Die neue Staatsoperette

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 425

Armin Thurnher
am 25.05.2021

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Dylan und Beuys, welcher Reichtum zieht an der Seuchenkolumne vorüber, 80 verweht und 100 vergeht, in Wien reimt man Beuys bekanntlich auf „wos was i no ois“, aber die Corona-Operette überschattet alles. Österreich ist frei, seit dem 19. Mai, und der Verkündigungswettstreit zwischen dem kecken Mückstein und dem verlautbarungssüchtigen Kanzler Kurz, der so gern von Themen redet, „denen wir uns jetzt widmen werden“, womit er sich selbst und seine Boys im Message Salon im Hinterzimmer meint, ist schon wieder beendet, kaum dass er begonnen hatte. Endlich hatten die Medien ihren grünen Helden, der sich gegen die türkise Allmacht erhob und nicht als gutmütiges Beiwagerl durch die Inszenierungen schleifen ließ, immer das eigene Wahlergebnis im Hinterkopf.

Gefeiert wurde das neue, große „Wir“ der österreichischen Freiheit bekanntlich im Prater, im Schweizerhaus, das gleich neben der Luftburg liegt, von da ist es zu Luftschlössern nicht weit. Was wurde gefeiert? Eine Öffnung, wir dürfen wieder Lokale besuchen, aber die Bevölkerung ist wie immer schon viel weiter. Meine Frau erzählte mir, im Baumarkt sei ihr bei der Kassa ein munteres Pensionistenehepaar, statt Abstand zu halten, auf die Pelle gerückt. Als sie auf Distanz beharrte, riefen die Pensis entrüstet: „Mir san gimpft!“ „Aber ich nicht“, entgegnet meine Frau (sie hat nächste Woche ihren ersten Impftermin). Minutenlanges Maulen war die Folge.

Österreich ist eine Operette. Eine kluge Leserin regte an, ich solle doch aus den Aufführungen der Sprechpuppe Ellie Köstinger, ihres Meisters und all der anderen eine Art Thurnhers Erzählungen machen, frei nach Jacques Offenbachs Hoffmanns Erzählungen. Eine gute Idee, denn die ordentliche Operette – nicht der Lehár-Kitsch – entzieht sich dem Wahnsinn der Realität durch Flucht in scharfe Satire und Nonsense.

Was aber, wenn die Realität selbst so reich an Nonsense ist wie unsere? Wo Wolfgang Sobotka, der einmal einen klaren Gedanken hatte und diesen so aussprach, dass man ihm folgen konnte und ihn gleich verstand, nämlich den Gedanken, dass die Wahrheitspflicht in Untersuchungsaussschüssen abgeschafft werden solle, diesen Gedanken sogleich zurückzog, und zwar mit der Begründung, er habe unsauber formuliert.

Das ist schon großartig, und es wird nur durch die Seuchenwendungen des Kanzlers übertroffen, die man tatsächlich in großen Arien darstellen könnte und müsste, wären sie nicht schon eben das, noch mit leichten Kicksern dargeboten, aber er arbeitet an der Stimme. Und noch mehr: Zugleich mit der zentralen Bühnenpräsenz reklamiert Sebastian Kurz auch noch die komische Rolle des Bühnenlausbubs, der, nachdem alle schon abgegangen zu sein scheinen, noch einmal den Kopf hinter dem Vorhang hervorsteckt und etwas Freches ruft. So am Rande des EU-Gipfels. Als alles bangte, ob der EU etwas einfiel, um die Frechheit des Diktators Lukaschenko in die Schranken zu weisen, steckt in den Spätnachrichten Kurz sein Köpferl vor und rief: Öffnungen jetzt noch früher!

Gab es einmal Experten, auf die sich die Regierung beruft? Wozu brauchen wir ein Robert-Koch-Institut, wozu brauchen wir Expertise von Ärzten, Epidemiologen zumal? Unser Oberepidemiologe hieß je schon Sebastian Kurz, der Held aller Arzt-Romane, schade, dass er bei den Pressekonferenzen nicht im weißen Kittel auftrat, und der setzt jetzt darauf, dass die Verkündung von Öffnungen all den Unsinn überdeckt, den er uns im vergangenen Jahr auftischte, von den Toten, die jeder kennt, über die Seuchenpolizei bis zum Licht am Ende des Tunnels und zum zu spät angeordneten ewigen Lockdown. Klar, er lernt ja noch. Aber bitte nicht an uns.

Sein neuer Schmäh ist klar: Öffnungen sind Freiheit, und Freiheit, das ist der Kanzler, die Grünen sollen den schwarzen Verbotspeter haben, sie sind ja immer dagegen, gegen alles, außer gegen das Abwürgen des Ibiza-Untersuchungsausschusses. Diese Tat führt uns in den finsteren demokratischen Tunnel von Rechtsverachtung, Presseunterdrückung, Verächtlichmachen des Parlaments und anderen Zügen des Operettenstaates. Eine Staatsoperette gab es übrigens schon einmal, sie lief 1977 sogar im Fernsehen, Regisseur Franz Nowotny und Komponist Otto M. Zykan porträtierten satirisch die Dollfuß-Zeit.

Kann es sein, dass der Beginn autoritärer Zustände nicht immer mit Szenen von Gewalt und Schrecken einhergeht, sondern im Gegenteil sich gut in Monologe, Dialoge und Quartette fassen lässt? Vielleicht versuche ich es wirklich mit der Operette. Alexander Wrabetz ruft sicher gleich nach Erscheinen dieser Kolumne an, er will als ORF-Direktor wiedergewählt werden, da würde er mit so einer Operette beim Freiheitskanzler sicher punkten, der entscheidet, wer ORF-Direktor wird, auch wenn er auf der Bühne behauptet, von solchen Vorgängen keine Ahnung zu haben.

Das Stelzenquartett im Schweizerhaus wäre gewiss ein Höhepunkt der Operette „Neues Österreich“. Das Freiheitsduett zwischen Kanzler und Gesundheitsminister, das Plexiglasballett, die große Wahrheitspflichtarie des Wolfgang Sobotka, die Chatdialoge von Blümel, Schmid und Kurz und der Pax de Deux von Sigrid Maurer und Gust Wöginger zur Abschaffung des Ibiza-Ausschusses im Parlament – lauter Höhepunkte. Falls wer noch lachen kann.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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