Kurz kann nicht kicken. Gespräch mit dem klugen Kater vor Wembley

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 453

Armin Thurnher
am 26.06.2021

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Kater: Wenn ich die vergangene Woche so betrachte, muss ich sagen, da hast du dir wieder einmal keinen Zwang angetan.

Ich: Ich bekenne, ich habe gegen sämtliche Gebote von Gleichmut und Distanz verstoßen. Allerdings mit Lust.

Kater: Was bringt dich derart aus dem Gleichgewicht?

Ich: Die Hoffnungslosigkeit der Lage.

Kater: Was heißt hoffnungslos? Vorgestern hast du deine zweite Impfung bekommen.

Ich: Ja, immerhin. Zwar wieder AstraZeneca, und obwohl die Experten schon erklären, dass eine Mischung mit einem mRNA-Impfstoff besser gewesen wäre, ließ die Planung unserer Regierung der Ärztin keine Wahl.

Kater: Sei froh, dass du wenigstens zwei Stiche hast.

Ich: Bin ich ja eh. Hoffnungslos ist auch nicht die Lage bei der Pandemie. Wir müssen uns einfach daran gewöhnen, mit Seuchen zu leben. Corona geht nicht mehr weg. Und andere Seuchen werden über uns kommen, von uns auf die eine oder andere Weise verursacht.

Kater: Ja, aber das ist nur eine Frage des Bewusstseins. Wir sind eine pandemische Generation, Aids ist ja noch immer da, zum Beispiel. Deswegen hast du diese Kolumne ja Seuchenkolumne genannt, oder?

Ich: Stimmt. Hoffnungslos nenne ich auch nicht die Pandemie. Ich rede von der politischen Seuche.

Kater: Ehe wir dazu kommen, habe ich eine Frage.

Ich: Bitte.

Kater: Euer Menschsein. Wie das nun definiert wird, ist schon recht interessant, findest du nicht?

Ich: Nämlich?

Kater: Ihr empfindet euch nur als Menschen, wenn ihr die Lizenz zum Exzess habt. In dunklen Höhlen euch zu Tausenden aneinanderdrängend, heuschreckengleich hüpfend, schwitzend, euch paarend –

Ich: Das muss doch auch sein dürfen.

Kater: Fällt dir nicht auf, dass die Fähigkeit zur Distanz unter euch sehr selten geworden ist?

Ich: Pandemien sind ja nicht dazu da, unser Verhalten zu reflektieren, oder?

Kater: Jedenfalls habt ihr es nicht dazu benutzt, euch zu fragen, wo eure sogenannte Zwischenmenschlichkeit nur mehr fremdgesteuert ist. Ob, was ihr für zwischenmenschlich haltet, darin besteht, euch zu verlieren, nicht, euch in anderen zu finden. Also, ob es wirklich um Begegnungen geht, deren Verlust ihr beklagt. Hattet ihr überhaupt je welche?

Ich: Einsamkeit ist ein Luxus, das ist mir klargeworden, und Gesellschaft oft eine Qual, obwohl die meisten das genau umgekehrt empfinden. Aber wo kommt man mit solchen Erkenntnissen hin?

Kater: Eure Massengesellschaft als Seuche zu bezeichnen, käme mir eh nicht in den Sinn. Ihr seid einfach anders. Obwohl, gab es da nicht immer schon Dichter, die Sachen sagten wie: odi profanum vulgus et arceo?

Ich: Kater, Menschenverachtung wird nicht besser, wenn sie lateinisch daherkommt. Das gibt es auf Wienerisch übrigens genauso – olle Menschen san ma zwider – und das kann man gut in einem vollen Stadion oder in einer Disco sagen.

Kater: Du windest dich da herum, scheint mir. Überhaupt, wenn ich mir euer soziales Sprechen, also das Sprechen auf Social Media anschaue, windet sich das um heikle Themen nur so herum. Tut diskursfroh und vermeidet feig alles, was wirklich Konflikt wäre. Oder es sucht den Konflikt, um in der aufgeschürten, hochlodernden Konfliktlust die Auseinandersetzung auszulöschen.

Ich: Kater, über meine Erfahrungen auf Social Media spreche ich ungern, dann heißt es gleich, alte weiße Männer…

Kater: Siehst du, das ist es, was ich meine. Ich wollte dich nicht von Politikschelte abhalten, damit kommst du ja ganz gut an.

Ich: Danke für dein Verständnis. Mir scheint, wir haben eine Regierung, die sich, zumindest in ihrem türkisen Teil als weitgehend unfähig erweist, und dort, wo sie Fähigkeiten besitzt, nämlich grenzgängerische, besser unfähig wäre.

Kater: Das klingt nach einem kuriosen quid pro quo.

Ich: Kann man sagen. Die Energie, die eine bürgerliche Regierungspartei früher in den Anschein von Wohlanständigkeit investiert hätte, um einen gewissen allgemeinen Anstand durchzusetzen, benützt sie heute, um hinter der Fassade dieser Anständigkeit anderes zu tun.

Kater: Du formulierst sehr vorsichtig.

Ich: Die Politik dieser Leute tendiert zur Justizförmigkeit, auf die eine oder andere Weise. Passt ihnen etwas nicht, klagen sie Kritiker. Kommt es ihnen zupass, gehen sie selbst an die Grenze des Rechts oder darüber hinaus. Sie, die ein Muster an Einhaltung jener Gesetze sein sollte, die ihresgleichen im Parlament gemacht haben (in Wahrheit eh sie selber, das Parlament ist leider nur mehr eine Art politischer Schaugärtnerei), zeigen uns, wie man diese Gesetze unterläuft, aushebelt, verhöhnt.

Kater: Du spielst auf die Art an, wie sie den Untersuchungsausschuss mit den geforderten Akten nicht beliefern.

Ich: Exakt, und dass sie sich dabei auch nicht durch den Verfassungsgerichtshof und den Bundespräsidenten irritieren lassen. Das heißt, sie agieren, als wäre der Rechtsstaat nur ein Gerüst unverbindlicher Verabredungen, die für alle anderen gelten, aber nicht für sie.

Kater: Du meinst, sie entziehen sich demokratischer Kontrolle?

Ich: Genau, und zwar mit dem Gestus von Verfolgten, die Gesetze nur aus Notwehr außer Kraft setzen.

Kater: Verstehe, dass dich das mürrisch macht. Aber heute ist doch all das vergessen.

Ich: Was meinst du.

Kater: Tu nicht so, 21 Uhr, Wembley-Stadion.

Ich: Ja, da bange ich mit allen anderen mit, und fürchte alles, was man befürchten kann.

Kater: Einen Sieg?

Ich: Als Österreicher ist man derart auf Enttäuschung eingestellt, dass man, wenn man einmal entscheidend siegt, anschließend für längere Zeit außer Tritt gerät. Der Sieg, außer in extremen Randsportarten wie dem Schröcksnadeln, die wir dominieren, ist für uns Niederlagengewohnte eine zu starke Droge. Siehe Dominic Thiem: ein Grand Slam Turnier gewonnen und sich bis jetzt nicht davon erholt.

Kater: Wie ich es sehe, brauchst du den Siegeseffekt heute eh nicht zu befürchten.

Ich: Das ist wohl so, macht mir aber auch keine Freude. Schön wär’s schon…

Kater: Dir kann man es nicht recht machen. Tröstet dich nicht, dass diese Regierung etwas absolut Antikickerhaftes an sich hat? Man kann sich Herrn Kurz als alles vorstellen, aber nicht als Fußballer. Der würde einen Elfer mit dem Spitz zu schießen versuchen, und Blümel kann nicht gaberln, das sieht sogar ein blinder Kater.

Ich: Das brauchen sie nicht zu können, denn sie haben sogar die Dressen besetzt.

Kater: Jetzt hörst du das Gras wachsen, das in Wembley von ordentlichen Greenkeepern bewacht wird, die haben uns nicht einmal trainieren lassen.

Ich: Schon wieder ein Nachteil, das Gras ist stumpf, und wir wissen es nicht!

Kater: Ja, und der Schnee war zu aggressiv. Ach komm. Der Farbton Mint wurde vom Ausrüster lange vor der Kanzlerschaft des Kurzes und der Etablierung der türkisen Messageherrschaft festgelegt.

Ich: Sagt Puma, und vielleicht stimmt es sogar. Es passt einfach zu gut, und wenn ich diesen hässlichen, mussolini-gestylten türkisen Adler auf den Trikots sehe, habe ich schon gefressen.

Kater: Ein gutes, wenn auch nicht nobel formuliertes Stichwort.

Ich: Ja, das stimmt. Hühnchen in feiner Sauce?

Kater: Sehr gern.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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