Immer auf Seiten der Schwachen. Erinnerung an Claus Gatterer.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 454

Armin Thurnher
am 28.06.2021

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Ich wusste, dass er klein war, aber so klein hatte ich ihn mir nicht vorgestellt. Seine Haut war dunkel und doch irgendwie durchscheinend. Sein Gesicht kannte ich aus dem Fernsehen, aber nun sah ich ihn zum erstenmal persönlich. Den Journalisten, Schriftsteller und TV-Moderator Claus Gatterer. Er versuchte, sich die Anstrengungen der Chemotherapie nicht anmerken zu lassen, die er hinter sich hatte. „Ich habe ihn besiegt“, rief er, nein, rufen konnte man das nicht nennen, es war etwas zwischen Flüstern und Sprechen. Er sprach vom Krebs, und er bemühte sich um Heiterheit.

Es war Werner Vogts Idee gewesen, Gatterer im Spital zu besuchen, es war, glaube ich das Wilhelminenspital, und nun waren wir in seinem Einzelzimmer. Vogt hatte mit der Gruppe Kritische Medizin mit dem Magazin „Teleobjektiv“ zusammengearbeitet, das Gatterer gegründet hatte und das im ORF eine solitäre Stellung hatte: gesellschaftskritisch, unbestechlich, Talenteschmiede (von Toni Spira bis Kurt Langbein), von bis zu drei Millionen Menschen gesehen, immer auf Seiten der Schwachen.

Claus Gatterer Foto: Folio Verlag

Anlass für das Interview war einerseits Gatterers Genesung, andererseits die Einstellung von Teleobjektiv durch den allmächtigen ORF-Generalintendanten Gerd Bacher, einen Freund und Weggefährten von Gatterer. Vielleicht war auch, wie wir mutmaßten, die ORF-interne konstante Anfeindung des Magazins ein Grund für die Krebserkrankung – was Gatterer bestritt – jedenfalls aber ein schwerer Schaden für die Republik und den Journalismus. Natürlich steuerten wir sofort auf dieses Thema zu. Was das Argument gewesen sei, die Sendung einzustellen?

Gatterer: „Dass Teleobjektiv eine private Spielwiese vom Gatterer sei. Es ist ein Magazin ohne Linie, es weiß nicht, was es will. Es ist die private Spielwiese vom Gatterer, wo der Gatterer selber tut, was er will, und die anderen tun lässt, was sie wollen.“ Ein Falter-Maily von Stefanie Panzenböck brachte mir in Erinnerung, dass sich heute Gatterers Todestag zum 37. Mal jährt, und gleich fiel mir dieses Interview ein. Man findet es nicht im digitalen Archiv, es stammt aus jenen durchaus nicht uninteressanten 21 Jahren, die der Falter vor der Digitalisierung existierte.

Man könne mit Bacher prima streiten, sagte Gatterer. Sie seien alte Freunde. Bringt man alten Freunden die Sendung um, fragten wir verdutzt? „Die Sendung hat er umgebracht, die hat ihm nie gepasst“, aber dennoch sei er ihm nicht böse. Da waren wir etwas verzagt, denn wir hatten schon auf eine ordentliche Bacher-Schelte gehofft. Gatterer bestritt auch nicht, dass er in allem anderer Ansicht sei als Bacher, aber mit Bacher könne man prima streiten, sagte er, einerseits, andererseits jedoch habe man eine gemeinsame Geschichte.

Bacher, dessen Chefredakteur, der reaktionäre Alfons Dalma und Gatterer kamen von den Salzburger Nachrichten, aus der Schule des Gustav A. Canaval, „ein Vorleber, ein Vorschreiber, ein Vorbild, ein herrlicher Mensch, ein wunderbarer Choleriker, ein alter Austrofaschist und KZler mit einer wahnsinnigen Breite, mit einer wahnsinnigen Toleranz. Er hat ein einziges Mal dem Bacher einen Aschenbecher nachgeworfen.“

Wir redeten mit Gatterer über TV-Sprache, noch davon beeindruckt, wie er, gezeichnet von der Krebserkrankung, nicht seine Betroffenheit über die Einstellung verbergend, im Jänner 1984 die letzte, 150. Sendung des Magazins ansagte, eine Kultur der Rede, sagten wir, „so eine Anstrengung und eine Trauer auch“, die im Fernsehen meist hinter der geforderten Glätte der Sprecher verschwinde.

Wie sich plötzlich ein Spiegelstil herausgebildet habe, sagte Gatterer, so habe sich auch ein Fernsehstil herausgebildet. „Eine meiner Ansicht nach kastrierte Sprache, die nicht gerade eine Neckermannsprache ist, die ich den Südtriolern ankreide, aber doch so etwas ähnliches“.

Ob er uns die Grundsätze von Teleobjektiv erläutern könne? „Wir haben zum Beispiel gesagt, wir wollen ein Magazin, das von der Bildsprache her anspricht, das auch eine gewisse Augenweide bildet, trotzdem wahr bleibt, trotzdem am Boden der Realität bleibt. Zweitens, wir wollen die Einheitssprache der Politiker vermeiden. Die vermeidet man dadurch, dass man den Politikern aus dem Weg geht und möglichst einfache Leute nimmt, und wenn man schon politische Leute nehmen muss, dann die Leute hinter den Politikern nimmt.“ Interviews mit Mitglieder der Hörer-und Sehervertretung des ORF gab es nur ausnahmsweise. Das alles habe Teleobjektiv erfolgreich gemacht, „und dann der Humor … Wenn man einen Gegner lächerlich machen kann, ohne dass man ihn dadurch beleidigt oder schmäht, dann hat man eigentlich viel mehr erreicht als wenn man mit den trockensten, aber begründeten Argumenten gegen ihn vorgeht.“

Wir sprachen lange mit ihm, er wollte das auch, er war ja gesund, die Kraft, die ihn das kostete, brachte er auf. Er erklärte uns, wie er, aus einer religiöser, konservativer Südtiroler Bergbauernfamilie kommend, ein Linker wurde, geprägt durch Linkskatholiken wie Friedrich Heer. Und warum er ein schwaches, unwahrscheinliches Gebilde wie den österreichischen Staat liebe, einen Staat zwischen den Zeiten und Welten, einen „Zwischenstaat“, wie er ihn nannte, erklärte er so: Wenn die Geschichte tatsächlich so ein merkwürdiges Gebilde erschaffen habe, müsse man es doch mittragen und gern haben.

Auch Gatterer musste man einfach mögen. Man könnte, ja müsste das ganze Interview abdrucken. Irgendwann, irgendwo wird das geschehen. Als Vogt und ich hinausgingen, hofften wir sehr, dass Gatterer recht behielte mit seiner Behauptung, er habe den Krebs besiegt. Vier Monate später war er tot.

PS.: Der Gatter-Preis wurde neu gegründet, Kurt Langbein hat die Prinzipen Gatterers, die mit ihm gefördert werden sollen, noch einmal ausgeführt.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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