Schwarze Krawatten

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 442

Armin Thurnher
am 14.06.2021

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Leider hatte ich Gelegenheit, kürzlich hier über Friederike Mayröcker zu schreiben. Eine unerfreuliche Gelegenheit, denn sie starb. Kaum besser sind da 100-jährige Geburtstage, H.C. Artmanns zum Beispiel. Ich suche immer nach Gelegenheiten, von Begegnungen zu berichten, und dabei wird mir die eigene Unerheblichkeit so richtig bewusst. Jandl und Mayröcker sah ich aus der Weite beim Abendessen nebeneinander sitzen, das war’s dann fast schon.

Es gibt ja Menschen, die sich anderen ins Leben drängen, Journalisten zum Beispiel. Ein bekannter österreichischer Kulturkritiker hechelte einmal hinter Thomas Bernhard her, der keine Interviews gab, und bettelte ihn auf dem wenige hundert Meter langen Weg vom Kaffeehaus zu Bernhards Wohnung etwa ein Dutzendmal um ein Interview an. Bernhard sagte zwölfmal Nein, das reichte dann in News für ein „Interview mit Thomas Bernhard“. Eine Peinlichkeit von Bestand. Als ich Claus Peymann einmal fragte, warum er diesem Blatt ständig Interviews gebe, sagte er: Sie können sich nicht vorstellen, wie lästig die sind. Die geben keine Ruhe. Ja und, hätte ich gern gesagt, fressen Sie auch Menschenfleisch, nur weil jemand keine Ruhe gibt?

Das Kaffeehaus war naturgemäß das Bräunerhof. Dort kam auch ich einmal Thomas Bernhard nahe und erlebte einen Augenblick, den ich in jedem Medium mitteile, in dem ich publizieren darf. Diese Kolumne war noch nicht dran, deswegen kann ich die Sache hier noch einmal erzählen. Ich saß – vom Eingang aus gesehen – rechts neben der Tür, Bernhard schräg links von der Tür, etwa drei Meter entfernt. Vor ihm ein Berg eingespannter Zeitungen. Mechanisch ging Bernhard sie durch, während ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich ihn gespannt beobachtete, wie ein Westmann bei Karl May, der sich an ein Lager, wie sagt man, nativer Amerikanerinnen angeschlichen hat und hinter dem Busch die Miene des Häuptlings zu interpretieren versucht, weil er zu weit weg ist, um das leise Gemurmel am niedrig brennenden Lagerfeuer zu verstehen.

Bernhard eilte durch den Stapel, NZZ, FAZ, SZ, Kleinformat und Großformat hatte er in jeweils wenigen Sekunden durch und warf sie auf den Stapel „erledigt“. Dann aber kam eine Zeitung, die er länger in der Hand hielt, näher betrachtete und aufmerksam las, ich schwöre, fast eine Viertelstunde lang. Ich konnte es nicht fassen, es war der Falter.

Ich will nicht sagen, dass ich selbst nicht ebenso lange den Falter lese, aber ich bin nicht Thomas Bernhard. Ich war also beglückt und begnügte mich mit diesem Bernhard-Erlebnis, das ich nur noch mit einem Besuch im Ohlsdorfer Vierkanter ergänzte, und gab mich sonst mit seinen Texten zufrieden.

Warum erzähle ich von Bernhard? Weil mir auffällt, dass mir jene Künstler-Begegnungen stark im Gedächtnis haften, bei denen es eben nicht zu Gesprächen, Bekanntschaften und Freundschaften kam, sondern bei Äußerlichkeiten blieb, obwohl ich es gern anders gehabt hätte. Unvergesslich bleibt das Äußerliche. Von Artmannn wollte ich reden, dem ich schon früh begegnete. Ich kannte ihn als Mitglied der Wiener Gruppe, deren dunkelblauen, 1967 erschienenen kartonierten Rowohlt-Sammelband ich von vorn bis hinten gelesen hatte und der die Basis eines Schriftstellerdaseins bilden konnte. Achleitner, Artmann, Bayer, Rühm und Wiener lauteten die zauberischen Namen der Torwächter zum Tempel der Avantgarde, und dort wollte man, dort wollte ich damals unbedingt hinein.

Ich habe schon einmal erwähnt, dass ich 1970 mit Heinz Rudolf Unger ein Theaterstück schrieb, das vom Cafétheater bei der Arena 70/2 im „Zwanzgerhaus“ aufgeführt wurde; gleichzeitig spielte und probte man dort Artmanns „Erlaubent, Schas, sehr heiß bitte!“ Ich erinnere mich nicht genau an die Inszenierung, sie spielte im Kaffeehaus und nahm dem Stück viel Schärfe, weil sie auf Wienerei, Ober-Komik und dergleichen setzte, schien mir behäbig, kultur-augenzwinkernd und klischeesatt. Artmann, der große Artmann kam und wohnte einer Probe bei, rauchend und streng dreinschauend. Ich hatte die vage Hoffnung, er wurde wütend abrauschen oder das Ganze verhindern, er schien aber ganz zufrieden und rauschte wieder ab, eine Rauchwolke zurücklassend.

H.C. Artmann, ca. 1980 im Vomper Loch, Tirol Foto © Gert Chesi

Wir hatten das Gefühl, Artmann zurückgelassen zu haben. Ein völlig unangebrachtes und unhaltbares Gefühl, denn seine Poesie ist vielfältig, fein selbst im Groben, und in einem Sinn phantastisch, den kaum ein Zeitgenosse erreicht hat. Jeder Versuch, seine Bilder in Szenen zu fassen muss scheitern. Artmann ist Kopftheater, aber das ist auch nur so ein Klischee.

Jedenfalls sind wir uns später nur noch einmal begegnet, es war spät in seinem Leben, er war wachsbleich, ich glaube, es war eine Veranstaltung der Schule für Dichtung, wo wir beide unterrichteten, er sagte mir Freundliches über den Falter, ich war einigermaßen stumm vor Ergriffenheit. Er rauchte nicht mehr.

Vergangene Woche, am 12.6. feierte man seinen hundertsten Geburtstag. Ich feiere mit Äußerlichkeiten mit. Der irische Dichter William Butler Yeats hätte übrigens heute, am 13.6., 165. Geburtstag. Als er einmal einen schwedischen Kollegen in den berühmten Londoner Savile Club zur Geburtstagsfeier einlud, schrieb er, die Zahl der Gäste sollte jene der Grazien nicht unter- und jene der Musen nicht überschreiten. Also, um Ihnen Google zu ersparen, nicht weniger als drei und nicht mehr als neun. Im übrigen würden ihm schwarze Krawatten vorschweben (I imagine black ties, was natürlich einen Dresscode bezeichnete). Schwarze Krawatten machen sich beim Andenken an Poesie nie schlecht.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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