Wer hat an der Uhr gedreht? Der lange Weg zu Kurz-Welle ORF

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 483

Armin Thurnher
am 31.07.2021

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Am 10. August wird der neue ORF-Generaldirektor gewählt. Bis dahin wird sich diese Kolumne weitgehend, sogar weitschweifig, mitunter sogar auf persönliche Erlebnisse zurückgreifend mit dem ORF befassen – von den Ausführungen des Epidemiologen Zangerle, tagesaktuellen und stimmungsmäßigen Erfordernissen natürlich abgesehen.

Der ORF steht an der Schwelle einer neuen Ära; noch nie im 21. Jahrhundert wurde er so unverschämt von der Politik vereinnahmt wie demnächst, nach der Wahl des derzeitigen Vize-Finanzchefs Roland Weißmann zum Generaldirektor.

Die Chats zur Weißmanns Bestellung werden wir voraussichtlich nie zu lesen bekommen. Die Aufdeckung von Skandalen hat in Österreich meist zwei Zwecke: Erstens, interessierten Schichten Know-How zu vermitteln, wie man es wirklich macht. Also verallgemeinert der Abschlussbericht des abgewürgten, aber hoffentlich nicht abgeschlossenen Ibiza-Untersuchungsausschusses das Wissen über institutionelle Korruption.

Zweitens lernen die handelnden Personen, wie sie es besser machen, wie sie fortan Fehler und Entdeckung vermeiden. So frisch und unverfroren wie bei Thomas Schmid wird die interne Kommunikation über die Bestellung des neuen ORF-Generaldirektors nicht ablaufen, man wird die Geheimhaltungssegnungen moderner Kommunikation besser nutzen, in der Sache aber läuft sie genau so: der Wille des Kanzlers, der von alledem nichts weiß, geschehe. Der parteipolitisch besetzte ORF-Stiftungsrat wird diesen Willen umsetzen.

Die türkis vereinnahmte Republik achtet – man kann es an den Spitzen der Ministerien ablesen – nicht auf Kompetenz, sondern auf die Farbe. Was bedeutet, dass der gesamte Staat und seine vorgelagerten Organe auf Jahrzehnte hinaus umgefärbt werden, von einer Partie, die mit dem Versprechen angetreten ist, einen ganz neuen Stil zu pflegen. Der neue Stil sieht aus wie weiland große Koalition, nur ohne Koalitionspartner, wie Proporz, aber nicht mit zwei, sondern nur mit einer Farbe, oder genau genommen farblos, bloß mit dem Glanzlack des ökonomischen Egoismus überzogen.

Österreichs Zweite Republik hatte stets ein spezielles Verhältnis zu ihren Medien. Das wesentliche Merkmal dieses Verhältnisses war, dass eine Gesellschaft, der es an der Erfahrung bürgerlicher Öffentlichkeit fehlte, dieses Manko zu kompensieren versuchte, indem der Staat die öffentlich-rechtlichen Medien als sein Eigentum betrachtete und dies damit rechtfertigte, sie seien ein Gegengewicht gegen die zwei Hauptmerkmale dieser privaten Medien: Provinz und Boulevard.

Das Volksbegehren 1964, das sich gegen die Dominanz der zwei Staatsparteien im ORF richtete, war erfolgreich, weil man es satt hatte, dass diese Parteien das ganze Leben bestimmten. Ohne Parteibuch machte man im damals noch viel größeren staatlichen Umfeld keine Karriere, bekam man keine Wohnung, bis zum Einkauf reichte parteipolitischer Einfluss ins tägliche Leben. Der Überdruss daran war spürbar, und als die Chefredakteure einiger Zeitungen, das waren damals Leute mit einigem Rückgrat, wie Hugo Portisch vom Kurier oder Fritz Czoklich von der Kleinen Zeitung, ein Volksbegehren gegen die parteipolitische Vereinnahmung des ORF initiierten, verstanden die Leute, was gemeint war.

Das Volksbegehren wurde ein Erfolg. Die seit 1966 allein regierende ÖVP machte daraus ein neues ORF-Gesetz, und Gerd Bacher wurde erster Intendant des ORF. Der parteipolitische Einfluss war damit aber nicht gebrochen, denn zwischen dem konservativen Bacher und dem seit 1970 mit absoluter Mehrheit regierenden Sozialisten Bruno Kreisky entspann sich gleich ein flotter Machtkampf, in dem Kreisky die Macht staatlichen Einflusses wieder erhöhte.

Bacher, ein geschickter Taktiker, konnte sich dennoch lange an der Macht halten, unter anderem, weil er sich das Wohl der mächtigen Betriebsräte mit allerlei Zugeständnissen erkaufte, was der Entwicklung des Unternehmens nicht eben nützte. Aber das kam später. Zuerst, 1967, wurde der rote, aber nicht linke Helmut Zilk Direktor des Fernsehens, der rechte Alfons Dalma Chefredakteur von Radio und Fernsehen.

Kreisky, sagt man, war deswegen alarmiert, weil Bacher ihm demonstriert hatte, wie mächtig das Fernsehen war und wie sehr man es zur Machterhaltung brauchte. Zum Empfang des von den olympischen Spielen in Sapporo ausgeschlossenen Skistars Karl Schranz mobilisierte der ORF 1972 eine Massenhysterie, die Straßen waren von Menschen gesäumt, der Ballhausplatz war gefüllt, der verdutzte Kreisky empfing Schranz und schob ihn auf den Balkon des Kanzleramts. Ein anderer Balkon am Heldenplatz tauchte sogleich in der allgemeinen Erinnerung auf, und Kreisky sah sich hinlänglich motiviert, seine Macht zu nützen, um Bacher zu stoppen. Der ORF wurde teilweise rückreformiert, Bacher wurde 1974 durch den der SPÖ angehörenden Sektionschef Otto Oberhammer abgelöst, ein Art integrer Pilnacek für Rote, der natürlich seinem Job nicht gewachsen war und nach vier Jahren wieder durch Bacher abgelöst wurde.

Karl Schranz 1972 auf der Wiener Ringstraße Foto: Filmarchiv Austria

Als ich 1968 mit neunzehn Jahren nach einem Jahr in New York City zum Studium nach Wien kam, sah ich auf der Uni überall mir vorerst rätselhaft erscheinende Graffiti: „Tod dem Bacherfunk“. Zuhause hatten wir keinen Fernseher gehabt, und auch als Student lebte ich „ohne“. Bald aber verstand ich, worum es ging. Spätestens bei Schranz 1972: das Büro, in dem ich als Kostenrechner jobbte (Shell am Schwarzenbergplatz) hatte ursprünglich seinen Angestellten nicht gestattet, ans Fenster zu treten, um dem Schranz-Triumphzug zuzuwinken. Das Verbot wurde aufgehoben, um einen Aufstand der sonst überaus disziplinierten und brav einem exakten, auf die Minute festgelegten Tagesablauf folgenden Angestellten zu vermeiden. Sie hatten mitbekommen, dass die Kollegen drüben bei Mobil ans Fenster durften. So sah auch ich Schranz aus dem offenen Auto winkend am Hotel Imperial vorbei in die Ringstraße einbiegen.

Heute ist eine Persönlichkeit wie Bacher nicht in Sicht. Bachers Konservativismus war zwar politisch, hatte aber etwas ganz anderes im Sinn, als den Machterhalt einzelner Grüppchen oder die Vergabe von Pöstchen. Man kann sogar sagen, dass der reformierte Bacher-ORF zum Wahlsieg des Bruno Kreisky beitrug, weil er nicht nur dessen Parteifarbe zeigte, sondern die Person des mediengewandten Weltmanns Kreisky sichtbar machte.

Die bevorstehende plumpe Machtergreifung der Kurz-Truppe im ORF dreht mitten im digitalisierten Zeitalter die politische Uhr um 50 Jahre zurück. Was sie gesellschaftlich vom Medium ORF erwartet, lässt sich nicht erkennen. Politisch will sie ihn zugunsten privater Fernseh- und Medienbetreiber zurückdrängen (Kurz ist Darling der Medien des deutschen Axel-Springer-Verlags und gern gesehener Gesprächspartner von Google, er schmust sozusagen mit dem Schrecklichsten beider Medienwelten). Auch die österreichischen Verleger erwarten von ihrem Geschäftspartner, dem Bundeskanzler, einiges. Dem sind die Konsequenzen wurscht, er will nur Macht für sich und die Partie und die Sicherheit, die nächste Wahl zu gewinnen, ungestört von lästiger Berichterstattung. Das Schweigen der Grünen zu all dem ist ohrenbetäubend. Soviel neuer Stil ist denn doch ein Stück zuviel.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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