Franz Schuh, Bruno Kreisky und ich

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 427

Armin Thurnher
am 27.05.2021

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Als bekennender Telefonneurotiker und schwacher Briefschreiber, der Videocalls als kümmerlichen Ersatz meidet, kläglich bei Krankenbesuchen und stark beim Schwänzen von Begräbnissen, dabei dem Motto meines Großvaters folgend („Der goht mir ou nümma“, der geht mir auch nicht mehr), freute ich mich gestern sehr auf die Begegnung mit meinem Freund Franz Schuh, den ich umständehalber seit gut eineinhalb Jahren nicht mehr gesehen hatte.

Ja, wir hatten ein paar Mal telefoniert, ich hatte sein neues Buch „Lachen und Sterben“  gelesen und im Falter einen Text dazu geschrieben. Von Angesicht zu Angesicht gesehen hatten wir uns nicht. Unsere Telefonate waren kurz. Franz lag in Spitälern, in Pflegeheimen, auf Intensivstationen, überlebte mehrere Operationen, schaute, wie man so sagt, dem Tod ins Auge. Das kann mit dem schönsten Verstand etwas machen, vom Körper gar nicht zu reden.

Es war also spannend: Wie würde Franz sprechen, wie würde er aussehen? Der Tag begann für mich nicht besonders, ich hatte vorher noch andere Termine, wollte mich routinemäßig auf Corona testen, und meine Frau machte mich darauf aufmerksam, dass ich meine Covid-Gratistests für den Mai noch nicht abgeholt hatte (in der Einschicht brauche ich sie selten). So fiel mir auf, dass ich meine Geldtasche nicht eingesteckt hatte, und ich begann sie zu suchen.

Nach einer halben Stunde wild-frustriertem Slapstick-Unterstzuoberst wurde mir klar, dass ich sie im Auto liegen lassen haben musste, vor Tagen schon. Oder ich hatte sie verloren. Angstschweiß stiegt auf, als ich zum Auto ging. Da lag sie, unschuldig und unberührt. Mein Terminplan war durch die verlorene halbe Stunde von locker auf gedrängt umgestellt, und das setzte sich fort bis zum Treffen mit Franz.

Es war natürlich kein Treffen im Kaffeehaus, es war ein Interview, die Präsentation seines Buchs in Form einer kleinen Lesung und eines Gesprächs, in der Kreisky-Villa, dem Sitz des Kreisky Forums für internationalen Dialog. Gern wäre ich, wie es sich gehört, eine Viertelstunde vorher dort gewesen, aber ich war geldtaschenbedingt im Verzug und kam mit dem Auto von auswärts. Zudem verblüffte mich der rege Verkehr auf Wiens Straßen und trug dazu bei, dass ich zu spät in der Garage Grinzing eintraf, wo ich mich mangels Parkpickerl für den 19. Bezirk einstellte.

Ich rief Franz an, um die leichte Verspätung anzukündigen. Wir stehen schon vor der Tür, rief er, nicht eben gut gelaunt, wie mir schien. Das konnte ja heiter werden. Ich rannte die Sandgasse hinunter, machte aus den in Google Maps angegebenen vierzehn Minuten Fußmarsch fünf Minuten, ich bitte zu bedenken, in der prallen Sonne eines Maitags, angetan mit dafür zu warmem Sakko und belastet mit Rucksack samt Laptotp, den ich, wie immer übervorbereitet, auch noch mitschleppte.

Ich schwitzte also, als ich das Zimmer betrat, in dem alles vorbereitet war und nur noch auf mich wartete. Da saß er, der Franz. Meinem Reflex, ihn zu umarmen, wehrten wir beide mit dem Ellbogengruß ab, eine Aggressionsgeste, wie er gleich lächelnd erklärte, das habe er vom Pantomimen Sami Molcho. Diese Ersatzbegrüßungen in der Pandemie – lauter symbolische physische Attacken.

Fotos: © Kreisky Forum

Ganz der Alte! Gewiss, er war leichter geworden, ging aber schwerer. Sah gut aus, statt der Stoppelfrisur trug er die Haare etwas länger, aber sonst gab’s da nichts zu bangen, meine Freude wurde medial gebändigt, indem man uns Mikrophone ansteckte, ich wurde aufs Kreisky’sche Blumensofa verwiesen, auf dem sonst Robert Misik und andere Kapazunder sitzen, und teilte Franz mit, was sich der Zsolnay-Verleger Herbert Ohrlinger als Ablauf vorgestellt hatte, dass nämlich er am Anfang etwas lesen und wir dann etwa ein Dreiviertelstündchen miteinander reden sollten.

Spontan wählte er drei Stücke aus seinem zu Recht hymnisch gelobten Buch aus, die Erzählung, wie sein Vater den Herztod verfehlte, mit dem er fix rechnete, dafür aber von einer unterschätzten Bronchitis erwischt wurde, die Geschichte, wie in Hietzing aus einem Wagen der Wiener Bestattung ein Sarg herausrollte und auf dem Pflaster zerschellte, und das Gedicht vom ertrunkenen Rudi (ein Dialektgedicht, das man hören muss, denn erstens trifft auf Schuhs Schriften das Kraus’sche Prädikat „geschriebene Schauspielkunst“ zu wie auf wenig anderes, und zweitens wurde er kürzlich zu Recht als Hörspiel-Schauspieler des Jahres ausgezeichnet, für seine Präsentation von Konrad Bayers „Kasperl am elektrischen Stuhl“).

Dann redeten wir, und wie das immer ist mit ihm, die Vorbereitung konnte ich gleich schmeißen, es wurde ein richtiges Gespräch, er erzählte mir, wie das war, als er dem Tod ins Auge schaute, wie er die Furcht vor ihm verlor und überhaupt, wie es zugeht in Krankenhäusern und Pflegeheimen.

Das Buch endet mit einem absurden Drama, in dem ein Dr. Nedbal die Hauptrolle spielt, der Schuhs Züge trägt (Nedbal, ich habe auf Gooogle Translator nachgesehen, heißt tschechisch soviel wie „I couldn’t care less“, Mir doch egal). Da wird offenbar, dass Schuh Ärzte selbst dann nicht mag, wenn sie ihm das Leben retten. Sein Lebensretter, sagte er mir nach dem Gespräch, habe, als er ihm mitteilte, dass er nicht fähig sei, ihm gegenüber so etwas wie Dankbarkeit zu fühlen, kühl erwidert: „Dankbarkeit brauche ich nicht.“

Mir geht’s da anders, und ich fühlte mich nach diesem Gespräch tatsächlich dankbar, weil angeregt, vor allem aber, weil Schuh nach seiner Leidensgeschichte nicht mehr derselbe ist, aber keineswegs geläutert. Ich verrate nicht zu viel im voraus, das Ganze wird nächste Woche gesendet und vielleicht auch noch aufgeschrieben, wenn die zuständigen Instanzen Interesse zeigen.

Sie können, ja Sie sollten einstweilen das Buch jenes Mannes lesen, den ich den witzigsten Essayisten deutscher Sprache nenne. Statt all der Vergleiche, die nicht zutreffen, obwohl sie alle mehr oder weniger Wahrheit beinhalten (Kraus, Polgar, Kuh, Friedell undsoweiter), möchte ich behaupten, Franz Schuh ist ein Montaigne unserer Tage, bloß ohne Landgut, Amt und Vermögen. Wie unser kulturverliebtes Österreich halt mit seinem geistigen Vermögen umgeht.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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