Lob der Linde

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 468

Armin Thurnher
am 14.07.2021

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Ich spüre in mir mehrere brennende Verpflichtungen. Erstens müsste Sebastian Kurz gegeißelt werden, der sich mit den modernen Feinden der Demokratie informell auf ein Pläuschchen in Montana zusammensetzt.

Zweitens: Immer wieder, immer wieder Sobotka. Allein, wie der Typ sagt: „Ich unterbreche die Sitzung“, in diesem aggressiven, maulenden Tonfall, den kaum ein Pülcher im Stoßlokal hinkriegt, eher er zum letzten Mittel, dem Bauchstich greift – allein das schrammt schon am Offizialdelikt entlang. Ein Nationalratspräsident als Zumutung.

Drittens: Die Sozialdemokratie. Das Niveau der Auseinandersetzung an der Spitze hält mit dem Niveau der Berichte darüber locker mit, und ich spüre, wie das Volk wartet, dass ich mich dazu äußere. Sie kennen mich: wenn ich so etwas spüre, reagiere ich kontraintuitiv und denke an etwas anderes.


Vor meinem Fenster steht eine Linde. Von ihr darf ich Ihnen heute berichten. Sie ist fast zwanzig Meter hoch und schätzungsweise fünfzig und ein paar Jahre alt. Jetzt blüht sie, und Tausende Bienen machen sie zu einem dröhnenden Dom, einem Thunderdome der anderen Art, denn dieses Dröhnen ist friedfertig, eine Schallkammer, die, wenn man sich unter sie stellt, einen plötzlich auch mit Duft überfällt, einem süßen Parfum, das jeden Rosengarten beschämt. Zwei Schritte weiter klingt das Dröhnen wie ein fernes Summen, und der Duft ist weg.

Foto: © Irena Rosc

Wenn die Linde blüht, rückt meine Frau zum Pflücken aus und ruft auch Freunde aus dem Nachbardorf an, die gern die Gelegenheit nützen und sich ein paar Blüten holen, für einen Winter voller Lindenblütentee. Wir ließen die unteren Äste stehen, sodass sie fast den Boden berühren und man bequem pflücken kann. Ein Fest.

Die Linde hatte zwei Schwestern, die 50 Meter weiter hinten in der Wiese standen, doppelt so alt, mit unglaublichem Stammumfang. Ein Sturm, fast ein Hurrikan, zog vor ein paar Jahren eine schmales Band der Verwüstung durch den Ort, in dem sich leider die beiden alten Schwestern befanden. Eine stürzte auf ein Nebengebäude, das wir als Garage nützen. Das Dach zersplitterte, aber mein Auto blieb, links und rechts von Lindenästen umrahmt, völlig unbeschädigt. Ein mutiger Feuerwehrmann holte es heraus. Gott hab ihn selig, er starb jung an Krebs, ein wortkarger Virtuose der Motorsäge.

Danach schrieb ich, es war im Herbst, ein kleines Gedicht über die stehengebliebene Linde.

Linde

Die Mahnung der

hoch erhobenen Linde!

Zu weit gewachsen,

schütter nach oben hin,

Bruchzeichen im Wind,

Splitterfinger in Wolken,

schwankender Mastkorb

dem Bussard

Die Freunde aus dem Nachbardorf, pensionierte Bauern, trinken dann ein Gläschen Wein mit uns. Sie sind patente, kluge Leute. Er, wie naturgemäß in dieser Gegend nicht anders denkbar, ein Schwarzer, mag Sebastian Kurz und versteht mich diesbezüglich nicht, sieht aber die Politik in der Nähe durchaus kritisch. Antifaschisten natürlich, in Lateinamerika und Albanien in der Entwicklungshilfe tätig, und selbstverständlich betreuen sie seit Jahren syrische Flüchtlingsfamilien. Da gibt es viel zu besprechen, denn ein Problembär macht dem alten Herrn besondere Sorgen. Er versucht ihm zu helfen, wo er kann, mit unerschöpflicher Geduld, über die sie nur die Hände zusammenschlagen kann. Aber sie lässt es geschehen. Integration in dieser Generation wird es nicht geben, sagt er, der alles versucht hat und weiter versucht. Den Problembären zur Führerscheinprüfung begleitet, Jobs vermittelt, bei Konflikten geschlichtet, zum Ersatzvater geworden. Es ging nicht so auf, wie er sich das vorstellte. Dennoch gibt er, bekümmert wie er ist, nicht auf.

Da ist eine Ernsthaftigkeit bei solchen Leuten, die man der Buberlpartie und ihrer arroganten Abgreifermentalität im Leben nicht mehr vermitteln kann. Das sind Leute, angesichts derer man die Verehrung versteht, die manche dem Bauernstand entgegenbringen. Sozusagen das gelebte Gegenprogramm zu Köstinger. Beeindruckend.

Eine weitere Linde vor dem Haus ist halb abgestorben. Der Förster, der hier einmal Verwalter war, dachte, er rette die Bäume (oder spare sich die Neupflanzung), indem er die Stämme kappte. Nach Jahrzehnten kann man sagen: Operation misslungen, Baum von innen her abgestorben. Er wird seinen dahingegangenen Nachbarinnen folgen. Seit wir hier wohnen, werden damit vier Linden von uns gegangen sein.

Im Dorf schätzt man Bäume nicht so sehr, sie machen vor allem Dreck in Form von Laub und gefährden die Sicherheit der edlen Bauwerke durch Abwurf von Ästen. Mit großer Befriedigung legte man deshalb heuer eine kerngesunde, mehr als hundertjährige Eiche im Dorfzentrum um.

Wir werden im Herbst zwei neue Linden pflanzen.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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