Wien im Rado-Wahn. Fifty Shades of Fellner, Folge V

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 443

Armin Thurnher
am 15.06.2021

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Ist auch schon wieder 13 Jahre her, diese kleine, aber charakteristische Episode aus dem Leben des WoFe, der soeben, wie man hört, auf den Bildschirm zurückgekehrt ist (man hört es eher, als dass man es sähe). Der folgende Text erschien erstmals als Seinesgleichen-Geschieht-Kommentar in Falter Nr. 31 vom 30.07.2008 (damals hatte der Kommentar noch seinen letzten Satz). Er  schildert, wie der Wiener Boulevard auf einen Doppelgänger hereinfiel, vor allem aber auf sich selber.

Doppelgänger und Doppelleben haben das Publikum immer schon fasziniert. Menschen, die ihre Identität über Bord werfen, sich für andere ausgeben, in fremder Identität teuflische Spiele treiben, üble Verbrechen begehen oder einfach vor ihrer gerechten Strafe fliehen, in denen erkennen wir uns wieder. Die meisten von uns trauen sich ihr Leben lang nicht, ihre Identität zu wechseln. Keiner geht schnell Zigaretten holen und kommt nicht mehr zurück (abgesehen davon, dass man uns das Rauchen abgewöhnt hat), obwohl manche von uns davon träumen.

Umso faszinierender wirken auf uns Leute, die so was schaffen. Große Verbrecher, beispielsweise. Radovan Karadzić, der serbische mutmaßliche Kriegsverbrecher und Massenmörder, ist so einer. Taucht doch glatt in Wien auf und lebt hier unerkannt. Dazu noch in alternativer Verkleidung, als Wunderheiler, mit Rauschebart und langem weißem Zopf. Ein Typ, der uns und unseren Kinderchen vor Weihnachten ohne weiteres auf der Mahü „Hohoho“-grölend entgegengekommen sein könnte, vor dem Gerngross zum Beispiel, im roten Mantel mit roter Mütze, der seinem Silberbart entströmende Atem zart nach Sliwowitz duftend.

„Balkan-Schlächter narrte Wiener Polizei!“, titelte die Kronen Zeitung am Samstag letzter Woche. „Stets trug er eine Bibel bei sich, erzählte gern von Frauengeschichten und philosophierte am liebsten über Religion“, berichtete eine Zeugin und hält dem Fotografen zwei Salbentiegel entgegen. „Heilkräuter vom Balkan-Schlächter!“, erläuterte die Bildzeile. Zwar hatte der Kurier die Geschichte schon einen Tag zuvor aufgebracht, aber die Krone hatte ein echtes Versprechen: „Lesen Sie mehr über das Leben des Schlächters im Altbau in einer exklusiven Reportage am Sonntag.“

Ja, Schnecken, exklusiv! Die Krone hat neuerdings am Boulevard einen Doppelgänger, der das Exklusive bekanntlich gepachtet hat. Schon am Freitag brachte Österreich fast zeit- und ziemlich wortgleich mit dem Kurier die Sensation. Am Sonntag, als alle auf die Kronen Zeitung warteten, schlug das Fellner-Blatt gnadenlos zu und berichtete schon auf dem Cover, „Wie der Massenmörder unsere Polizei narrte“. Ich persönlich fand „Balkan-Schlächter“ griffiger als „Massenmörder“, dafür war „unsere Polizei“ deutlich feinfühliger als „Wiener Polizei“. Die Kritik an der Exekutive wird hier durch Identifikation gemildert (man will ja an die Informationen kommen!). Zudem wird Wien geschont, denn was kann die Stadt dafür, dass Karadzić hier die Cobra narrt? Mit Einfühlsamkeit bei Doppelgängern ist bei Österreich-Herausgeber Fellner zu rechnen, der hat ja selber einen: Als er im Büro der damaligen Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer gesichtet wurde, am Tag, ehe die Frist für Einsprüche gegen den von Fellner betriebenen Zusammenschluss von News und Profil ablief, sagte er, es müsse sich um ein Phantom gehandelt haben.

Die Krone ihrerseits schreibt dafür den Namen Karadzić orthografisch korrekt – eine unvermutete Anbiederung an ihre Leserschaft der zweiten Immigranten-Generation, allesamt Strache-Wähler und Wolf-Martin-Fans? Österreich, der heimischen Eliten sicher, braucht sich um solche Kleinigkeiten nicht zu scheren. Dafür haben die Fellners ihr „Artwork“ im Griff. Sie zeigen am Samstag einen Ausweis des Petar Glumac, als der sich Karadzić ausgegeben haben soll. Raffiniert: Glumac bedeutet soviel wie „Schauspieler“. Ein Massenmörder mit Humor (die lyrische Produktion des Radovan Karadzić ist der Kronen Zeitung erfreulicherweise bisher entgangen). Am Sonntag präsentiert uns Österreich ein Bild des rasierten Karadzić, aber mit original getönter Brille (die Software macht’s möglich) und „das erste Foto, das Karadzić auf seiner Flucht so zeigt, wie er in Österreich lebte“.

Der berühmte Mr. Natural, Comicfigur von Robert Crumb. Den echten Opa Pera finden Sie jederzeit im Netz. Er sieht auch ganz lustig aus.

Wo Österreich montiert und retuschiert, dass der Bart nur so rauscht und Stalin, der erste König der Fotomanipulation, seine Freude daran gehabt hätte, prunkt die Krone mit Meinung. Jeannée, dessen Kolumne „Post von Jeannée“ ja insofern dem Doppelgängertum nicht fern steht, als die Idee dazu geklaut ist („Post von Wagner“ heißt das Original in der Bild-Zeitung), macht die grünen Gutmenschen dafür verantwortlich, dass Karadzić es so leicht hatte, in Wien unterzuschlüpfen. Der habe außerdem übernasert, dass die Cobra „aufgrund interner Machtkämpfe“ in der Wiener Polizei so geschwächt sei, dass sie auf jeden Schwindel hereinfalle.

Am Montag war der Spuk vorbei. Hereingefallen sind die Boulevardblätter. Der vermeintliche Karadzić war ein Doppelgänger namens Petar Glumac, genannt Opa Pera, dessen echten Ausweis uns Österreich gewiss bald nachliefern wird. Ob sich Karadzić am Aussehen dieses Glumac orientierte oder ob er sich bei seiner Tarnung einfach dem weltweiten Ideal des vom genialen Comic-Zeichner Robert Crumb erfundenen „Mr. Natural“ angleichen wollte, werden wir vielleicht bei der Befragung Karadzićs in Den Haag, möglicherweise auch im nächsten Cato-Brief („bin nicht der Opa Opa Peras“) erfahren. Derweil beschäftigen sich die Medien mit der Frage, ob man jener Frau glauben soll, die behauptet, sie sei nur Karadzićs Mitarbeiterin gewesen, nicht aber seine Geliebte. „Sie heißt Mila und könnte alles gewusst haben“, schreibt Österreich.

So ist es. Unsere Boulevardmedien könnten alles gewusst haben und auch das Gegenteil von allem, nämlich nichts. Sie tun gern so, als würden sie nur Wirklichkeit abbilden und sind doch bloß Doppelgänger dessen, was Zeitungen sein müssten: Orte, an denen Information skeptisch geprüft wird, ehe man sie veröffentlicht. Warum soll es bei den Medien anders sein als in der Wirklichkeit? Es gibt Medien, die ihr Geschäft ernst nehmen, und es gibt ihre Doppelgänger, die Stimmungs- und Geschäftemacher. Ab und zu fallen die in eine selbstgegrabene Grube, und wir könnten über sie lachen. Lägen wir nicht selbst mit drin. Im Übrigen bin ich der Meinung, der Mediamil-Komplex muss zerschlagen werden.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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