Die Ahnungslosigkeit des Gernot Blümel. Über Recht und Politik.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 451

Armin Thurnher
am 24.06.2021

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Andreas Khol weiß alles. Mit dem Verfassungsgerichtshof kann man nicht verhandeln, sagte er, aber das habe Gernot Blümel eben nicht gewusst. Er ist noch jung, er lernt noch. „Aber“, wie Karl Kraus berühmterweise zum Fiaker sagte, der ihm Gleiches als Entschuldigung vorbrachte, als das Pferd den Wagen über die Gehsteigkante poltern ließ, „bitte nicht an mir!“

Blümels Lerneffekt erinnert an den Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler, von dem im Zug eines vom Falter aufgedeckten Skandals bekannt wurde, dass ihn die Justiz in der Ortstafelfrage zu exkulpieren plante, weil er nicht gewusst haben konnte, dass man sich an Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs zu halten hat. Das ging dann doch nicht durch.

Khol sagt väterlich, er, Khol, hätte es als Verfassungsjurist natürlich gewusst, aber man dürfe Blümel nicht böse sein, der meine es ja nicht so. Und vor allem, er sein kein Jurist, er sei Master of Business Administration, „er musste es nicht wissen.“ Sagt Khol, der Verfassungsjurist. Was muss ich wissen, um ihn straflos das heißen zu können, wonach mir gerade ist?

Natürlich meinte es Blümel, als Philosoph Fachmann für Wahrheiten, genaus so. Es ist kein Wunder, dass ein elder Statesman wie Khol bei der Relativierung des Rechtsstaats munter mitmacht, denn er ist kein elder Statesman, dafür hält ihn nur der ORF, sondern ein ganz gewöhnlicher, überstandiger türkiser Parteiideologe, dessen selbstzugeschriebene Aufgabe darin besteht, die Dinge zu verdrehen, wie er, der Vater der Wahrheit, es eben braucht.

Im Ernst: Wollen wir den Rechtsstaat fetischisieren? Manchmal kommt mir vor, dass die zunehmende Verrechtsanwaltung (nicht Verrechtlichung) von allem eine Form der Aufgabe von Politik ist. Die Aufgabe der Politik, das hat ja einen hübschen Doppelsinn, aber ich würde doch behaupten, die erste Aufgabe der Politik bestünde darin, sich nicht selbst aufzugeben.

„Verrechtsanwaltung“ will nicht die Rechtsanwälte verächtlich machen. Aber was sollen wir davon halten, dass gewisse Fragen unserer politischen Öffentlichkeit, die man als ganz selbstverständlich anzusehen gewohnt war, nun plötzlich nicht mehr selbstverständlich von denen entschieden werden, die dafür in Funktionen bestellt wurden, sondern nur noch von deren Rechtsbeiständen?

Der Kanzler, der im Ausschuss als Aussageperson unentwegt mit seinem Beistand flüstert, der befangenene Vorsitzende, der in einem fort mit dem Verfahrensrichter operiert, sie wirken wie Patienten, die ohne behandelnden Arzt keinen Atemzug mehr zu tun wagen.

Die politisch recht einfache Frage, ob Finanzminister Gernot Blümel durch seine Art der (Nicht)lieferung von Akten die Arbeit des demokratisch legitimierten Untersuchungsausschusses behindert (Antwort: Ja), wird dadurch, dass sie in den Rang einer Verfassungstüftelei erhoben wird, mit Bundespräsident und allen Zutaten, gewissermaßen entpolitisiert.

Man kann dann prima, wie Armin Wolf das begeistert und sehr einleuchtend tat , den Diskurs mit Verfassungsjuristen pflegen, sich an der Eleganz unserer Verfassung erfreuen, die sich dem Durchschnittsbetrachter entzieht, Stunden mit Rechtsfragen zubringen und darüber die Politik vergessen oder bloß die juristische Uneleganz, aber Effizienz des Blümelschen Manövers zur Kenntnis nehmen.

Am Ende heißt es dann: alles rechtens. Ist deswegen alles okay? Mitnichten. Auch Missetaten können rechtskonform begangen werden, und diese schlichte Einsicht will man uns vergessen lassen. Und die Frage, ob der Herr Blümel nicht längst abtreten sollte, wird nur mehr von den üblichen Irregeleiteten gestellt.

Ich mache mich hier nicht mit dem Bundeskanzler gemein, der, wenn er freihändig ein paar Grundrechte abschafft, von juristischen Spitzfindigkeiten redet und damit meint, der Rechtsstaat sei nur ein Geschäftshindernis.

Andererseits sind sowohl Verrechtsanwaltung als auch die autokratische Missachtung des Rechts nur zwei Formen politischen Versagens.

Nehmen wir Wolfgang Sobotka, den fürchterlichen Nationalratspräsidenten. Das Geheul des unsäglichen Sobo-Klons Andreas Hanger, dieses neuen Destructivus Callainus, die Opposition müsse sich nun entschuldigen, weil die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ein paar Anzeigen nicht weiter verfolgte, ist völlig lächerlich. Etwas kann politisch verwerflich sein, ohne einen Straftatbestand darzustellen. Die Annahme von Geld für Leistung von einem anrüchigen Partner beispielsweise. Es ist möglich, etwas politisch zu verurteilen, ohne dafür eine notarielle Beglaubigung vorweisen zu müssen.

Unser Problem scheint darin zu bestehen, dass wir nicht mehr imstande sind, im öffentlichen Diskurs zu vernünftigen moralischen Urteilen zu kommen. Was ist für uns alle gut, was nicht? Einerseits wird hysterisch moralisiert, andererseits wird zynisch Moral außer Kraft gesetzt.

Es hat gewiss etwas Entspannendes, die zum Überbrodeln neigenden öffentlichen Affekte im juristischen Gedankenspiel gleichsam abzukühlen. Andererseits tendiert diese Abkühlung dazu, das öffentliche Gerangel zu entpolitisieren, unserem Zugriff scheinbar zu entziehen. Ratlos stehen wir dann vor der Frage: was ist gut, was nicht? Gegenfrage: wer kann Interesse haben, hier Unklarheit zu schaffen? Leichte Antwort: Leute, die hoffen, in der entstehenden Verwirrung mit Dingen durchzukommen, die gar nicht gut sind. Man muss kein Verfassungsjurist sein, um das zu bemerken.

Die Verrechtsanwaltung ist dem Bürgerkrieg zweifellos vorzuziehen. Aber die Rückkehr der Politik, sprich, das sichtbare und vernünftig nachvollziehbar öffentliche Artikulieren und Vertreten von Interessen, die wird man sich doch noch wünschen dürfen.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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