher gab auf allen Ebenen den Ton im Kampf für die westliche Wertegemeinschaft an: Welche Frisuren und welche Krawatten zu tragen waren, bestimmte er ebenso, wie welche Architekten die ORF-Studios bauten (es waren nicht die schlechtesten), welche Korrespondenten das Abendland retteten und welche Sozis „zum Frühstück verspeist“ wurden.

Bachers Bedeutung für Österreich: Er hat mit Brachialität den ORF modernisiert. Allein dieser Satz zeigt, dass eine Bacher-Bilanz durch und durch zwiespältig ausfallen muss. Seine journalistischen Verdienste, etwa die Einrichtung der Ostbüros des ORF, sind unbestritten. Die Informationsoffensive des ORF, die Beschäftigung österreichischer Schriftsteller, der ORF als Kaderschmiede, Lust am modernen Erscheinungsbild (Neville Brody, englischer Typograph, im Zeitgeist der 1980er weltweit der angesagteste Magazin-Designer, Anm.) gehen auf sein Konto. (Bacher war es auch, der den Umlaut aus dem „österreichischen Rundfunk“ entfernte und statt ÖRF ORF durchsetzte, Anm.)

Bachers Angst vor einer gesellschaftszersetzenden Linken grenzte hingegen ans Pathologische. Vielleicht, weil er sich als rechte „Einmannpartei mit Aufnahmesperre“ sah, stellvertretend für jene nicht Nazi-belastete konservative politische Gruppierung, deren Fehlen Österreich seit Jahrzehnten mit Lähmung büßt. Ein seltenes Exemplar eines österreichischen National-Konservativen, ausnahmsweise nicht eines Deutsch-Nationalen!

Noch mehr Widersprüche gefällig? Ein Boulevardist als Inbegriff des Öffentlich-Rechtlichen. Ein Formulierer, der die „Abschaffung des Busens“ ebenso markig verkündete wie die Abschaffung der Wertegemeinschaft durch „Linke im Alleinbesitz des Zeitgeists, wie einst Hitler im Namen der Vorsehung“. Ein Ex-Boulevard-Journalist als Objekt einer jahrzehntelangen „Krone“-Hasskampagne. Bachers größter Widerspruch steckt eher möglicherweise im Massenmedium selber, dem er so gern jenen Bildungs- und Informationsauftrag zuschreibt, den das Massenmedium wie von selbst unterläuft. Wenn Bacher am Schluss vor jenem Quotenfernsehen steht, das für ihn eine Katastrophe darstellt („Mir fällt zu Thoma nichts ein“, Thoma war der Chef des jungen Privatsenders RTL, ehemaliger ORF-Jurist, der mit blanken Busen Reichweite machte und verkündete, der Wurm müsse „dem Fisch schmecken, nicht dem Fischer“, Anm.), muss man ihm doch zugute halten, dass er wenigstens den Widerspruch dagegen thematisiert hat. Mehr kann ein öffentlich-rechtliches Fernsehen möglicherweise nicht tun.

Kraftmeierei und Kulturauftrag, Hass auf den Parteienstaat und Wille zur Seilschaft (solange Bacher Bergführer bleibt), Unfähigkeit zum Privatleben und exzessiver Familiarismus im ORF, Herkunft von und Hass auf den Boulevard, Österreich-Verachtung und verzweifelt-liebevoller Versuch, das Land zu bessern – vielleicht sind auch das nur die zwei berühmten Seiten der einen Münze, die zwei Richtungen, in die der echte Eingeborene immer gleichzeitig blickt. Ein Zerrissener, der aus der Pension die Vergeblichkeit seines Werks mit ansehen muss. Ein wahrer Österreicher eben; vermutlich wird Bacher das heutzutage sogar als Kompliment empfinden. Eines aber bleibt unbestritten und bestimmt Bachers spezifisches historisches Gewicht: öffentlich-rechtliches Fernsehen in Österreich ist vom Namen Bacher nicht zu trennen.«

Vielleicht kommt in diesem Porträt der Schrecken zu kurz, den Bacher hausintern verbreitete, auch wenn er gerade nicht Generalintendant war. Er war im Wortsinn gefürchtet. Konservative sehen heutzutage anders aus: gesichtslos, konturlos, wenn auch nicht ohne deutlich verschärfte Agenda. Bacher, der mit einer Bewerbung als ZDF-Intendant scheiterte, war außerdem Berater Helmut Kohls, Herausgeber der Presse, Chefredakteur des Kurier, Berater des Filmgroßhändlers Leo Kirch. Als Nationalkonservativer hätte er die Auslieferung des ORF an Private, wie ihn die regierenden ideologischen Flachwurzler (© Jörg Haider) planen, als ultimativen Verrat an der konservativen Idee betrachtet. Ein Interview hat er mir, wie sein Widersacher Dichand (und wie heute Sebastian Kurz), nie gegeben. Manche Dinge ändern sich doch nicht.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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