Die federleichte Friederike. Erinnerung an Mayröcker

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 435

Armin Thurnher
am 05.06.2021

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Friederike Mayröcker Foto @ Wikipedia, Franz Johann Morgenbesser

Ich kann zu Friederike Mayröcker nichts beisteuern. Ich war keiner ihrer Freunde, bedauerlicherweise nicht. Niemals war ich auf „Fritzi“ mit ihr, und ich konnte auch nichts dafür, als der Falter einmal in einer Überschrift das SCHLIMMSTE tat – er nannte sie Elfriede, aber naturgemäß konnte ich doch etwas dafür, denn ich sah es bestimmt, ehe es in Druck ging, aber ich sah es eben nicht.

Das war, weil alle großen Schriftstellerinnen in Wien Elfriede heißen, außer denen, die Friederike heißen. Die Hälfte der Elfrieden bekommen Nobelpreise, obwohl ihn alle verdient hätten, und die Friederike sowieso auch.

Friederike Mayröcker gehörte zu jenen Menschen, über die ich froh war, sie in der gleichen Stadt zu wissen, in der ich lebe. Sonst brauchte ich nichts von ihr, wollte ihr keine Besuche machen, keine Texte zeigen, keine Vertrautheiten anbieten. Stumme Ehrerbietung aus der Ferne genügte mir völlig.

Thomas Kling, den phantastischen Dichter beneidete ich doch. Der kam nach Wien und tat all das, verkehrte mir nichts, dir nichts auf poetischem Fuße mit ihr, wovon wechselseitige Widmungen zeugen und seine Berichte in seinem Wiener Reisetagebuch Itinerar. Ihrem Lyrikband Benachbarte Metalle schrieb er das Nachwort.

Auch Kling ist schon tot, lange vor der Zeit gestorben, was man von Friederike nicht behaupten kann. Natürlich sah ich sie des öfteren, als Innenstadtbewohner konnte das gar nicht anders sein. Im Gasthaus Koranda in der Wollzeile, das mittlerweile nach einigen würdelosen Zwischenstationen Plachutta heißt, trafen sich Maler, Musiker und Dichter.

Dort saß ich am einen Ende des großen, hallenartigen Schankraums. Am anderen Ende saßen, genau in meiner Blicklinie, und ich betrachtete sie oft und gern, nebeneinander direkt bei der Eingangstür zwei der Größten der Poesie des 20. Jahrhunderts, Fritzi und Ernst, wie zwei Vögelein auf der Stange und aßen ein Abendmahl. Es war zu weit weg, um zu sehen, was sie da aßen, denn das Koranda war ein großes Gasthaus. Hingehen um nachzusehen kam nicht in Frage, und den Herrn Heinz, der als Ober die Übersicht über alles hatte, weswegen er später Zeremonienmeister des Wiener Bürgermeisters wurde, konnte man aus Taktgründen ebenfalls nicht befragen.

Das Auffälligste an den beiden Wortkünstlern schien mir, dass sie die gesamte Zeit ihrer Anwesenheit kein Wort miteinander sprachen, aber nicht feindselig einander anschwiegen oder trotzig, sondern einfach zusammen schwiegen, wie man schweigt, wenn man gerade nichts zu sagen hat. Wortpause, auch pantomimisch. Sie ruhten nebeneinander in sich, tranken nicht viel und bleiben nicht lang.

Einmal hatte ich sie zu moderieren, es war eine Veranstaltung der Architektenkammer in der Stadthalle, mir scheint, es war Halle B, Hunderte Menschen saßen an Tischen, ich wusste nicht, wie ich zur Ehre gekommen war, aber ich moderierte, und einer der Programmpunkte war eine Lesung von Friederike. Da war sie Anfang ihrer 80er Jahre, aber sie sah so zerbrechlich und ihr Gesicht war so wachsbleich aus unter ihren schwarzen Haaren, dass mir ganz anders wurde und ich bangte, sie überhaupt anzusagen.

Aber als der Scheinwerferkegel auf sie gerichtet war, da las sie, etwas hohl im Ton wie immer, aber fest. Jandl war mit, las aber glaube ich nichts. Kann sein, dass ich mich täusche, jedenfalls hinterließ sie bei mir den stärkeren Eindruck.

Sonst kann ich sagen, dass ich viele ihrer Bücher besitze, was sich von selbst versteht, denn sie war eine große Dichterin, weil sie sich den Wörtern überließ und weil sie die Wörter mit sich spielen ließ, sie in sich hinein und aus sich herausließ, von Stoffwechsel kann keine Rede sein, es war ein Wortwechsel, an dem sie uns teilnehmen machte, scheinbar teilnahmslos, jedenfalls stofflos, was vom Stoffe ist, stirbt vom Stoffe, das ist nicht von ihr, trifft aber auf sie zu; sie war eine geisterhafte Erscheinung, der Geist der Poesie trat in ihr in Erscheinung, der Geist, der alles federleicht macht und fliegen lässt, in das er fährt.

Gestern starb Friederike Mayröcker, nicht aber ihr Geist, der sich für immer in ihren Traumgeweben aus Wörtern verfangen hat.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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